Living Dolls
Problemlose Menschen wolle sie liefern, meint ironisch die Schweizer Künstlerin an einem spätsommerlichen Nachmittag in New York und verweist auf die entsprechende Arbeit «Living Dolls». Weitere Werke sind im Moment in der Ausstellung «Missing Link» im Kunstmuseum Bern zu sehen.
Living Dolls
Zu den Fotoarbeiten von Katrin Freisager
Katrin Freisagers Vorstellung vom scheinbar sorglosen Leben bezieht sich im Ursprung auf den Idealmenschen der Moderne: «agil, Kosmopolit, der Alltagsmühle entrückt» – so die Künstlerin. Bei ihr jedoch wird dieser moderne Mensch zum Neutrum im geschichtslosen Raum und entspricht so offensichtlich nicht unserm Zeitalter der globalen und lokalen Verquickung. Solchen Widersprüchlichkeiten zwischen Wesen und Hülle, Kern und Umfeld ist die Künstlerin seit ihren ersten Arbeiten auf der Spur. Sie kann damit inhaltlich vielschichtig vorgehen und eine Vielfalt von Bedeutungen gelten lassen, aber auch ihr eigenes Tun thematisieren und kontextualisieren.Eine frühe Arbeit, «The Noise Downstairs», 1991, besteht aus dreizehn Fototafeln, jede mit zwei Bildern. Schauplatz ist ein pseudoschickes mitteleuropäisches Hotelzimmer, wo ein augenscheinlich hysterisch veranlagter weiblicher Gast (Pipilotti Rist) von (verlassenem) Bett zu Schrank zu Spiegel hetzt, entgeistert in die Stille des Zimmers starrt oder im Papierkorb wühlt. Die beiden, auf einer Tafel vereinten Bilder ergänzen sich inhaltlich kaum. Und doch fügen sich alle dreizehn Tafeln zum Stimmungsbild einer rätselhaften Episode zusammen. Dort, wo oberes und unteres Bild aufeinanderstossen, gibt es zudem abstrakte Zerr- und Spiegelzonen voll schöner Farben – Verweise auf der Fotografin Handwerk. Querformat und wässrige Lichtqualität der Fotos erinnern an Bilder vom Fernsehbildschirm; die hier dargestellte Erlebniswelt ist ungefähr so unmittelbar wie jene von Cindy Shermans frühen «Filmstills», die sich auch auf eine massenmediatisierte Wirklichkeit beziehen.
«Living Dolls» Der Titel allein verweist schon auf mehrere Wirklichkeitsebenen – führt Aspekte dieser Themen weiter, etwa die strenge Typisierung der Protagonisten, Andeutung beziehungsweise Vortäuschung von Handlungsablauf und Kausalität, die zeitlichen und inhaltlichen Brüche, die Zweipoligkeit zwischen Inszeniertem und Erlebtem. «Living Dolls» wurde in New York konzipiert und in der Schweiz im letzten Jahr fotografiert. Die Arbeit besteht aus sieben Fotos, die etwa lebensgross verschiedene Menschen auf einer hellen Schaumstoffmatratze zeigen. Auf jedem Foto sieht man ein, höchstens zwei Modelle, wie sie auf der Matte liegen, dürftig bekleidet, und den Betrachter direkt anschauen. Die zwei Männer und vier Frauen – alles professionelle Models – sind Typen, den heutigen Modezeitschriften entliehen. Alle sind sie jung, alle erwartungsgemäss attraktiv, die Weissen sind schneeweiss, ein Modell ist schwarz wie die Nacht. Über diese plakative ethnische Zuteilung hinaus wird jede weitere Eindeutigkeit vermieden: Weder liegen diese Leute satt auf einer Unterlage noch schweben sie in der Luft; auf dem neutralen Matratzengrund mit seinen Noppen wirken sie richtungs- und schwerelos. Weder scheint es sich eindeutig um Männer noch um Frauen zu handeln; die Männer tragen entsexualisierende Höschen, die Brustwarzen der Frauen sind mit Pflästerchen zugeklebt oder durch hautfarbene strumpfähnliche Gewebe ansatzweise verhüllt worden. Diese kosmetischen Eingriffe sind aber so rudimentär ausgeführt, dass sich die inszenierte Neutralität oder Androgynität als Übung entlarvt, der «problemlose Mensch» ist ein wesenloses Konstrukt wie Dollie, das geklonte Schaf. Dem Bestreben um Reinheit und Kontrolle ist der Mensch zum Opfer gefallen – bei vollem Bewusstsein von Subjekt und Fotografin.Der energie- und somit leblosen Materie dieser Körper ist einzig der wache und unverfrorene Blick gegenübergestellt. Es ist verlockend, in dieser Diskrepanz den christlichen Topos der Trennung vom schwachen, sündigen Körper und dem wissenden Geist zu sehen (woraufhin die Szene mit einem Mal als modernes – und leicht erweitertes – Golgatha lesbar würde). Sciencefiction-Filme, zum Beispiel «Blade Runner», haben diese Thematik weitergesponnen, mit Menschen, die unselige Menschenmaschinen geschaffen haben, unschuldige Opfer mit vorwurfsvollen oder herausfordernden Blicken.Während das typische Science Fiction-Szenarium – woran sich diese Arbeit eindeutig anlehnt – aber nach Action ruft, herrscht hier absolute Stille. Obwohl die Typen halbnackt nebeneinander liegen, treten ihre schlanken Glieder bloss in formale Bezüge zueinander. Sie scheinen vor allem der fast symmetrischen Gesamtkomposition zu dienen und sich zudem noch einer zeitlichen Ordnung zu fügen: Auf jedem Bild nehmen sie eine leicht andere Pose ein, offensichtlich ist von Foto zu Foto etwas passiert, Zeit verflossen. Der Handlungsablauf aber, die Begründung dieser Bewegungen lassen sich nicht weiter aufschlüsseln. Nicht als geschichtliche Zeugen existieren diese Körper, sondern als musikalisch konzipierte Variationen eines abstrakten Theorems.
