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Maria Arnold — Kultur des Wegschauens

Luzern — Kriege würden augenblicklich zum Stillstand kommen, wären keine Journalisten mit der Kamera anwesend, um den Schrecken fotografisch festzuhalten, so Marshall McLuhan. Auch Paul Virilio sieht eine unmittelbare Verknüpfung von Krieg und Medien. Dies gilt spätestens seit dem ersten Weltkrieg, wobei Medienwissenschaftler den Krieg in Vietnam als ersten «Krieg im Wohnzimmer» bezeichnet haben. Auch die Krienser Familie Arnold empfing 1967 die Kriegsberichterstattung der Tagesschau über ihren Fernsehapparat. Der aufgeregte und derbe Bilderstrom weckte in Maria Arnold (*1949) den Entschluss, genau dorthin zu gehen: ins Kriegsgebiet Vietnam. Gerade 19-jährig trat sie ihre erste Reise nach Südvietnam an – sie sollte ihr zukünftiges Leben massgeblich verändern. 1969, nach ihrer Ankunft in Saigon, stellte sie ernüchtert fest: «Nein, nichts ist hier so wie im Fernsehen». In Vietnam habe sie anerkennen müssen, dass ihr Blickwinkel auf die Welt ein «schweizerischer» gewesen und ihr dieser plötzlich als «klein» erschienen sei.

Als medizinische Assistentin in zwei humanitären Einsätzen lernte Arnold nicht nur die vietnamesische Bergbevölkerung kennen und schätzen, deren Lebensgrundlagen der Krieg zerstörte. Sie geriet auch in eine dreimonatige, nordvietnamesische Kriegsgefangenschaft, aus der sie 1975 durch die Schweizer Diplomatie freigekauft wurde. Nun legt sie einen ebenso umfassenden wie persönlichen Bericht vor. Er ist, neben weiteren Arbeiten zum Vietnamkrieg, derzeit in der Kunsthalle Luzern einsehbar. Vollständigkeit war dabei nie ihr Ziel. Doch so persönlich dieser 219-seitige Bericht stellenweise gehalten ist, zeigt er dennoch auf, wie perfide sich die Medien in die Imagination einnisten können. Bei Bombenabwürfen erinnerte sie sich daran, was sie über deren Zerstörungskraft gelesen hatte oder sie stellte sich vor, sich mit einem amerikanischen «Viersternegeneral» zu unterhalten, den sie in den Medien gesehen hatte. «Glauben Sie allen Ernstes», fragte sie diesen in schlaflosen Nächten, «dass Sie das alles einmal verantworten können?». Ihr Bericht ist eine Mischung aus eigener Erfahrung, Informationen ausgewählter Dokumentationen und historischer Fachliteratur. Er ist ebenso Protokoll wie Statement: So aalglatt wie Weltpolitiker damals über das Schicksal von Millionen Menschen entschieden haben, wollen auch ihre neusten Darstellungen zu eben diesem Thema sein. Zum Bericht sind 56 ganzseitige digitale Illustrationen entstanden, schwarz-weiss, glatt, ohne Zwischentöne.

Für Arnold wurde klar, dass sie über den Krieg nur dann ein Bild zeichnen kann, wenn sie sich auf seine Ursache konzentrierte: Die Politik, so wie wir sie aus den Medien kennen. Es ist denn auch die «Torheit der Regierenden», auf die sie zielt. Eine Bodeninstallation zeigt Digitaldrucke u.a. von damals involvierten Politikern als ‹Faltlinge›, 2017. Gerade das Falten des Papiers scheint zu verdeutlichen, dass es sich eben nur um Bilder handelt, um polierte Ober- und Projektionsflächen, um verzerrte und zurechtgefaltete Wahrheiten. Durch die dreidimensionale Wirkung der auf dem Boden ausgebreiteten Faltlinge ergibt sich ein weiterer, tiefgreifender Effekt. Was erst wie ein freundlicher, bunter Fächer erscheinen mag, lässt sich ebenso gut mit einer gepflasterten Strasse assoziieren: Es sind die Bildmedien und die Politiker, die dem Krieg den Weg bereitet haben. Da der Vietnamkrieg der bisher einzige Krieg ohne offizielle Zensur war, trugen die Medien – letztlich – aber auch dazu bei, diesen zu diskreditieren. Dass sich die USA aufgrund der Medienberichterstattung aus dem Krieg hätten zurückziehen müssen, sei jedoch lediglich ein «zweckdienlicher Mythos», konstatierte der Historiker Thomas Dominikowski. Vietnam habe dennoch zu einer massiven Steigerung der militärisch-politischen Informationssteuerung geführt.

So wird deutlich, dass Arnold mit ihrer vielschichtigen Arbeit an der Schnittstelle von persönlicher Erinnerung, medialer Berichterstattung und historischer Aufarbeitung mehr als Erinnerungsarbeit leistet. Ihre Ausstellung ‹Warum erlaubt uns die Natur die Augen zu schliessen› stösst eine Reflexion über die Rolle der Medien im Krieg an und erprobt Gegenbilder in der persönlichen künstlerischen Auseinandersetzung. Sie verweist auf die Perspektivität der medialen Kriegsberichterstattung und adressiert die Frage nach kollektiver Verantwortung in einer Kultur des Wegschauens.

Institutionen

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Kunsthalle Luzern
Schweiz
Luzern
Luzern

Künstler:innen

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Maria Arnold

Autor:innen

Ausstellungen / Events

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Maria Arnold - Ausstellung Luzern Schweiz
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Ausstellung
Luzern
Schweiz