Marcel Broodthaers — Echo der Institutionskritik
Im MASI ist derzeit eine Ausstellung zur Werkgruppe ‹Plaques› von Marcel Broodthaers zu sehen. Die Schau gibt durch das Prisma der Tafeln Einblick in das Schaffen des belgischen Künstlers ab 1968 und suggeriert zugleich interessante Parallelen zur jüngsten kulturpolitischen Geschichte Luganos.
Marcel Broodthaers — Echo der Institutionskritik
Lugano — Es ist nicht das erste Mal, dass die Plastiktafeln des belgischen Künstlers Marcel Broodthaers (1924–1976) in der Schweiz ausgestellt sind. Aus verschiedenen Sammlungspräsentationen sowie gelegentlichen Retrospektiven sind sie dem Publikum vereinzelt bekannt. Doch ist es zweifellos ein Novum, die zwischen 1968 und 1972 entstandene Werkgruppe als inhaltliches Kernstück einer Ausstellung in dieser Fülle präsentiert zu bekommen. Die durch die Kombination von Textfragmenten sowie piktoralen Elementen inhaltlich komplexen ‹Plaques› – oder «industriellen Gedichte», wie von Broodthaers einst liebevoll genannt – erhielten bis anhin vor allem Beachtung in Verbindung mit Broodthaers’ zeitgleich entstandener, kanonischer Museumsfiktion ‹Musée d’Art Moderne, Département des Aigles›, 1968–1972. Nun wurden sie auf Initiative des Brüsseler Kunstzentrums Wiels unlängst Objekt eines umfänglichen Recherche- und Ausstellungsprojekts.
Erstmals wurde der aus 36 Hauptsujets bestehenden Serie so ein kunsthistorisches Interesse beigemessen, das über ihre Rolle als Werbeträgerin für die verschiedenen Abteilungen des fiktiven ‹Musée› hinausgeht. Broodthaers schuf das ‹Musée› infolge der 1968er-Protestbewegungen als kritische Reflexion über die Rolle der Ausstellungsinstitution bei der Definition und Legitimation von Kunst. Im MASI ist nun eine adaptierte Version der Brüsseler Schau zu sehen, in der eine aufschlussreiche Auswahl der ‹Plaques› ergänzt durch Zeichnungen sowie drei filmische Arbeiten des Künstlers präsentiert werden. Während die Ästhetik der seriell im Thermoformungsverfahren hergestellten Relieftafeln an den öffentlichen Charakter von Strassen- oder Reklameschildern erinnert, widerspricht die Limitierung der Auflage (je 7 Stück) auf provokante Weise der damaligen Forderung, Kunst und Kultur massenzugänglich zu machen. Insbesondere ‹Le Drapeau noir (tirage illimité)›, 1968, eines der ersten Tafelmotive, veranschaulicht den Wunsch nach einer selbstbestimmten antielitären Kulturlandschaft: Es entstand in einer ersten Version als Reaktion auf die Besetzung des Palais des Beaux-Arts in Brüssel durch eine Gruppe von Studierenden, Aktivist:innen und Kunstschaffenden – darunter Broodthaers selbst. Vor dem Hintergrund der behördlich verordneten Schliessung und Zwangsräumung des autonomen Luganer Kulturzentrums Molino im Mai letzten Jahres scheint die schwarze Flagge vor den weissen Wänden der hauptsächlich von einer Schweizer Grossbank finanzierten Institution beinahe ironisch an ebendiese Rufe zu erinnern.
Institutionen | Land | Ort |
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MASI Lugano | Schweiz | Lugano |
Ausstellungen/Newsticker | Datum | Typ | Ort | Land | |
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Marcel Broodthaers — Industrial Poems | 01.05.2022 – 13.11.2022 | Ausstellung | Lugano |
Schweiz CH |
Marcel Broodthaers |
Selma Meuli |