Philippe Parreno und Pierre Huyghe in der Kunsthalle
Dass man neuerdings auch virtuelle Figuren vor dem Tod retten kann, haben die beiden französischen Künstler Philippe Parreno und Pierre Huyghe in ihrem Projekt «No Ghost Just a Shell» vorgeführt. Sie haben einer japanischen Comic-Figur namens «Annlee» eine neue Identität verliehen, indem sie das Copyright an dieser Figur gekauft haben. Seitdem erzählen sie zusammen mit anderen Künstlerfreunden die Geschichten von «Annlee».
Philippe Parreno und Pierre Huyghe in der Kunsthalle
In der Kunsthalle Zürich sieht man «Annlee» eine Novelle laut lesen, dann offen und auch traurig über sich selbst reden, nämlich über ihre Situation als digitales Billigmodell in der japanischen Animationsindustrie. Ein leeres Zeichen, das Bewusstsein erlangt hat? Philippe Parreno und Pierre Huyghe, die beiden «Autoren» der Ausstellung, arbeiten mit Vorliebe mit Zeichen aus der Populärkultur. Besonders interessiert sie dabei unsere Beziehung zu fiktionalen Figuren. 1999 haben sie das Copyright und das Urbild einer als «Annlee» bezeichneten Figur von der japanischen Agentur «Kworks» erworben. «Kworks» entwickelt Figuren für Cartoons, Comicstrips, Werbung und Videospiele für die japanische Manga-Industrie, die Trickfilme und Comicbücher produziert. Parreno und Huyghe haben «Annlee», der ein schnelles Verschwinden angesichts der überhitzten Produktion der Manga-Industrie bevorstand, «adoptiert», um ihr gewissermassen ein Eigenleben zu ermöglichen. Die digitale Vorlage «Annlee» hat das Aussehen einer Mädchenfigur mit japanischen Gesichtszügen und riesigen leeren Mandelaugen. Parreno und Huyghe haben sie den Künstlerfreunden Dominique Gonzales-Foerster, Henri Barande, François Curlet, Liam Gillick, Melik Ohanian, Pierre Joseph/Mehdi Belhaj–Kacem, Richard Phillips, Joe Scanlan, Rirkit Tiravanija und M/M (Michael Amzalag und Mathias Augustyniak/Paris), einem der gegenwärtig interessantesten Graphic Design Teams, zugänglich gemacht. Diese realisierten im Rahmen des seit 1999 dauernden Ausstellungsprojektes Video- und Audio-Installationen, Bilder und eine Neon-Arbeit, wodurch diese Figur Persönlichkeit erlangt hat. Die einzelnen Stationen im Leben dieser fiktiven Figur sind nun in der Kunsthalle erlebbar gemacht.
Den sich im Zusammenhang mit der Filmindustrie und dem Internet stellenden Copyright-Fragen sind die am Projekt «No Ghost Just a Shell» beteiligten Künstler im Laufe ihres Projektes nachgegangen und sind dabei auf Fragen nach der Identität in der Realität und in der Kunst gestossen. Wie steht es nun mit der Identität von «Annlee»? Nach der Ausstellung in der Kunsthalle werden sich die Künstler nicht mehr mit «Annlee» beschäftigen: Der IKEA-Sarg – eigentlich ein schlecht und recht zusammengezimmerter Schrank – von Joe Scanlan weist darauf hin. Die Identität des Zeichens «Annlee» wie auch das Schicksal dieses Mädchens, mit dem wir uns – als Reisende zwischen Fiktion und Realität – während der Ausstellung schon ein bisschen identifiziert haben, ist offen; das Copyright haben Parreno und Huyghe an sie selbst übertragen.
Bis 27.10.
Institutionen | Land | Ort |
---|---|---|
Kunsthalle Zürich | Schweiz | Zürich |
Dominique von Burg |
Pierre Huyghe | |
Philippe Parreno |