Pariser Unruhen - Die Eröffnung des Palais de Tokyo, Paris
Das Unternehmen wurde sehnlichst erwartet und mehrmals verschoben. Paris stand seit längerer Zeit eher abseits der wichtigen Pfade von international agierenden Trendscouts und Kuratoren der zeitgenössischen Kunst. Der Glanz vergangener Tage und die Positionierung der jungen Szene in einer globalen Kultur wurde Ende Januar mit der phänomenalen, einwöchigen Neueröffnung des Palais de Tokyo, Site de création contemporain, gefeiert.
Pariser Unruhen - Die Eröffnung des Palais de Tokyo, Paris
Es ist signifikanterweise der erste und einzige öffentliche Ort für Gegenwartskunst in Paris, der internationale Erwartungen zu erfüllen verspricht. Bereits ein anderes, weitaus unbedeutenderes Unternehmen eröffnete eine Woche vorher: das Le Plateau, ein weiteres ist im Bau. Am 21. Januar war die Eröffnung des Palais, die wegen Terminproblemen des Präsidenten nicht nur einmal verschoben werden musste. Doch schon Monate vorher hatten die für drei Jahre berufenen Direktoren Nicolas Bourriaud und Jerome Sans einen Schachzug geplant, indem sie knapp 300 Personen der internationalen Kunstszene befragten: «Was erwarten Sie von einer Kunstinstitution im 21. Jahrhundert?» und dazu gleich ein Buch veröffentlichten. So wurden die Antworten von Kollegen und Freunden gegeben, die sie eigentlich selbst geben mussten. Diese Zeugenschaften, so schreiben sie im Vorwort, sind dann auch das erste Szenenbild eines offenen Konzepts. Spannend ist dies insofern, als der Palais direkt gegenüber dem Musée d’Art Moderne de la Ville de Paris gelegen ist, an dem Hans Ulrich Obrist eine wichtige Schaltzentrale für die Vermittlung und Vernetzung von Gegenwartskunst und der neuen Generation mit unter anderem Philippe Parreno, Pierre Huyghe oder Dominique Gonzalez-Foerster für Paris innehat.
Obrist hat dann auch im Buch der Antworten einen ganz vorderen Rang inne und präsentierte von Oktober bis Ende Januar seine Sicht der Dinge in «Traversées», einen Überblick auf die junge Pariser Szene von etablierter Warte aus, oder bis Anfang März die aus seinem Netzwerk gebaute Ausstellung «Urgent Painting». Wettbewerb und Konkurrenz sind vorprogrammiert und sicher gewünscht. Die zwei sich sehr unterscheidenden doch als ungemein clever geltenden Direktoren des Palais sind ein weiteres Konfliktfeld. Im Innenraum wurde jedenfalls alles getan, um die Provokation, die Rebellion und den Konflikt zu evozieren. Der neue alte Ausstellungsort zur Weltausstellung 1937 erbaut stand über sechs Jahre leer und wurde nun von Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal sparsam den Bedürfnissen angepasst. In nur sechs Monaten nach der politischen Entscheidung der Konstruktion des Ortes haben sie in Kooperation mit der künstlerischen Leitung einen Ort geschaffen, der als eine mannigfaltige, bewegliche Hülle konzipiert ist. In deren Freiräumen sollen die jeweiligen Nutzer ihre Wünsche erfüllen können. Bei der Vorbesichtigung im Oktober zur FIAC war die hinter der monumentalen Fassade liegende Industrieanmutung grosser, leerer und vor allem hoher, lichtdurchfluteter Hallen und der einladenden, wohl proportionierten Kuben ein Raumgefühl der Extraklasse.
Das lebendige Laboratorium für zeitgenössische Kunst globalen Zuschnitts, so die Direktoren in ihrem Konzept, soll schnell reagieren können, flexibel sein, Solo- wie auch Gruppenausstellungen und langfristige Interventionen problemlos ermöglichen. So betritt der verdutzte Besucher eher eine Rohbau- und Baustellensituation, wenn er die Treppe erstiegen hat. Der Eindruck des Unprätentiösen und Provisorischen vermittelt Lebendigkeit und Spontanität, zugleich wird sich nicht jede Kunst hier wohl fühlen. Zur Rechten das Restaurant – noch in Bau, und zur Linken Stapel von Büchern, der Buchshop. Erste Werke werden sichtbar wie das riesige Wandgemälde von Navin Rawanchaikul. Eine das globale Verständnis anzeigende Grundhaltung heutiger Kunstvermittlung: Vernetzung, soziopolitische Fragen und Mobilität. Doch der Eindruck von Nervosität, von Unruhe und Lautstärke wird deutlich, wenn die weiteren Stationen als gegen die weiten Hallen gesetzte Grossgeräte gelesen werden. Ob die Gefängniszellenruine von Michael Elmgreen & Ingar Dragset, der riesige, seltsam platzierte Videoscreen von Alexander Györfli, die Wohnzimmeratmosphäre von Meschac Gaba unter der Treppe im so genannten Modul oder nicht zuletzt der Shop von Surasi Kuzolwong, wo jedes Teil für einen Euro zu erwerben ist. All das macht Spass, sieht gut aus, lädt ein zur Betrachtung, ist somit ästhetisch und wie gerahmt von grossen Bildern von Jun Ya Yamalde, Michel Majerus oder Navin Rawanchaikul.
Und dennoch wird ein Zusammenhang, ein Konzept, eine Linie nicht recht deutlich, eher das Prinzip des «Curatorman», so der Titel der Installation von Rawanchaikul, der genau weiss, was er von wo für welche Strecke auf der globalen Messlatte zu verwenden hat. Wenn dann noch Texte in Bildern – «Fuck the artist» bei Majerus beispielsweise – auftauchen, fühlt man sich richtig wohl als Rebell gegen jede institutionelle Miefigkeit. Konflikte entstehen sehr gerne auf Grund von Missverständnissen, ob sie fruchtbar sind, kann nur eine aktive Öffentlichkeit anzeigen. Hier gibt es in Paris wohl am meisten zu tun. Die drei Ebenen des Palais mit einer Gesamtfläche von 8700 m2, hiervon gut 3000 für Ausstellungen, bieten ab sofort zwölf Stunden täglich bis Mitternacht genügend Diskursraum. Auch für die Direktoren Nicolas Bourriaud und Jerome Sans, die Revolutionsführer, vielleicht vergleichbar mit Lenin und Trotzki, Charisma und Intellekt haben sie jedenfalls wie diese und scheinbar auch das gleiche Verständnis von einer kulturellen Elite.
Institutionen | Land | Ort |
---|---|---|
Palais de Tokyo | Frankreich | Paris |
Gregor Jansen |
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