Valentin Hauri - Strategisch Verwirrung stiften

The Prophecy Year, 2012, Öl auf Leinwand, 50 x 45 cm
«Auslösend für meine künstlerische Arbeit ist mein eigener Hintergrund, meine Ausgangslage, meine ‹Bestimmung›, die ich höchstens diffus erahnen kann. Entlang meiner eigenen Lebenslinie sehe ich Verbindungen zu gesellschaftlichen Bewegungen. Obwohl ich mich als Einzelgänger verstehe, gab es immer den Sog der gemeinschaftlichen Bewegung (Community).» Valentin Hauri, 2012

The Prophecy Year, 2012, Öl auf Leinwand, 50 x 45 cm

«Auslösend für meine künstlerische Arbeit ist mein eigener Hintergrund, meine Ausgangslage, meine ‹Bestimmung›, die ich höchstens diffus erahnen kann. Entlang meiner eigenen Lebenslinie sehe ich Verbindungen zu gesellschaftlichen Bewegungen. Obwohl ich mich als Einzelgänger verstehe, gab es immer den Sog der gemeinschaftlichen Bewegung (Community).» Valentin Hauri, 2012

Netty and Ann, 2012, Öl auf Leinwand, 117 x 130cm«Konsequenz bedeutet mir gleich viel wie Absichtslosigkeit, Verschlüsseltes gleich viel wie Offenes und Einsehbares, die unmittelbare Malbewegung gleich viel wie das scheinbar endlose Warten und Suchen. Der Versuch ist wichtig, der Abbruch und der Aufbruch.» Valentin Hauri, 2012

Netty and Ann, 2012, Öl auf Leinwand, 117 x 130cm
«Konsequenz bedeutet mir gleich viel wie Absichtslosigkeit, Verschlüsseltes gleich viel wie Offenes und Einsehbares, die unmittelbare Malbewegung gleich viel wie das scheinbar endlose Warten und Suchen. Der Versuch ist wichtig, der Abbruch und der Aufbruch.» Valentin Hauri, 2012

Fokus

Seit Mitte der Neunzigerjahre entwickelt der bekannte unbekannte Schweizer Maler Valentin Hauri eine eigenwillige Konzeption für seine Bildfindungen. Er lässt sich von wahlverwandten Aussenseiterfiguren inspirieren und setzt deren rohe ungelernte Werke in malerische Abstraktionen um. Seine bisher grösste Einzelausstellung vermittelt einen intensiven Einblick in ein überaus reduziertes und komplexes Werk, das von narrativem Strandgut, einer gestischen Malweise und rätselhaften Kompositionen lebt.

Valentin Hauri - Strategisch Verwirrung stiften

In London geschah der Bruch: Im Rahmen eines Atelieraufenthaltes verlagerte der erfolgsverwöhnte Valentin Hauri 1994 seinen Fokus. Er schloss die Arbeit an seinen vielbeachteten abstrakt-figurativen Landschaften ab und fällte die Entscheidung, sich fortan auf fünf verschiedene Bildformate im steten Verhältnis 10:9 zu beschränken und die sich in diesem Rahmen bietenden malerischen Möglichkeiten auszuloten. Gleichzeitig verlegte er sich von der vormals langwierigen, vielschichtigen Malerei auf schnellere Aquarell- und Alla-prima-Techniken. Mit dieser neuen, eher sparsamen Malweise stiess er zunächst auf wenig Resonanz, das Aargauer Kunsthaus beispielsweise kaufte während den nächsten zwanzig Jahren nichts mehr von ihm an. Die Verjüngung der eigenen Arbeit war demnach hart erkämpft, doch wahlverwandte Aussenseiterfiguren, deren Kunst und Leben ihn faszinierten, standen Hauri geistig zur Seite. Die oft vom Scheitern und von Verweigerung gekennzeichneten Vorbilder bestärkten ihn, den einmal eingeschlagenen Weg radikal zu verfolgen.

