Mit Unschärfe wider die digitale Matrix

Silva Reichwein (*1965), lebt in Zürich und Berlin; Foto: Monica Bonvicini

Silva Reichwein (*1965), lebt in Zürich und Berlin; Foto: Monica Bonvicini

O.T., 1999, 120 x 120 cm, Öl auf Leinwand; Courtesy Art Magazin, Zürich

O.T., 1999, 120 x 120 cm, Öl auf Leinwand; Courtesy Art Magazin, Zürich

Fokus

Der Medientheroretiker Boris Groys ging in seinem letzten Buch dem Verdacht nach, das «Nichts» hinter den Oberflächen sei der submediale Raum, der den Blick auf die Oberflächen als optisch unbewusster Verführer aktiviere. In der Malerei von Silva Reichwein lässt sich dieser Gedanke ausführen.

Mit Unschärfe wider die digitale Matrix

Zur Malerei von Silva Reichwein

Die fingierten Bewegungen von Kreisen auf quadratischem Grund scheinen wie Zittern und Vibrieren: ein in Bewegung stillgehaltenes Moment. Und wollte jemand die Qualitäten von gemalten und elektronischen, statischen und bewegten Bildern gegeneinander ausspielen, hätte er angesichts der Malerei von Silva Reichwein eine harte Nuss zu knacken. Die Kreise fliegen wie Bälle aus der Tiefe des Bildraums auf den Betrachter zu oder schweben an ihm vorbei. Im selben Zug wird der piktoralen Illusion aber auch widersprochen, die Bewegung im Flug gestoppt; daher das Beben der Flugkörper.Reichweins Ziel liegt im Ausgleich von Gegensätzen. Sie will zwei einander ausschliessende Zustände nicht neben- oder hintereinander, sondern synchron darstellen. Die farblichen und figurativen Impulse sind zu Halb- und Vierteltönen verschliffen und betonen ihre medienspezifische Flachheit bei gleichzeitiger Intensivierung räumlicher Illusion.Die thematisierte bildinterne Opposition gewinnt Strukturähnlichkeiten zu Sprach- und Denkformen wie sie vor allem das Barock liebte. François Villon «stirbt vor Durst an der Quelle». Solche Sprach- und Denkweisen erscheinen durch dekonstruktivistische Verfahren der letzten Jahrzehnte in neuem Licht. «Unentscheidbarkeit» und «performativer Widerspruch» sind mächtige Kategorien gegen digitale Logik und die «Widerspruchsfreiheit» positivistischer Diskurse geworden. Malerei hatte sich an letztere nie gehalten.Reichwein bringt mit einem Minimum an Elementen und hohem handwerklichem Geschick diesen Gedanken ins Lot. «Das Bildformat, ein Quadrat, unspektakulär, ein Kreis, inhaltlich uninteressant, verwende ich als Hilfsmittel, um Komplexität zu erreichen,» schreibt sie und fügt hinzu: «Mich interessiert der unterschiedliche Kontext der Kreise. Und zwar bevor sie eine Interpretation ergeben; da ist die Malerei visuelle Erfahrung, individuell, unterschiedlich.»Wenn Unentschiedenes stark genug ist, wirkt es beunruhigend. Das ist aber bei den Bildern Reichweins nicht der Fall. Sie wirken wie das Bild eines ruhenden Pfeils in der Luft, von dem man nicht weiss, wer ihn auf welches Ziel abgeschossen hat. Es ist ein Zwischenzustand und genügt als Bild sich selbst. Erst dem Nachdenken entspringt eine Beunruhigung.Wenn das Medium (Tafelbild) zur Botschaft wird, dann wird der Träger Zeichen und der submediale Raum offenbart sich. Das setzt voraus, dass das submediale Innere anders beschaffen ist als die mediale Fläche. Und in der Tat geht es bei diesen Bildern nicht allein um das Sehen als Form der Aneignung, sondern um verschiedene Kontexte und Fragestellungen, in die das Bild gestellt werden kann. Darin liegt ein spielerisches Moment. Reichwein bekräftigt es mit Titeln wie «3 lost 4 won».Es lässt sich angesichts dieser Bilder eine Malerin denken, die mit den Zeichen (Kreise/Kugeln, Farbe?) rein operational umgeht, ohne auf den Sinn und die Bedeutung zu achten, eine Malerin, der das Malen selbst Inhalt genug ist und die beim wiederholten Malen des Immergleichen jedes Mal einen aufgehobenen, möglichst in sich selbst ruhenden Zustand erreichen will. Darin liegt eine Form von Glück. Und Glück braucht sich nicht zu erklären. Daraus entstehen je nach Zusammenhang, in dem die Bilder gesehen und gedacht werden, Sinn- und Bedeutungseffekte, die für die Malerin weder gemeint, noch vorhersehbar waren. Es sind Wahrheiten jenseits des Ateliers. Aber hier müssen sich die Bilder bewähren.


Ausstellungen/Newsticker Datum Typ Ort Land
Silva Reichwein 07.10.200011.11.2000 Ausstellung Zürich
Schweiz
CH
Autor/innen
Peter Herbstreuth
Künstler/innen
Silva Reichwein

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