Never Trip Alone

Michel Majerus · yet sometimes what is read successfully stops us with its meaning, no. 1, 1998 (Detail) ca. 290x490 cm, Lack und Computerprint auf Aluminium
Courtesy neugerriemschneider, Berlin

Michel Majerus · yet sometimes what is read successfully stops us with its meaning, no. 1, 1998 (Detail) ca. 290x490 cm, Lack und Computerprint auf Aluminium
Courtesy neugerriemschneider, Berlin

sein lieblingsthema war sicherheit, seine these – es gibt sie nicht, 1999, Installationsansicht; alle Fotos Courtesy neugerriemschneider, Berlin

sein lieblingsthema war sicherheit, seine these – es gibt sie nicht, 1999, Installationsansicht; alle Fotos Courtesy neugerriemschneider, Berlin

Fokus

Die künstlerischen Appropriationen des Michel Majerus drehen sich vor allem um Zeit, Zitat und Zirkulation. Malerei, Skulptur und Installation als Wahrnehmungs- und damit nicht zuletzt als Verbraucherproblem stehen hier zur Disposition. Spannend ist dabei, dass Majerus selbst nicht nur zitierender und recycelnder Produzent ist, sondern immer auch zum aktiven Rezipienten wird und so seiner eigenen Bilderverarbeitung und damit den eigenen Seh(n)süchten auf die Spur zu kommen sucht.

Never Trip Alone

Die «Bilderaufbereitungsmaschine» Michel Majerus

Ab wann spricht man eigentlich von «Erinnerung»? Wie lange muss die Dauer sein, die sich zwischen ereigneter Zeit und der eigenen mentalen Abrufung dieser erstreckt? Vielleicht mit dieser Fragestellung verwandt: Wann eigentlich beginnt «Geschichte»? Oder, um es sich nicht zu einfach zu machen: Wenn beispielsweise Flugzeuge heute bereits schneller fliegen können als der Schall, also erst gehört werden, nachdem sie gelandet sind, ist dann nicht auch eine Erinnerung denkbar, die einsetzt, bevor mein Sehereignis in der «Gegenwart» angekommen ist? Wäre also der zeitliche Ablauf von Geschichte aufgelöst und etwa ein Remake eines noch nicht gemalten Bildes möglich? Antworten auf diese Fragen gibt vielleicht schon jetzt die Kunst von Michel Majerus.

A Link to the Past Unser imaginäres Museum ist gestrichen voll mit Malerei und Zeichnungen, Skulpturen und Architektur. Die ganze Kunstgeschichte ist verfügbar – in Büchern, auf Kalenderblättern, in Hollywood-Filmen, manchmal als Original sogar wurde längst alles schon mal gesehen. Zumal als Kunststudent hat man diese Bild-Geschichte schnell internalisiert und arbeitet erstmal im Bewusstsein der Nachfolge, dann oftmals im Streben nach Bildersturm oder Innovation. Michel Majerus zitiert in seiner Arbeit diverse künstlerische Quellen – nicht in postmoderner Beliebigkeit, sondern ganz bewusst wird dabei nach persönlichen Vorlieben und Interessen ausgesucht: Immer wieder tauchen hier die «Handschriften», die von Majerus spielerisch leicht, fast «umgangssprachlich» nachvollzogenen künstlerischen Grammatiken, von Günther Förg, Frank Stella oder Willem de Kooning auf; Donald Judd wird von dem aktiven Bilderseher ästhetisch resemantisiert, genauso wie Gerhard Richter und vor allem Andy Warhol, neuerdings auch dessen Kollaborationen mit Jean-Michel Basquiat. In dem Bild «o.t.» (1996) beispielsweise hat Majerus – ähnlich wie ein Grafiker an seinem Computer verschiedenste Bildinhalte bearbeitet – den «Skull» (1976) von Andy Warhol zu einem abstrakten Bild geklont. Auf einem nächsten Bild sampelt Majerus – einem DJ am Mischpult vergleichbar – die Ästhetiken von Gerhard Richter und Willem de Koonig zu einer neuen «Remixed-Version». So steht der Künstler nicht als blosser Wiederkäuer der scheinbar unentrinnbaren Kunstgeschichte ohnmächtig gegenüber, sondern bewegt sich in ihr als verwendender Interpret, der seine eigene Rezeption und «Beeinflussung» analysiert und diese während der künstlerisch praktizierten Analyse zudem ummünzt in lustvolle und zugleich selbstbewusste Re-Produktion. Der Produktion als Reproduktion gelingt zudem, der sich immer schneller drehenden Spirale vom Angebot neuer Ware und deren Nachfrage im Kunstbetrieb zu entkommen und nachzukommen zugleich. Majerus gewinnt gleichsam in seinem «postindustriellen», nicht mehr heroisch neuentwickelnden Output in Form einer «Produce-Reduce-Reuse» – so der Titel seiner Ausstellung in der Galerie Karlheinz Meyer in Karlsruhe 1997 – die Zeit, seine bildhaften «Zitate» in die Zirkulation des Marktes einzubringen.

