Vanessa Billy — Tränen für St. Peter
Fünfhundert Jahre sind seit der Reformation vergangen. Dass diese nicht nur ein Erfolgsmodell war, will das Zürcher Projekt ‹Schatten der Reformation› zeigen. Vanessa Billy nahm für die Kirche St. Peter das Thema auf und ersetzte die zentralen Kronleuchter durch blutrote Tränen.
Vanessa Billy — Tränen für St. Peter
Zürich — Reformation? Mit Religion und Kirche verband Vanessy Billy (*1978, Genf) bisher nicht viel. Sie war eine von sechs Kunstschaffenden, die im Rahmen des Wettbewerbs ‹Schatten der Reformation› eingeladen wurden, ein Projekt für die Kirche St. Peter zu realisieren. Doch was hat dieses Thema mit ihrer eigenen Lebensrealität als junge Künstlerin und Mutter zu tun? Mit den ökonomischen, sozialen und ökologischen Fragen, die sie sonst beschäftigen: Wie gehe ich mit meinen knappen Zeit- und Raumressourcen um? Welche Welt werde ich meinen Nachkommen hinterlassen? Vor allem der imposante Kirchenraum erwies sich als Herausforderung, die wuchtigen Pfeiler in Marmoritiat, die Stuckdecke – eine Architektur, die trotz fehlender Deckengemälde eine barocke, grossbürgerliche Behäbigkeit ausstrahlt. In einem längeren Prozess des Entwerfens und Verwerfens erwog sie zunächst unterschiedliche Eingriffe: Soll sie die Säulen mit Metallbändern umwickeln? Die Fenster mit roten Glasscheiben bestücken? Rote Glasscheiben auf dem Boden auslegen? Und plötzlich war dann das Bild der Tränen da: grosse leuchtende Tropfen aus mundgeblasenem, eingefärbtem Glas, nicht bordeaux wie Wein, nicht pink wie Kaugummi, sondern in einem warmen Ton zwischen blutrot, hautfarben und silbern. Diese laden den Raum mit einem warmen Licht atmosphärisch auf – asynchron pulisierend wie die Atemzüge zweier Menschen, deren Rhythmus sich mal findet, dann wieder verliert. Religionsgeschichte ist eine blut- und tränenreiche Geschichte. Doch durch die Reformation wurde der Gekreuzigte und mit ihm auch ein krasses Bild des Leidens aus der Reformierten Kirche verbannt. Billy hängt uns ihre Tränen direkt ins Blickfeld – und lässt offen, ob es Tränen der Trauer oder der Freude sind. Die Lichter lassen uns darüber nachdenken, was ein Kirchenraum in unserer durchrationalisierten Gesellschaft heute noch sein könnte. Ein Ort des Vertrauens vielleicht, wo wir durchatmen und die Sinne für psychische und physische Bezüge schärfen können. Denn Tränen sind auch Wassertropfen, und Wasser macht das Leben erst möglich. Glitzernde Tränen statt stilvolle Kronleuchter – Vanessa Billy weist mit ihrer Geste auf das, was uns mit uns selbst, mit unserer Emotionalität und mit der Natur verbindet. Und richtet den Fokus auf «eine Spiritualität als etwas, das ausserhalb deiner selbst ist. Etwas, das grösser ist als du, eine Verbindung zum Leben der Tiere, der Pflanzen. Ein Stadium des Beobachtens, der totalen Aufmerksamkeit.»
→ Kirche St. Peter, bis 2.3., jeweils Mo bis Fr 8–18 Uhr (im Dezember bis 19 Uhr) / Sa 8–16 Uhr / So 11–17 Uhr
Institutionen | Land | Ort |
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Kirchgemeinde St. Peter | Schweiz | Zürich |
Vanessa Billy |
Claudia Jolles |