Miriam Cahn und Ludwig Kirchner im Kirchner Museum
Die Sonderausstellung «Standpunkt 3» im Kirchner Museum wird von der Basler Künstlerin Miriam Cahn bestritten. Bis auf wenige Interventionen des scheidenden Direktors Roland Scotti hat sie das ganze Haus neu gestaltet. Schon im Eingang nimmt man die veränderte Situation wahr. Wie eine gebogene Wirbelsäule zieht sich eine Reihe von Tischen mit Skizzenbüchern von Kirchner durch die Halle.
Miriam Cahn und Ludwig Kirchner im Kirchner Museum
Die Künstlerin hat sich eingehend mit Werk und Leben von Ernst Ludwig Kirchner auseinander gesetzt. Sein «Fluchtweg» war der Weg in die Kunst, das «Dach» darüber das Museum. Miriam Cahn ist dieser Gedanke nicht fremd. Im ersten Saal lässt sie Kirchners Leben von 1909 bis 1937 in 126 digital ausgedruckten Fotografien, die von ihm selbst stammen, vorüberziehen. Nach einer selbst gewählten Reihenfolge in einem Fries angeordnet, auf- und abschwellend wie eine Partitur, schafft sie Bezüge von einem Bild zum andern. Darunter ist ein Band von Vitrinen mit Kirchners chronologisch ausgelegten Skizzenbüchern aufgereiht.
Kirchners Figurenbilder (1908 bis 1937), dicht und stets im gleichen Abstand gehängt, werden durch Gegensätze jäh unterbrochen: Durch eine reine Farbkomposition, durch ein Selbstporträt, das sich zwischen lauter Frauenbildnisse mischt, oder den martialischen Männeraufmarsch einer Landsgemeinde in einer beschwingten, weiblich dominierten Szene. Ganz anders die sechs Landschaftsgemälde aus der Davoser Zeit (1917 bis 1926), die von seiner Brillanz als Bergmaler zeugen. Das «Tinzenhorn» beherrscht eine ganze Wand und kommt mit seinen leuchtenden expressionistischen Farbklängen voll zur Geltung.
Dann Miriam Cahns grosses, wortloses Staunen in einem eigenem Saal: Bedächtig muss man sich der überbordenden Fülle künstlerischen Ausdrucks nähern. Cahn war schon immer eine mahnende, politische Künstlerin. Ihr Potenzial hat sich verfeinert, vertieft und eine beeindruckende, fesselnde Dimension erreicht, sowohl inhaltlich wie künstlerisch.
In Gruppen gehängt, in leuchtenden Farben oder strengen schwarzen Schraffuren, heiter und bedrohlich, lichtvoll und düster, in kleinsten Formaten und spektakulärer Grösse, zeigt die Künstlerin 93 Arbeiten von 1992 bis 2006. Eine Folge nennt sie «meine juden». Mit der Reihe von Köpfen stellt Cahn einen Bezug zu ihrem Namen her.
Die Arbeiten mit biografischem Hintergrund offenbaren schonungslos die ganz persönliche Denkweise der Künstlerin. Sie zeigen Dinge, die man nicht reflektiert, die Isolation einer Gruppe, die Position der Frau, die Fremdheit in der Welt, die Aufgabe von Sicherheiten. Cahn stellt Fragen nach dem menschlichen Wesen allgemein. Sie thematisiert Krieg, sozialpolitische Zwänge und Zustände.
Aus geheimnisvollen, fast lebensgrossen Frauenakten strahlt wie unter einem geheimnisvollen Schleier verborgen Lebendigkeit und Kraft. Die Geschlechtlichkeit verwischt sich, aus Frauen werden Menschen, Kinder. Die Künstlerin malt androgyne Gestalten, wundersame Tiere, gestaltet Landschaften, Architektur. Im «überdachten fluchtweg» des Museums lässt sich ihr Werk wahrnehmen und bedenken. Zur Ausstellung ist ein autonomes Künstlerbuch von Miriam Cahn erschienen.
Institutionen | Land | Ort |
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Kirchner Museum Davos | Schweiz | Davos |
Miriam Cahn |
Gisela Kuoni |