All You Need Doch nicht nur die Daten der High Art, sondern auch die von visuellen Erscheinungen aus Werbung und TV, aus Computerästhetik und alltäglichem Design beispielsweise werden täglich in den Speicher unseres Gedächtnisses eingegeben. Also verarbeitet Michel Majerus auch solche Daten sekundenschnell in seiner Arbeit, denn die Trennung von High and Low ist hier so obsolet geworden, dass sie nicht einmal mehr thematisiert zu werden braucht: Gleichberechtigt steht das Dekor einer Tasse aus der ehemaligen DDR neben dem amerikanisch geprägten Abstrakten Expressionismus, oder der Computerspiel-Star «Super Mario» glänzt auf einer monochrom lackierten Fläche Marke Donald Judd. Ein anderes markantes Beispiel dieser flugsen Vermählung von Kommerz und Kunst ist der silberne, den auf ihm Stehenden spiegelnde Boden seiner Rauminstallation «sein lieblingsthema war sicherheit. seine these – es gibt sie nicht» (1999), der auf Arbeiten der Minimal Art genauso anspielt, wie auf übliche Environments im Supermarkt an der Ecke. Und natürlich darf auch ein dynamischer Sneaker von NIKE, grossflächig an der Wand der Ausstellungshalle präsentiert, nicht fehlen.Solche Form von Kurzschluss leistet in Majerus’ Werk, wie gesagt, weniger einen bereits in den sechziger Jahren vorgeführten Bildersturm, als vor allem dieses: Das Werk wird gewissermassen zum Tagebuch, zum Protokoll des täglichen Lebens und Sehens des Künstlers. Unschwer lassen sich die Sehnsüchte der Generation, zu welcher der Künstler gehört, ablesen. Unschwer sind hier ästhetische Vorlieben – die amerikanische Malerei der sechziger Jahre oder Techno-Musik beispielsweise – von Majerus zu entdecken, und auch seine «Hobbys» wie Computerspiele oder Carrera-Rennbahn sind den Bildern und Installationen ganz offensichtlich eingeschrieben. Bände sprechen ebenso die Reminiszenzen an die eigene Jugend – die zum Halbrelief aufgeblasene, zerknitterte Zeitschrift «Bravo» in besagter Installation «sein lieblingsthema war sicherheit. seine these – es gibt sie nicht».

Not Much Is Thrown Away Because There Really Is No Place To Throw It Das Problem der Erinnerung spitzt Majerus zu, wenn er den späten Willem de Kooning in seinen eigenen malerischen Kosmos einschleust. In einem seiner Gemälde mit deutlichen Referenzen auf die Malerei de Koonings hat Majerus zudem mit der Inschrift «Nadh» den Namen eines Medikamentes zitiert, das Adern im Gehirn bei Verstopfung wieder die Durchblutung ermöglichen soll. Bekanntlich litt de Kooning seit Mitte der achtziger Jahre an der Alzheimer Krankheit, und Gedächtnisverlust wurde zunehmend eine conditio sine qua non seiner Arbeit. Gleichsam eine unauflösbare Komprimierung der Datenmengen im Kopf liess seinen Malprozess zu einem unterbrochenen werden, der stets von neuem beginnen musste. Indem Majerus nun de Koonings späte Malerei zitiert, zeigt er als pointierten, von ihm vergleichsweise selten formulierten Kontrapunkt die Begrenztheit unserer Speichermöglichkeiten auf. Wenn zudem selbst im Museum kein Platz mehr ist, Bilder zu hängen, die Depots längst mehr beherbergen, als in den Sammlungen zu sehen ist, dann blitzt das Vergessen als mögliche Alternative zum aktiven Rezipienten auf, dessen innerer Festplatte eine kurze Ruhepause zu gönnen ist.

Fürs 21. Jahrhundert hat der Künstler in ein Porträt des Techno-Papstes Sven Väth geschrieben. Immer wieder findet man in Majerus’ Arbeit die Logos bekannter Techno-DJs und bei seiner Ausstellung 1996 in der Kunsthalle Basel liess der Künstler einen schweren, auf die Techno-Ästhetik referierenden Stahlgitterboden in die altehrwürdigen Hallen einziehen. Die Techno-Musik ist bekanntlich durch einen Zeitverlauf charakterisiert, der – wie etwa bei der Rap-Musik oder dem Hip-Hop auch – dank der Möglichkeiten von modernen, Ende des Jahrtausends aber überaus preiswerten Speichermedien wie Computer oder Recorder sich aus einer Rekonfiguration des zeitlichen Ablaufes zusammensetzt. Tendenziell ohne Anfang und Ende, ohne Vorspiel und Höhepunkt, dafür aber in einer scheinbar «kontextlosen Beschleunigung ohne Zielort» (Simon Reynolds) entwickelt sich hier das musikalische Geschehen weniger, als dass es (im Loop) beinahe endlos existiert. Die oft ins Bild gesetzten Helix-Schleifen und das begrenzte, aber endlose Rund der Carrera-Rennstrecke mögen in Majerus’ ?uvre die Symbole hierfür sein, die Gleichzeitigkeit von Sechziger-Jahre-Kunst und Jahrtausendwende-Ästhetik die konkrete Realisierung dieses «bewegten Stillstandes» (Paul Virilio). Die Frage nach Zukunft erscheint aus dieser Perspektive als sinnlos: gestern, heute und morgen ereignen sich in Michel Majerus’ künstlerischem «Tagebuch» eben genau jetzt.


Man kann keine Kunst mehr machen, die ausschliesslich Kunst ist. (MM)

Künstler/innen
Michel Majerus
Autor/innen
Raimar Stange

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