«I found myself knocking at the door of what looked like home» Durchs gesamte Werk von Katrin Freisager zieht sich eine gewisse Passivität oder Wehrlosigkeit, die unvermittelt auch in Provokation und in Agressivität umschlagen kann. Diese kommt unter anderem in den lakonischen Werktiteln zum Ausdruck. Es sind entweder konkrete Verweise auf vom Bewusstsein ungesteuerte Zustände – zum Beispiel bestimmte Schlafphasen – oder Zitate, in denen sich das Subjekt scheinbar jeglicher Verantwortung oder Zugehörigkeit entzieht, am deutlichsten beim Werk «I found myself knocking at the door of what looked like home» («So merkte ich, wie ich an die Tür von etwas klopfte, das wie daheim aussah», 1999). Hier wird jede Handlung oder Reflexion auf Umstände oder Zwänge ausserhalb der Kontrolle des Protagonisten zurückgeführt, nicht einmal das Klopfen ist eine eigenständige, selbstinitiierte Tat. «I found myself knocking at the door ? » heisst eine Serie von zwölf schwarzweissen Standbildern eines Super-8-Films. Freisager hat von 1994 bis 1996 jedes Jahr einige Monate in einem der berüchtigsten Indianer-Reservate, der Pine Ridge Reservation in South Dakota, verbracht. Der Werktitel ist Zitat aus einem Gespräch mit einem Sioux-Indianer (ein Buch mit Freisagers Indianer-Portraits und Auszügen aus ihren Gesprächen wird im nächsten Jahr erscheinen). Immer wieder filmte sie in diesen Monaten des Reisens über Land, über endlose Autobahnen hinweg, direkt aus dem Auto und «sammelte» so wie Requisiten zu einem (zwar ereignislosen) Stück jene symbolträchtigen Dinge, die unser Leben ausmachen: Häuser, Telefondrähte, Strassen, eine fantastische Konstruktion (vielleicht ein Riesenrad?), Bäume und das so amerikanische Billboard. In Schwarzweiss sind diese harmlosen Bestandteile der Umgebung mystifiziert und ihr Einsatz als Symbol noch betont worden. Losgelöst vom narrativen Kontinuum des Films werden sie absolut und abstrakt und gehen ihres Wertes als «Wirklichkeitsindikator» eines spezifischen Alltags verlustig.
«Color of Skin» Ebenso allgemein gehalten ist schliesslich die Szene der neuesten Arbeit von Katrin Freisager, «Color of Skin» («Hautfarbe»,1999). Wieder handelt es sich um einen Ort der Passage, ein entleertes Hotelzimmer, in dem sich eine junge Frau selbstvergessen und in gewöhnlicher Unterwäsche bekleidet bewegt. Das vermeintliche Holztäfer der Wände ist gedruckte Billigtapete. Auf dem abgetretenen Spannteppich kräuselt sich ein einzelnes Haar, und eine helle Stelle markiert einen alten Fleck: beides Verweise auf frühere Ereignisse, ohne sie zu entschlüsseln. Wie die falsche Tapete den Raum, so halten der schäbige Büstenhalter und Slip das Mädchen bloss knapp zusammen, Kern und Schale drohen mit unmittelbarer Auflösung und Verschwinden. Als «Color of Skin» zum ersten Mal in einer Ausstellung gezeigt wurde, wurden Details davon nachts auf die beiden Fenster der Galerie Art Magazin als lichtdurchflutete Dias projiziert. Der zufällige Passant fiel dem eigenen voyeuristischen Drang zum Opfer und drückte sich an den Fenstern die Nase platt. Freisager versteht es meisterlich, Inhalt und Ausführung zur Deckung zu bringen. In der Vielzahl der Fotos von «Color of Skin» – ungefähr neun der gleichen Szene sind in verschiedenen Grössen auf der ganzen Wand verteilt – anerkennt sie die Eitelkeit und Vergeblichkeit des fotografischen Bestrebens, ein gesamthaftes Bild zu zeichnen. Auf inhaltlicher Ebene rutscht das Modell ebenso haltlos von unserm Blick und bleibt als Individuum unerfassbar wie auf konzeptueller Ebene das Unterfangen jedes Fotografen. In der Kontrolliertheit und konzeptuellen Eindeutigkeit spiegelt sich das Vorgehen der Künstlerin. Wochen- und monatelang bereitet sie jene paar Stunden vor, während denen die eigentliche Arbeit stattfindet, das Fotografieren der Modelle im Studio. In ihrer nächsten Arbeit will sie mit Foto und Film arbeiten. Protagonistin soll ein jugendlich frisches, hübsches Mädchen in einer künstlichen Golfspielanlage am Ufer des Hudson Rivers sein. Je reicher und komplexer die Regieanweisungen, desto unheimischer scheint der Mensch darin zu werden ohne Vorstellung vom eigenen Handeln oder Ziel. Die saubere Klarheit künstlicher Inszenierungen eignet sich für solche Widersprüchlichkeiten.
Institutionen | Land | Ort |
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Kunstmuseum Bern | Schweiz | Bern |
Ausstellungen/Newsticker | Datum | Typ | Ort | Land | |
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Missing Link - Menschen-Bilder in der Fotografie | 03.09.1999 – 14.11.1999 | Ausstellung | Bern |
Schweiz CH |
Katrin Freisager |
Carin Kuoni |