Im Kriechgang durch die Trümmerlandschaft
Christoph Büchel ist so etwas wie ein Anti-Fengshui-Meister. Er entwirft Räume, in denen sich niemand wirklich aufhalten möchte. In seiner Ausstellung in der Kunsthalle Basel konfrontiert uns Büchel wieder einmal mit einem akribisch durchexerzierten «worst-case-scenario». Und wieder kommt er uns mit seiner Vision näher, als uns lieb ist.
Im Kriechgang durch die Trümmerlandschaft
Zu Christoph Büchels Katastrophenszenarien
Der Titel «HOLE» evoziert eine Reihe von Assoziationen: von der qualmend klaffenden Wunde eines «Ground Zero» über das Erdloch-Versteck Saddam Husseins oder eines x-beliebigen Terroristen im Untergrund bis hin zu schwarzen Löchern im Universum. Die gleichnamige Installation in der Kunsthalle Basel ist eigentlich nichts von dem, und doch von allem etwas. Mit «HOLE» könnten aber auch schlicht die engen Löcher gemeint sein, durch die man sich in den klaustrophobischen Rhizomen seiner minuziös inszenierten Psychoräume immer wieder zwängen muss. Oder aber ein schwelender Zustand kollektiver Amnesie. Wie auch immer - der vor kurzem erst frisch renovierte Oberlichtsaal scheint momentan von einer Art schwarzem Loch verschluckt zu sein. Der Eintritt geschieht nicht über die repräsentative Kunsthallentreppe, sondern durch einen Aufzug im Foyer. Und wie so oft in Büchels Arbeiten befindet man sich zunächst in einem deprimierenden Wartezimmer - da helfen auch die esoterisch angehauchten Bilder and der Wand nichts. Auf einem Überwachungsmonitor läuft ein höchst beunruhigendes Video. Durch einen Schleusenraum gelangt man in ein fensterloses Arbeitszimmer, das offensichtlich einem Psychotherapeuten gehört. Auf dem Tisch ein aufgeschlagenes Buch zur Rorschach-Technik, in den Regalen, neben afrikanischen Schnitzereien, ein Sammelsurium von Werken über Soziologie, Psychologie, Therapie, Heilung und Selbsthilfe. Darunter Klassiker wie Freuds «Zwang, Paranoia und Perversion» oder Neil Postmans «Wir amüsieren uns zu Tode». Auf einem Sofa liegen ausgebreitet 9/11-Memorial Gebetsteppiche aus Afghanistan. Hinter einem Plastikvorhang befindet sich ein einfaches Badezimmer mit einem Loch in der Wand. Der Weg führt durch einen schmalen Lüftungsschacht nach oben und mündet wieder neben einer Toilettenschlüssel - die ausgehobenen Kacheln liegen neben dem geheimen Portal. Von hier gelangt man ins Herz der Installation. In einer behelfsmässig errichteten Mehrzweckhalle steht das ausgeweidete Skelett eines zerbombten Reisebusses. Sein Zustand lässt den Rückschluss zu, dass es keine Überlebenden gab. Darum herum, akribisch ausgebreitet auf Sortiertischen, teils eingeschweisst oder mit Etiketten versehen in Regalen lagernd, die versprengten Überreste der Explosion. Die rudimentären Indizien sowie Konstruktionspläne sollen Auskunft über die ehemalige Beschaffenheit des Busses, seine Passagiere und den Hergang der Katastrophe geben. Viel erfährt man nicht, doch eins steht fest: Der imaginäre Anschlag fand nicht in Jerusalem, Ramallah, Bagdad, Kairo oder London statt. Es handelt sich laut Länderkennzeichen offensichtlich um einen Schweizer Bus. Die akribische Aufarbeitung des Chaos führt jedoch vor allem eines vor Augen: die hilflose Absurdität rationaler Postkatastrophenbewältigung und ihrer vermeintlichen Kontrolle.
