Leiko Ikemura, «Tag, Nacht, Halbmond»
Das Museum zu Allerheiligen widmet der international bekannten japanisch-schweizerischen Künstlerin Leiko Ikemura eine umfassende Retrospektive mit Aquarellen, Gemälden, Skulpturen und zahlreichen, erstmals gezeigten Zeichnungen. Fast gleichzeitig präsentierte Tony Wuethrich in Basel neue Malereien.
Leiko Ikemura, «Tag, Nacht, Halbmond»
«In allem Sichtbaren steckt das Unsichtbare, und die Einheit dieser Dualität ist mein wichtigster Ausgangspunkt ? », sagt Leiko Ikemura (*1951, Tsu/Mie). Tatsächlich scheint in ihren atmosphärisch dichten Bildwelten Verborgenes sichtbar zu werden. In der Ausstellung in Schaffhausen assoziert man sie zunächst mit Landschaften. Doch die Technik allein macht deutlich, dass sie geheimnisvolle, geistige Sphären jenseits von Raum und Zeit, von Körperlichkeit und Messbarkeit, eigentliche Zwischenwelten schildern. Auf dem Bildträger aus Leinwand oder grob gewobener Jute sind die Farben - Abstufungen in Schwarz, Grau und Blau, unterbrochen von leuchtenden Zonen - sehr dünnflüssig in mehreren Schichten aufgetragen. Durch die unbemalten Stellen entsteht hinter dem Bild eine Ahnung von einem Raum, der sich in unauslotbare Tiefen weitet. Bald sind sie menschenleer, bald von geisterhaften Mädchen - oft Doppelgestalten - bevölkert, bald von den für Leiko Ikemura charakteristischen Tieren, Fabelwesen und Pflanzen, die vielfach zu einer Einheit verschmolzen sind.
In die dunklen Weiten der reinen Landschaftsbilder dringt oft ein lichtvoller Horizont, der für Ikemura ein «Nie-Zusammenkommen von Himmel und Erde», ein «ewiges Annähern zweier Elemente» und «eine Sehnsucht nach Unendlichkeit» symbolisiert. Dies ist biographisch motiviert, denn das Meer mit seinem Horizont bedeutet für die an einem Küstenort in Japan aufgewachsene Künstlerin ein existentieller Sehnsuchtsort, mehr noch: ein Gleichnis für den Ursprung des Kosmos'. Der Horizont versinnbildlicht Übergänge, etwa zwischen Hell und Dunkel, Tag und Traum, Lust und Schmerz, Fülle und Leere, vom Kindsein zur erwachsenen Frau und vom Diesseits ins Jenseits. Dem Niemandsland der Übergänge muss sich auch Ikemura verbunden fühlen, die sich als Grenzgängerin zwischen der japanischen und der abendländischen Kultur sieht.
Etwas vom flüchtigen Wesen der geheimnisvollen Mädchen und hybriden Kreaturen glaubt man auch in den Zeichnungen erhaschen zu können. Etwa in den mit blätterlosen Bäumen und mit stürmischen Winden vereinten Gestalten. Dagegen wird ihre Zerbrechlichkeit und Einsamkeit in den Plastiken aus Bronze und Terracotta physisch geradezu greifbar. Die meisten Figuren verharren in einer äusserst prekären, unstabilen Haltung. Ihre Körperlichkeit ziehen sie paradoxerweise aus den zweidimensionalen Werken und Malereien, in denen die Künstlerin ihre Suche nach Immaterialität geradezu methodisch betreibt. Dies zeigt sich jetzt im Vergleich besonders deutlich.
Institutionen | Land | Ort |
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Museum zu Allerheiligen | Schweiz | Schaffhausen |
Dominique von Burg |
Leiko Ikemura |