Diskrepanz zwischen Bildtitel und Kompositionen
Die Mehrzahl der Bildtitel der letzten sechs Jahre - ‹Lord of the Flies›, ‹Ligne de vie›, ‹The void/The crowded Mind›, ‹Le grand Océan› - wecken klare Assoziationen. Doch die entsprechenden Kompositionen erfüllen die geweckten Erwartungen in keiner Weise, statt narrativ sind sie meist karg und minimalistisch gehalten. Auf die Diskrepanz angesprochen, erklärt Hauri, dass seine Bilder vielfach auf bewusst gewählte Vorlagen zurückgehen. So sehr die an Architekturskizzen erinnernden Zeichnungen und die Gemälde in Komposition und Ausdruck divergieren, ihre Inspirationsquelle ist doch stets dieselbe: Publikationen der Sammlung von Hans Prinzhorn (1886-1933), auch Werke einzelner Künstler, vornehmlich Aussenseiter oder Autodidakten wie Carl Fredrik Hill, Henry Darger, Louis Soutter oder Royal Robertson.
Die Eigenart der Bildfindung, die Unvergleichbarkeit der Bildstruktur und die mangelnde malerische Perfektion der Art-Brut-Künstler berühren Hauri emotional und regen ihn künstlerisch an. Die aus dieser Auseinandersetzung entstandenen Gemälde sind Versuche, mit diesen in einen Dialog zu treten. Eine besondere Affinität verbindet Hauri mit Forest Bess (1911-77), dem amerikanischen, visionären Maler, und dessen zeichenhaften, kruden, magischen Bildern. Doch auch Filmplakate wie diejenigen zu Pier Paolo Pasolinis Matthäus-Passion gehören zu Hauris Bildfundus.

Kosmos an Vorlagen
Von Kunstschaffenden wie diesen hat Hauri eine Vielzahl von Reproduktionen zusammengetragen, auf die er auf ästhetische oder thematische Weise reagiert. In einem persönlichen, deduktiven Prozess entwickelt er oft befremdliche, einer ganz eigenen verschlüsselten Zeichen- und Formensprache gehorchende Konfigurationen, die sich nur vage an der Gesamtkomposition, Figuration und Farbe der Vorlagen orientieren. Die Werke stiften zunächst Verwirrung, doch die Zeichnungen und schwer verständlichen architektonischen Konstruktionen aus vektoriell angeordneten und gestaffelten Liniengefügen, die ungreifbar leichten oder auch symbolhaften Gemälde, ‹Here is a Sign›, 2011, sowie die landschaftlichen Szenen, ‹Many Minutes, Many Hours, Many Days›, 2008, halten bei näherer Prüfung etliche Entdeckungen bereit.
So etwa, wenn Hauri die von akzentuierten Rahmen eingefassten bunten Zeichnungen von Royal Robertson (1931-1997) bildnerisch übersetzt. Zum Beispiel scheint in ‹Untitled (Royal Robertson)›, 2010, aus der Tiefe eines schwarzen Rechtecks mit abgerundeten Ecken ein weisses horizontales Licht auf.
Das Gemälde ‹Fenster (nach Johannes Friedrich)› geht auf ein Blatt aus Friedrichs Schulheft mit Zeichnungen und Bildbeschreibungen von 1908 zurück und veranschaulicht Hauris Faszination für zweipolige Situationen. Diesen begegnet man immer wieder in an Doppelfenster erinnernden Kompositionen wie ‹Luftloch›, 2011, oder ‹Untitled NO 12›, 2009.
‹Many Minutes, Many Hours, Many Days›, 2008, geht auf ‹Die Kreuztragung Christi›, 1564, von Pieter Brueghel d.Ä. zurück. Für seine Bildfindung benutzte Hauri eine Postkarte mit dem Ausschnitt von der auf einem Felsen thronenden Windmühle. In seiner Rekreation ist der in den Himmel aufragende Felsen auf die Silhouette reduziert. In seiner orangen Bemalung hebt er sich von einem wässrig hellblauen Himmel ab, während die Mühle mit drei schwarzen Balken konstruktiv erfasst ist. ‹Intérieur/Séance›, 2009, lässt vor einem schwarzen Hintergrund einen weiss leuchtenden Tisch mit darum herum gruppierten Stühlen erkennen - offenbar eine Hommage an Victor Hugo und dessen Experimente mit Spiritismus.
Auf der Basis des reichen Bilderfundus arbeitet Hauri eigene malerische Statements heraus, wobei die Vorlage auch an Bedeutung verliert, je stärker er spontane Ereignisse auf der Leinwand zulässt, welche die Komposition bestimmen. Noch spontaner wirken die in der Alla-prima-Technik in einem Zug gemalten Bilder. Dabei setzt Hauri ganz auf die Magie des Augenblicks, ein Verfahren, das eine nachträgliche Korrektur oder gar Überarbeitung ausschliesst. Davon sprechen etwa ‹Tu ne trace rien›, 2011, ‹Prophecy›, 2005, oder ‹Le Culte‹, 2010, mit zeichenhaften Linienverläufen über transparenten, schimmernden Gründen.

