Urban Farming - Rural Art: die Kunst des Essens und Bewahrens

Bonnie Ora Sherk · The Farm, 1974, Zeichnung

Bonnie Ora Sherk · The Farm, 1974, Zeichnung

Åsa Sonjasdotter · The Order Of Potatoes/A Potato Perspective on a European Matter, 2009, Ausstellungsansicht Den Frie Center of Contemporary Art, Kopenhagen

Åsa Sonjasdotter · The Order Of Potatoes/A Potato Perspective on a European Matter, 2009, Ausstellungsansicht Den Frie Center of Contemporary Art, Kopenhagen

Fokus

In Grossstädten weltweit wird derzeit geackert: auf Dächern von Lagerhallen in New York, städtischen Brachen in Berlin und mit Guerilla Gardening an unbestimmten Orten. Urbane Landwirtschaft hat seit einigen Jahren Konjunktur und erscheint als aktueller Trend. Ein Streifzug durch die rurale Kunstlandschaft vermittelt ganz unterschiedliche Ansätze.

Urban Farming - Rural Art: die Kunst des Essens und Bewahrens

Die Gartenprojekte in der Stadt, nicht selten von Künstlern initiiert, thematisieren neben Gemeinschaft und der (Um-)Nutzung von städtischem Raum ganz explizit auch Anbau und Essen und können deshalb als Sichtbarmachung gesellschaftlicher und kultureller Veränderungen im Bereich Landwirtschaft und Ernährung verstanden werden. Eine Tendenz, die sich auch in der zeitgenössischen Kunst in Strategien zum Erhalt von Wissen um Nahrung ausmachen lässt.

Symbolische und reale Produktionen
Ein prominentes künstlerisches Beispiel urbaner Landwirtschaft ist einer der ersten städtischen Bauernhöfe in San Francisco, 1976 von Bonnie Ora Sherk unter einem Autobahnkreuz gegründet. ‹The Farm›, wie das Projekt ‹Crossroads Community› inoffiziell genannt wurde, entwickelte sich während seines sechsjährigen Bestehens zu einem partizipativen Ort für Erwachsene und Kinder. Mit dem ‹Raw Egg Animal Theater› schuf die Performance-Künstlerin und Landschaftsarchitektin eine Plattform speziell für die Begegnung von Menschen und Tieren. Heute ist das Grundstück ein öffentlicher Park und Bonnie Ora Sherk entwickelt unter dem Label ‹A Living Library› urbane Gärten an zahlreichen Orten.
Neben urbaner Landwirtschaft mit eher symbolischem Charakter gibt es auch solche, die der realen Versorgung dient. Die nordamerikanische Stadt Detroit, durch den Niedergang der Autoindustrie im wahrsten Sinne brachliegend, verfügt in der Innenstadt kaum noch über Einkaufsmöglichkeiten. Die Chicagoer Sozialwissenschaftlerin Mari Gallagher hat dafür den Begriff der Fooddesert geprägt, er bezeichnet Gebiete, in denen es nicht möglich ist, sich ohne Auto mit Essen (ausser Fastfood) zu versorgen. Grosse landwirtschaftliche Projekte nutzen die Brachen inmitten der Stadt für den Gemüseanbau, der z.B. in anliegenden Suppenküchen Verwendung findet. Die Detroiter Künstlerin Corinne Vermeulen hat in ihrer Fotodokumentation ‹Your Town tomorrow› (seit 2001) die örtlichen Veränderungen und Neuerungen im Leben der verbliebenen Detroiter festgehalten. Einen wichtigen Stellenwert nehmen dabei die neuen Landwirte ein, die den städtischen Grund bearbeiten und sich damit eine Existenzgrundlage schaffen.
Künstlerischen Projekten, die sich heute mit Essen und Landwirtschaft beschäftigen, ist eines gemein: Sie schaffen Bilder aktueller und neuer Situationen rund um die Produktion von Nahrung, decken verschüttetes Wissen um die Herstellung und Verarbeitung auf und machen Erfahrungen möglich, die durch die fortgeschrittene Industrialisierung der Landwirtschaft nur noch schwer vermittelbar sind. Sie wenden sich damit einem Sektor zu, der in der Kunst bis heute nur marginal behandelt wurde.