Kollabierende Realitätsebenen Wie in früheren Arbeiten, etwa «Close Quarters», 2004, einem simulierten Asylheim im Kunstverein Freiburg, spielt Büchel geschickt mit den verschiedenen Perspektiven des Voyeurismus. Er lässt uns ohne Distanz so nah an das Geschehen heran, dass es beinahe weh tut. Wir öffnen Schubladen, nehmen persönliche Dinge absenter Personen in die Hand, betreten sogar das Innere des Buskadavers. Eine weitere räumliche Ebene lässt aus einer Art Kontrollraum heraus den distanzierten Überblick über die bereits geordnete Katastrophe zu. Der überschauende Blick aus sicherer Entfernung erinnert zynisch an die umstrittene Aussichtsplattform von Diller & Scofidio in Lower Manhattan, welche den halbwegs geräumten «Ground Zero» wenige Monate nach den Anschlägen von 9/11 zur Touristenattraktion machten. Die Aufräumarbeiten sind längst im Gange, die stinkenden Leichenteile geborgen, Reste verbogenen Stahls und viel Schutt sind zu besichtigen. In Büchels Version sind auch die Arbeiter fort, die Szene ist zur düsteren Entropie erstarrt.
Noch einmal muss man sich bücken, um von einem quarantänehaften Schlafraum aus durch einen schmalen Spalt am Boden in eine rustikal eingerichtete Wohnstube spähen zu können. Spätestens hier wird klar: die vermeintlich heile Welt ist längst von dunklen Mächten untergraben, die Schweiz hat ihren sicheren Hort unantastbarer Neutralität verloren. Doch die vielfältigen Referenzen und Indizien in «HOLE» sind so komplex wie uneindeutig. Zeit-, Raum- und Realitätsebenen kollabieren. Katapultiert uns Büchel in eine düstere Zukunftsvision oder ist die Katastrophe längst geschehen? Der einzige Ausweg ist der unbequeme Weg zurück. Nochmals müssen wir die schaurige Werkstatt passieren, wieder landen wir im so genannten «Shrink Room» ? jener seltsamen psychotherapeutischen Praxis zur posttraumatischen Wiederaufarbeitung. Auf dem Weg hinaus grüsst eine Luftaufnahme vom Zürcher Flughafen.
Räume als Psychogramm Obwohl sie nur simuliert, bedient sich Büchels Kunstpraxis physischer und psychischer Gewaltanwendung. Diese richtet sich nicht nur gegen die Institution, die buchstäblich umgekrempelt und vorübergehend eliminiert wird, sie verlangt auch vom Zuschauer die Aufgabe jeglicher bequem-kontemplativer Kunstbetrachtung. Jeder Raum ist ein Psychogramm, wenn nicht eine ausgewachsene Neurose. Und durch die muss man durch. Doch bleibt es nicht beim inszenierten Raum als Metapher kollektiver Befindlichkeiten - schonungslos dringt die politische und gesellschaftliche Realität in diesen ein. Büchel mag übertreiben, aber nur ein bisschen. Und genau dieser Hyperrealismus macht seine Szenarien so beunruhigend.
«HOLE» verbindet diverse Elemente vorausgegangener Arbeiten zu einem komplexen Gebilde, indem Fiktion und Realität verschwimmen. In «Close Encounters», 2003, stellte er die Behausung eines Muslims im Schweizer Untergrund nach, gespickt mit realen Indizien und enigmatischen Andeutungen. Die Installation «Private Territories», 2004, im Swiss Institute in New York oder die mit Gianni Motti gestartete «Guantánamo Initiative» thematisierten jeweils privaten und öffentlichen Raum als Austragungsort territorialer Besitzansprüche. In Letzterer geht es auf konzeptionell-aktivistischer Ebene um die widerrechtliche Besetzung von Guantánamo Bay in Kuba, wo die USA - in einem Vakuum gängigen Völkerrechts - ein Internierungslager von Terrorverdächtigen führt. Büchels und Mottis Intervention - der Versuch, auf legalem Wege die Mietrechte des umstrittenen Landes zu erwerben, um es für Kunstprojekte zu nutzen - muss wohl eher als zynisch metaphorischer Akt verstanden werden. Das Gute siegt leider selten bei Büchel. Existenzielles Scheitern, Kontrollverlust und räumliche Isolation sind programmatisch in seinem ?:uvre. Wir spielen die Rolle zu spät gekommener Voyeure, dazu verdammt, Gestalt gewordene verdrängte Ängste zu durchwandern. Doch in einer Zeit, in der sich die Kunst nur allzu oft einer grösstmöglichen Beliebigkeit erfreut, tut der Schmerz mitunter gut.
Institutionen | Land | Ort |
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Kunsthalle Basel | Schweiz | Basel |
Christoph Büchel |
Eva Scharrer |