bau neu ab

Kuchenkühlgitter, 2001, Acryl auf Zeichenpapier, 50 x 70 cm

Kuchenkühlgitter, 2001, Acryl auf Zeichenpapier, 50 x 70 cm

Csobanc mit Hydroglobus, 2003, Öl auf Leinwand, 50 x 110 cm, Courtesy Marlene Frei, Zürich

Csobanc mit Hydroglobus, 2003, Öl auf Leinwand, 50 x 110 cm, Courtesy Marlene Frei, Zürich

Fokus

Der als Maultrommelspieler international bekannte Schwyzer Künstler und Poet Anton Bruhin fängt in Panoramabildern die Weite ungarischer Landschaften ein. Daneben wird schlaglichtartig der Blick auf sein facettenreiches, oft disparates Werk geführt.

bau neu ab

Anton Bruhins Palindrome und neue ungarische Landschaften

Man weiss nicht, hat man eine multiple Persönlichkeit vor sich oder ein seltenes Exemplar eines Universalisten. Jedenfalls wartet die Retrospektive mit dem Titel «baue neu ab» mit Überraschungen und scheinbarer Diskontinuität auf. Mal malt Anton Bruhin, was er sieht: aus dem Atelierfenster die Fassaden und Strassenschluchten von Manhattan und präzise Bestandsaufnahmen von der Zollstrasse am Rande der Geleiseanlagen des Hauptbahnhofs Zürich. Mal outet er sich als Kalligraf und füllt ganze Bildgevierte mit feingliedrigen, nervösen und schlängelnden Zeichen aus. Diese sind mal kantiger, mal zart gerundet, mal fetter konfiguriert und lassen sich als musikalische Bilder oder als bildgewordene serielle Musik lesen.

Nachdem Bruhin die neunziger Jahre hauptsächlich dem Spiel und der Erforschung der Maultrommel gewidmet hatte, begann er die Landschaften von Ungarn, das er seit 1987 regelmässig besucht, auf Leinwand zu bannen. Seine Ergriffenheit von der Weite der Felder, Wiesen und Wälder konnte er nur durch die Malerei ausdrücken: «So viel Schönheit zu malen, ohne den oberflächlichen Reizen zu verfallen, forderte mich heraus.» Es entstanden breitformatige Landschaftsbilder mit Strohballen auf Stoppelfeldern, die in helles Sonnenlicht getaucht sind. Der Weite der Landschaft entspricht das Panoramaformat. Unter einem wolkenlosen, blau-violetten Himmel erheben sich hinter weiten grünbraunen Feldern sanft gewellte, saftig-grüne Hügel, und in der Ferne lassen sich Weiler erahnen. Dabei bestimmen immer wieder zylindrische Strohballen die Komposition. Die menschenleeren Landschaften sind von einer grossen Ruhe erfüllt.

Die künstlerischen Ausdrucksmittel sind auf das Minimalste reduziert. Der Blick konzentriert sich auf das Tektonische, die Lichtführung, auf die Zylinderformen der Strohballen und auf den Pinselduktus. Analog sind auch die «Stillleben», 2000, von geradezu lapidarer Einfachheit. Alltägliche Gegenstände sind in Umrisslinien cartoonartig auf das Äusserste zurückgebunden und durchdringen sich gegenseitig. Auch die neuesten Computerzeichnungen mit dem Serientitel «Seestücke» sind nur aus Buchstaben und Sonderzeichen der Schreibmaschinenschrift Courier New zusammengefügt, woraus Bruhin neue typographische Gestalten als Akteure von fantasievollen Geschichten entwickelt hat. Diesen Hang zum Elementaren hatte wohl schon seine Wahl für das altüberlieferte Instrument der Maultrommel geprägt, das er meisterhaft beherrscht.

Das Multitalent Anton Bruhin kümmert sich wenig um Moden, doch geistige Verwandtschaften sind sehr wohl auszumachen. So erinnert sein Sinn für das Poetische und mitunter Schalkhafte sowie seine Virtuosität im Verfassen von Palindromen – eben ist ein Buch mit Spiegelgedichten bei Urs Engeler erschienen – an den geistreichen Wortschöpfer André Thomkins. In einem «Raetz»-elhaften «Dialog», 1988, sind zwei hölzerne Köpfe ineinander verwickelt. Der zu einem «Schwarzen Resonator», 1998, transformierte LKW-Hupentrichter ruft im Geist die in eine starke Form gebundenen Schrottgegenstände des Solothurner Objektkünstlers Franz Eggenschwiler herbei. Auch Bruhin schöpft seinen Bildstoff aus dem Alltag, entlockt ihm eine Idee oder reduziert ihn auf das Essenzielle, wodurch Alltägliches eine fast magische Ausstrahlungskraft gewinnt.

Anton Bruhin (*1949 in Lachen SZ) wohnt seit 2000 in Schübelbach SZ. Zeitweise lebte und arbeitete er in Zürich, Düsseldorf, Carona, Paris, New York und Kapolcs (Ungarn). Er unternahm Maultrommel-Forschungsreisen nach Sardinien, Jakutien und Japan. Seine Ausstellung «baue neu ab», Galerie & Edition Marlene Frei, Zürich, ist noch bis zum 7.2. zu sehen.

In den sechziger Jahren teilte ich zunächst die Auffassung, die an der Kunstgewerbeschule vorherrschte, dass Kunst innovativ zu sein habe. Damals dominierte Pop-Art die westliche Kunstwelt; Kunstharz statt Öl, gespritzte oder glatte Farbschicht statt Pinselduktus. Seit Duchamps Urinoir und dem schwarzen Quadrat Malewitschs galt die Malerei als verpönt und obsolet. Wie könnte es weiter- gehen? Prompt folgten weisse Leinwände und bestimmt hat auch jemand ein Loch in die Wand des Museums geschlagen – das wärs dann. Eine Richtungsänderung war nur rückwärts möglich, somit wären damals auch Pop, Op, Minimal etc. rückständig gewesen. Dieser Widerspruch schien meinen Zeitgenossen nicht aufzufallen. Seither weiss ich, dass auch in der Kunst nur mit Wasser gekocht wird. Sie begann mit Handsilhouetten an Felsen, später kamen die Kampfschilder, die in die Heraldik führten. Schilder und Wappen zeigen einerseits das Plakat, andererseits versperren sie den Blick auf ihre Träger wie ein Grenzwall. In der neueren Zeit herrschte die religiöse Malerei im Spannungsfeld zwischen Dargestelltem (sehen) und der Verkörperung des Inhaltes (Ikone, schauen). Seit gut zweihundert Jahren hat sich die bildende Kunst von Sinn, Bedeutung und Notwendigkeit emanzipiert.Befreit vom Zwang, die Kunst neu zu definieren, pflege ich aus freien Stücken nach wie vor die klassische Disziplin des Tafelbildes. (AB)

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