Learning from a potato
Künstlerinnen und Künstler begreifen den Umgang mit Nahrung als Teil kultureller Identität, mit dessen Verlust durch Veränderungen in der Produktion und Distribution von Essen ein grosser kultureller Wandel einhergeht. Das Bewahren und Wiederbeleben von Traditionen und der Erhalt vom Wissen ums Essen scheint dabei ein Weg, mit diesem Kulturverlust umzugehen. In England, einem Land mit ausgeprägter ländlicher Kultur, hat sich der Begriff der Rural Art etabliert, der vornehmlich Kunstprojekte beschreibt, welche das Leben im ruralen (ländlichen) Raum nicht nur thematisieren, sondern sich zudem in dieses einschreiben. Etwas anders verhält es sich mit den hier vorgestellten Werken, in denen das Thema Landwirtschaft und Essen Eingang in eine zeitgenössische Kunstpraxis findet, die durchaus auch in städtischen Kulturinstitutionen gezeigt werden kann.
Ähnliche Strategien verfolgen in diesem Zusammenhang die in Berlin lebende Künstlerin Åsa Sonjasdotter und die Künstlergruppe Fallen Fruit (David Burns, Matias Viegener, Austin Young) aus Los Angeles. Während erstere sich mit ‹Learning from a potato perspective› (seit 2005) anhand der Kulturgeschichte der Kartoffel Themen wie Migration, Genetik und Kultur widmet, sehen Fallen Fruit die Welt durch die Frucht. Mit Blick auf die eigentümerlosen Obstbäume im eigenen Viertel sind sie vor allem an der Begegnung von Mensch und Frucht interessiert. Bei sogenannten Jam-Sessions geht es nicht nur um die Gemeinschaft des Obstes im Glas, sondern auch um die der Köche und Köchinnen.
Doch gehen die Blicke der Künstler auch mehr und mehr aufs Land, an die wahren Orte von Nahrungsmittelproduktion. So hat die in San Francisco lebende Künstlerin Amy Franceschini - bekannt geworden mit ihrem urbanen Landwirtschaftsprojekt ‹Victory Gardens› (2007) in San Francisco - im letzten Jahr zusammen mit Daniel Tucker ein Buch mit dem Titel ‹Farm together now› herausgegeben. Es portraitiert
24 landwirtschaftliche Betriebe von der Hippiekommune bis zum konventionellen Betrieb in den USA und lässt die Bauern und Bäuerinnen zu Wort kommen.

Erhalt alter Methoden
Nicht nur dokumentierend, sondern initiierend agieren Künstler auch für den Erhalt alter Methoden der Landwirtschaft und Nahrungsmittelproduktion, wie der Spanier Fernando García-Dory. In der 2004 von ihm gegründeten «Sheperds School» in Asturien im Norden Spaniens unterrichten erfahrene Schäfer jedes Jahr eine Gruppe von Interessierten in der Schäferarbeit. Dazu gehört der Umgang mit den Tieren ebenso wie die Verarbeitung der Milch zu dem lokal typischen Käse. Unterstützt wird das Projekt vom Staat, der mit der Bewirtschaftung der Region durch Schäfer sicherstellt, dass die besondere Kulturlandschaft dieses Landstrichs erhalten bleibt. Das Erhalten der ortstypischen Landwirtschaft spielt hier gleich auf mehreren kulturellen Ebenen eine Rolle.
Ähnliches war auch beim Projekt ‹Vorratskammer› der Künstlerinnengruppe myvillages anlässlich des Festivals ‹Über Lebenskunst› im Haus der Kulturen der Welt in Berlin der Fall. Seit über einem Jahr hatten die Künstlerinnen Vorräte angelegt, welche die Festival-Besucher für vier Tage versorgten. Die eigene Auflage, dass diese Lebensmittel aus Berlin oder der näheren Umgebung stammten, entspricht einer historischen Situation in der Versorgung der Städte, wie sie auch die Britin Carolyn Steel in ihrem Buch ‹Hungry City - How food shapes our lives› (2008) am Beispiel London beschreibt. Für das Festival hatten die Künstlerinnen Schweine geschlachtet, Pilze gesammelt, Früchte gepflückt und viele Sympathisanten gefunden, die für sie angebaut, gemästet, gebrannt und verarbeitet haben. Dabei griffen sie auf eigenes Wissen und das von anderen zurück. Die Sichtbarmachung dieses Wissens auf einer Internetseite während der Produktionszeit und während des Festivals waren wichtige Bestandteile des Projekts. Die kulinarischen Ergebnisse wurden mit den Hintergründen ihrer Entstehung und damit als kulturelle Produkte serviert.

Anne Kersten ist freie Kuratorin in Berlin. Im Juni 2011 war sie mit Unterstützung des Goethe-Instituts auf Recherchereise in den USA zum Thema Kunst & Landwirtschaft.

Autor/innen
Anne Kersten

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