Francis Picabia im Musée d’Art Moderne de la Ville de Paris (ARC)

Francis Picabia · Gabrielle Buffet.
Elle corrige les mœurs en riant, 1915, Encre, Aquarelle et crayon de graphite sur carton, 58 x 46,8 cm, © Staatsgalerie Stuttgart

Francis Picabia · Gabrielle Buffet.
Elle corrige les mœurs en riant, 1915, Encre, Aquarelle et crayon de graphite sur carton, 58 x 46,8 cm, © Staatsgalerie Stuttgart

Besprechung

Ein Foto von Man Ray zeigt den jungen und schönen Francis Picabia lässig in einem Auto sitzend, darüber stehen die sinnigen Worte «Ich bin mein Auto». Als Auto- und Technik-Freak stand Picabia den italienischen Futuristen in nichts nach. Der Frauenheld sammelte nicht nur Autos – er besass etwa 150 Sportwagen und Limousinen, er zitierte auch ungeniert aus dem Repertoire der Kunstgeschichte. Er zelebrierte sich als «Artiste en tous genres», was er zum Stilprinzip erhob. Dies veranschaulicht die von Suzanne Pagé in Diskussion mit Peter Fischli & David Weiss kuratierte, umfassende Retrospektive mit fast 200 Arbeiten aus allen Werkphasen.

Francis Picabia im Musée d’Art Moderne de la Ville de Paris (ARC)

Francis Picabia (1879–1959) war ein lebenslänglicher Wechselspieler: Bis 1908 malte er impressionistisch. 1909 geriet er unter den Einfluss der Kubisten und stand der orphistischen Malerei nahe, während die Handhabung der Farben teilweise den Fauves verpflichtet war. Die Werke aus dieser Zeit verraten den Einfluss der Studien an der Pariser Ecole des Arts décoratifs. Ihnen haftet etwas Kunstgewerbliches an. Die «Armory Show» von 1913 brachte Picabia nach New York. Im selben Jahr entstanden einige seiner bekanntesten und besten Werke, wie etwa «Caoutchouc» und «Danseuse étoile sur un Transatlantique»; abstrakte Bilder mit klar umrissenen, einander überlappenden Formen. Anlässlich eines zweiten USA-Aufenthaltes, 1915, arbeitete er mit Marcel Duchamp zusammen, der ihn zu einer Anzahl proto-dadaistischer Bilder anregte. Er begann ironisch-satirische Maschinenbilder, so genannte «Mechanomorphien» zu malen; Gebilde im Zwischenreich von erotisch-mechanischen Maschinenfantasien. Wahre Männerfantasien mit grossen und kleinen Röhren, die einander umkreisen, sich gegenseitig durchdringen und leicht als Metaphern erotischer Assoziationen lesbar sind, erscheinen etwa in dem Bild «Parade der Liebe», 1917.

Der flatterhafte, apolitische Dandy aus reichem Hause – Sohn eines kubanischen Botschaftsangestellten – wirkt erst 1918 nach einer Depression und der Begegnung mit Tristan Tzara und mit «DADA» existenzieller und eigenständiger. Er war bei den Zürcher Dadaisten aktiv beteiligt und gründete 1919 zusammen mit Duchamp und Ribemont-Dessaignes die Pariser DADA-Bewegung. Aus der Auseinandersetzung mit den Ideen Bretons entstanden die ersten Monsterbilder wie «Baigneuse», 1925–26, und «Modèle vivant», 1924–27, und die sich daraus entwickelnden «Transparenzen». Diese Überlagerungen von linear dargestellten Konfigurationen weisen Bezüge zur Renaissancemalerei, zur katalanischen Kunst oder zu antiken Skulpturen auf. Auch wenn Picabia ostentativ wenig Wert auf malerische Qualitäten legte, wirkt die mit dem Medium Fotografie spielende Reihe der Pin-ups aus den Kriegsjahren plakativ und provokativ. Dennoch wird er mit diesen süffigen Frauenporträts später als Vorreiter der erotischen Pop-Art der sechziger Jahre gefeiert. Die Punktbilder seines Spätwerkes lassen dann in überraschender Frische und emotioneller Bewegtheit die Erfindungsfülle seiner frühen Werke wieder aufleben, so beispielsweise sein letztes Werk «La Terre est ronde».

Wohl aufgrund seiner fast autistischen Selbstbezogenheit wollte sich Picabia über all die Jahre partout keiner ästhetischen ideologischen Doktrin unterwerfen und nahm lediglich das Leben als einzig gültigen Massstab an. Damit war er ein Postmoderner avant la lettre, der nicht wertete, sondern alles, was der Alltag an ihn herantrug, in seinem Werk verwertete und darin einen adäquaten Ausdruck modernen Lebens sah.

Bis 
15.03.2003

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