Bewegliches System
Seit Hauri vor drei Jahren Papierarbeiten von Victor Hugo gesehen hat, zeichnet er ausschliesslich mit schwarzer Tusche auf Papier, meist im Normformat DIN A4. Als Hilfsmittel dient ihm lediglich ein metallener Vierkantstab oder - neuerdings - ein Spachtel. Viele Vorgänge sind planbar, während andere sich der Kontrolle entziehen. In solchen Momenten beginnt Hauri zu improvisieren und lässt die Bilder aus dem gelenkten Zufall entstehen. Dabei setzt er ein Vabanquespiel in Gang, das seiner Vorliebe für Kippsituationen entgegenkommt, so beispielsweise wenn er identifizierbare Konfigurationen bis an die Grenze des Erkennbaren verschleiert oder umgekehrt, sich aus dem freien Spiel mit autonomen Formen Erkennbares herausschält.
Ein vergleichbares Phänomen ist in ‹Floater›, 2011, zu beobachten, der Komposition eines Raums mit dunkelgrünem Boden und Decke, dessen Dreidimensionalität durch einen schwarzen horizontalen Strich zurückgenommen ist. ‹Lord of the Flies›, 2009, würde aufgrund des Titels ein wüstes Chaos nach William Goldings Roman vermuten lassen, doch wir sehen lediglich eine unbestimmte Landschaftsszenerie unter einem hellblauen Himmel. Zwei blaue und ein grau-blauer schmaler Balken schieben sich in das Bildgeviert, wobei der eine gebrochen zu sein scheint. Das Bild strömt eine ungeheure Kraft aus, doch aufgrund des labilen Gleichgewichts der Balken schleicht sich auch eine Dimension des diffus Lauernden, Unheimlichen ein. Dieses Werk steht prototypisch für Hauris Strategie, seine Kompositionen in der Schwebe zu halten zwischen skizzenhaft Notiertem und fest Verbindlichem, zwischen konzentrierter Dichte und Leichtigkeit, zwischen dem Eindeutigen und dem Verwirrenden sowie zwischen dem Geplanten und dem Unvorhergesehenen.
Dominique von Burg, Kunst- und Architekturhistorikerin, lebt als freischaffende Autorin und Kuratorin in Zürich. dvonburg1@bluewin.ch

Bis 
26.01.2013

‹No Place But The One. Valentin Hauri›, Museum zu Allerheiligen Schaffhausen, Katalog.

Valentin Hauri (*1954, Baden) lebt in Zürich
1976-1980 Schule für Gestaltung Basel (Malerei bei Franz Fedier)
1980-1981 Paris, Cité Int. des Arts, Atelier der Stadt Basel
1982-1985 Atelier im Künstlerhaus Boswil / AG
1987-1988 Mitglied im Schweizer Institut in Rom
1989 Paris, Cité Int. des Arts, Atelier des Kantons Aargau
1990 New York, Atelier der Stadt Zürich
1994-1995 Werkjahr der Zuger Kulturstiftung Landis & Gyr in London
1998 Paris, Cité Int. des Arts (Atelier des Kantons Zürich)
2003 Aufenthalt in Bangalore / Indien (6 Monate)

Einzelausstellungen (Auswahl)
1995 Centre Pasqu'Art, Biel
1999 Galerie im Trudelhaus, Baden
2000 Galerie Priska Meier, Zell; Galerie Elisabeth Staffelbach, Aarau
2001 Galerie Erhard Witzel, Wiesbaden
2002 Galerie Esther Hufschmid, Zürich
2003 Karnataka Chitrakala Parishat, Bangalore; Galerie Elisabeth Staffelbach, Aarau
2005 Gästezimmer, Wolhusen; Goldenes Kalb, Aarau; Galerie Esther Hufschmid, Zürich
2006 Galerie Elisabeth Staffelbach, Aarau
2008 Galerie im Trudelhaus, Baden
2009 Galerie SELZ art contemporain, Perrefitte
2010 Museum Sammlung Prinzhorn, Heidelberg
2011 Galerie Brigitte Weiss, Zürich
2012 Museum zu Allerheiligen, Schaffhausen; Galerie Brigitte Weiss, Zürich

Ausstellungen/Newsticker Datum Typ Ort Land
Valentin Hauri 18.11.201227.01.2013 Ausstellung Schaffhausen
Schweiz
CH
Autor/innen
Dominique von Burg
Künstler/innen
Valentin Hauri

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