(T)raumatische Ortsbegehung

Aernout Mik (*1962 in Groningen, NL) lebt und arbeitet in Amsterdam

Aernout Mik (*1962 in Groningen, NL) lebt und arbeitet in Amsterdam

Wie die Räume gefüllt werden müssen. 1994, Installation Kunstverein Hannover

Wie die Räume gefüllt werden müssen. 1994, Installation Kunstverein Hannover

Fokus

Der Niederländer Aernout Mik betreibt mit seiner Kunst eine sorgfältig choreografierte Besetzung von Räumen. Dabei nutzt er nicht nur verschiedene Medien und konkrete architektonische Eingriffe, sondern auch auf beklemmende Weise die leibhaftige Anwesenheit von Menschen.

(T)raumatische Ortsbegehung

Über die künstlerische Raumbesetzung von Aernout Mik

‹Wie die Räume gefüllt werden müssen›, so der Titel einer Rauminstallation, die Aernout Mik 1995 im Kunstverein Hannover arrangiert hat. Für die Arbeit selbst hat er zunächst in einen Raum einen zweiten Boden eingezogen. Auf dieser mit Decken ausgelegten und einer Dusche versehenen Ebene hielten sich während der Ausstellung drei junge Menschen auf, die mit einer für die Region typischen Polizeiuniform bekleidet waren und scheinbar auf irgendetwas warteten. Die eingezogene Etage ging über in eine überlappende gelbe Schräge aus Schaumstoff, die als bloss skulpturale Setzung nicht betretbar war. Der Durchgang in den nächsten Raum war mit einer gläsernen Tür versehen, die mit in Öl eingelegten Socken gefüllt war. Davor lag ein hellblauer Teppich, dessen nicht gerade angenehmer Geruch die ganze Installation durchzog. In einem entfernteren Raum des Kunstvereins war zudem ein Video zu sehen, auf dem alltägliche Szenen gezeigt wurden, gespielt vor der Ausstellungseröffnung von ‹normalen› Menschen auf besagter zweiter Etage im Hauptraum der Installation.

Wie also sind die Räume zu füllen? Mit so echten wie schauspielernden Menschen, die sich in gebauten ‹Parallelwelten› aufhalten und als lebende Exponate den leicht beschämten Blicken des Publikums darbieten. Mit vermeintlichen Autoritäten, deren Macht in dem ihnen fremden Kontext der Kunst gleichsam leerläuft. Dazu kommt autonome, aber auch benutzbare Kunst sowie die mediale Verknüpfung unterschiedlicher Örtlichkeiten. Schliesslich füllen eindringliche, gleichzeitig flüchtige Sinneseindrücke riechbar den Raum, um den Besucher des ‹tableau vivant› zur kritischen Stellungnahme aufzufordern. Bemerkenswert ist auch, dass bei dieser Installation, wie eigentlich bei allen Arbeiten Aernout Miks, nichts zu hören ist. Die seltsam verhaltene, ein wenig an die theatralischen Arbeiten Samuel Becketts erinnernde Inszenierung evoziert Bilder ohne Klänge oder Worte.

Im Bilde   Spannend war nicht zuletzt, wie es dem Künstler damals gelang, die Prinzipien seiner Arbeit, ‹Wie die Räume gefüllt werden müssen›, auch auf den hervorragenden Katalog zur Ausstellung zu übertragen. Gedruckt war dieser auf schwerem, leicht samtenem Papier und in fast quadratischem Format in Übergrösse. Dergestalt seinen Objektcharakter betonend, provozierte der Katalog vor allem taktile Erfahrungen, zumal die Seiten mehrheitlich unbedruckt waren. Text war in dem Katalog bis auf Titel und Impressum nicht zu finden. So näherte sich der Leser, der im Handumdrehen zum Seher und Fühler wurde, beim Umblättern der Seiten nur langsam den drei Fotos in der Mitte der Publikation, auf denen die oben beschriebene Installation abgebildet war. Auf dem Weg dorthin aber wurde er zurückgeworfen auf die sinnliche Erfahrung mit dem Papier. Und konnte sich auf die mentale Auseinandersetzung mit der Leere, der eigenen Erwartungshaltung konzentrieren.
Wie die gefakten Polizisten in seiner Rauminstallation gelernte Hierarchien relativieren, so hinterfragt der ungewöhnlich verschwenderische Aufbau dieser Publikation mit ihren wenigen Bildern und weggelassenem Text die hierarchischen Strukturen herkömmlicher Kataloge.

Keine Macht für Niemand   Von dieser frühen Rauminstallation Aernout Miks hin zu zwei neueren Videos, mit denen der Künstler die problematische Beziehung von Raum und Macht, von An- und Abwesenheit dezidiert in den Mittelpunkt seiner Arbeit stellt. Da ist zum einen das Video ‹Glutinosity›, 2001, und zum anderen der Streifen ‹Middlemen› aus dem selben Jahr. Das ‹Personal› der beiden Stücke könnte innerhalb unserer Gesellschaft gegensätzlicher kaum sein: ‹Glutinosity›, vorgestellt auf der 2. berlin biennale, zeigt typische Szenen, wie man sie scheinbar von politischen Demonstrationen kennt. ‹Middlemen› dagegen stellt Börsianer bei ihrer vergleichsweise politisch affirmativen Arbeit vor.

