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Es sei unwichtig, wer das WWW oder die Maus erfand und wozu. Entscheidend seien diejenigen, die es benutzen, die User, sagen Olia Lialina und Dragan Espenschied. Die beiden gehören zu den Pionieren der Netzkunst, ihre Werke der Neunzigerjahre zu den Klassikern. Seit einigen Jahren widmen sie sich intensiv der digitalen Folklore – eben den kreativen Erzeugnissen der User. Ein Herzstück bildet dabei die Arbeit mit Webseiten, die einst auf GeoCities zu finden waren. 1995 gegründet, konnte dort jeder und jede kostenlos eine Website erstellen. In der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre war der Server von GeoCities einer der meistbesuchten des Webs. Von Yahoo! während des Dotcom-Booms aufgekauft, war der Plattform kein andauernder Erfolg beschieden. Mit deren Abschaltung – 2009 verschwanden tausende Zeugnisse der Amateurkultur des frühen WWW. Kurz vor dem Ende versuchten einige findige Enthusiasten hastig, möglichst viele Daten zu retten. Ein Terabyte, rund 400'000 GeoCities-Homepages, konnte so erhalten werden. Dieses Material dient Lialinas und Espenschieds ‹Geocities Research Institute› als Grundlage für künstlerische, theoretische und konservatorische Forschungen. Auf oneterabyteofkilobyteage.tumblr.com wird beispielsweise alle 20 Minuten ein neuer Screen­shot einer GeoCities-Homepage hochgeladen, geordnet nach dem letzten Update (aktuell im Jahr 1999), immer akkurat im populärsten Browser der Zeit aufgerufen. Der dazugehörige Recherche-Blog versammelt Texte und technische Hinweise. In Installationen arbeiten die beiden Künstler ebenfalls mit Material aus der Welt des «volkstümlichen Web». Die Amateurwebseiten mit ihren gemusterten Hintergründen, Midisounds, «under construction»-Bannern und blinkenden GIFs wurden bald als Kitsch verlacht. Lialina und Espenschied geht es nicht nur um eine Rehabilitiation dieser Ästhetik oder um Nostalgie. Vielmehr bedauern sie den Verlust an Freiheit, Hintergundwissen und anarchischer Freude am Ausprobieren, der mit dem Ende der persönlichen, zusammengebastelten Seiten einherging. Nicht ohne Grund hiess es oft «Welcome to my World», denn hier wurde etwas Eigenes geschaffen, eine eigene Ecke im grossen Cyberspace. Heute öffnet man ein Konto, man baut kein Zuhause mehr. Der Rahmen wird von grossen Plattformen wie Facebook und Instagram vorgegeben, die User füllen den Inhalt ein und verschenken Aufmerksamkeit an die Werbe­industrie.