Zunächst zu ‹Glutinosity›: Teilweise vermummte Demonstranten liegen da auf der Strasse, ‹Sicherheitskräfte› in fiktiven Uniformen mit kugelsicherer Weste versuchen diese wegzutragen.

Gegenwehr gibt es eher als passiven Widerstand, seltsam spielerisch, fast apathisch mutet das Geschehen an. Einer der Sicherheitskräfte scheint zur Salzsäure erstarrt, andere versuchen Hand in Hand mit Demonstranten eigene Kollegen wegzuräumen. Beinahe teilnahmslos wiederum gehen einige der Demonstranten umher. Die langsam umherschweifende, scheinbar beiläufige Kamerafahrt vermittelt ausserdem eine mehr beruhigende als dramatische Atmosphäre. Je länger man dem lautlosen, in sich verwickelten Treiben zuschaut, desto absurder erscheint die Szenerie. Eindeutige Zuschreibungen von Grenzen zwischen Feind- und Freundschaften lösen sich auf, der kaum noch aggressive Strassenkampf mutiert zum Geschehen im herrschaftsfreien Raum. Doch mehr noch: Die auf den ersten Blick realistische Darstellung mitten auf einer ‹echten› Strasse verliert tendenziell ihre ‹objektiven› Qualitäten und gewinnt fast schon absurde Dimensionen. Zeit und Raum – schon der Philosoph Immanuel Kant definierte beide als ‹notwendige subjektive Bedingungen› für unsere ‹Anschauung der äusseren Dinge› – geraten ins Schlingern, ein (ziel)gerichteter Ablauf der Geschehnisse ist ebenso wenig mehr auszumachen wie eine klare Strukturierung des Ortes der Handlung. Unser Realitätssinn wird so angenehm wie bedrohlich enttäuscht.

Money makes the world go round?   Das Video ‹Middlemen›, das ebenfalls 2001 im neuen deutschen Regierungssitz Berlin, diesmal in der Galerie des Künstlers, gezeigt wurde, stellt in vielerlei Hinsicht das Gegenstück zu ‹Glutinosity› vor. Die Stimmung ist nicht apathisch, sondern hektisch und gereizt; der Ort des Ereignisses ist nicht mehr ein realistischer, unter offenem Himmel, sondern ein nachgebauter Innenraum; die Akteure schliesslich sind gesellschaftlich integriert. Zu sehen nämlich ist in ‹Middlemen› ein überaus geschäftiger Werktag an irgendeiner Börse unserer globalisierten Welt. Die Räumlichkeit ist artifiziell nachgestellt, ist mehr Bühne als tatsächlich Börse. Unzählige Papierblätter liegen hier bergeweise in chaotischer Verteilung auf dem Boden. Rote Telefone und weisse Computer stehen ungenutzt, bereit – die verbale Kommunikation scheint zusammengebrochen zu sein. Die Börsianer sitzen, stehen, ja liegen währenddessen herum, den Blick immer wieder auf eine unsichtbar bleibende Anzeige gerichtet. Einige der Broker
laufen in dem sorgsam komponierten Szenario hektisch umher, andere machen Notizen und mehrere schauen wie paralysiert auf den Boden.

Wiederum andere zeichnen sich durch ein nervöses Zucken in der Schulterpartie aus. Irritierend auch, dass dort zwei Zwillinge – oder Doppelgänger? – in identischem Outfit mitten im Geschehen und doch abseits von ihm dasitzen, träumerisch verstört. Gefilmt ist alles mit einer langsamen und behutsamen Kameraführung, die des öfteren abrupt durch blitzartige Zooms unterbrochen wird. Auch die absolute Stille des bewegten ‹Historiengemäldes› beunruhigt einmal mehr den Betrachter der Arbeit.

Was also geht hier vor? Die Börse als ein ökonomisches Machtzentrum unserer Gesellschaft ist offensichtlich aus den Fugen geraten, hat in diesem ästhetischen Setting ihre Funktion verloren. Beklemmung, ja Schock ist dann auch nahezu allen Gesichtern der Börsianer ablesbar – ihr Glaube an das System Wirtschaft ist gebrochen.

Und damit wohl auch der Glaube an das System Welt überhaupt. Genau dieses Gefühl der Bodenlosigkeit ist prägend für die künstlerische Arbeit von Aernout Mik.

Institutionen Land Ort
Stedelijk Museum Niederlande Amsterdam
Ausstellungen/Newsticker Datum Typ Ort Land
Aernout Mik 22.03.200228.04.2002 Ausstellung Barcelona
Spanien
ES
Künstler/innen
Aernout Mik
Autor/innen
Raimar Stange

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