Editorial — Wahrnehmungsdistanzen
Editorial — Wahrnehmungsdistanzen
Wer nah dran ist, verliert den Blick fürs Ganze. Dieser «Verlorenheit » hat sich Hannah Villiger in ihrem Schaffen mit Haut und Haar hingegeben: Mit einer Polaroidkamera «tastete» sie den eigenen Körper aus nächster Nähe und ungewohnter Perspektive ab. So entstanden Bilder, die mehr sind als nur Close-ups. Die plastische Qualität des Körpers und, ja, Empfindungsmomente intimster Berührung werden darin «sichtbar». Unter den postmodernen Positionen, die den Körper als Material entdeckten und ihn jenseits von Idealvorstellungen ins Licht rückten, ist Villiger vermutlich gerade deswegen eine von jenen, die besonders «unter die Haut» gehen. Und bis heute nachwirken: Das veranschaulicht eine Ausstellung in Susch mit Werken von Villiger und drei zeitgenössischen Künstlerinnen. Villigers Hinwendung zum Ausschnitthaften zeigt sich dabei als Weitsicht.
Von fast wissenschaftlich analytischer Natur ist die Nähe, die Thomas Julier – derzeit in Sion zu sehen – zu seinen Motiven sucht. Wenn er etwa Fragmente einer Gipsfigur fotografiert, maschinell zeichnet und sie auch skulptural präsentiert, steht vor allem der Einfluss verschiedener Darstellungsformen auf unser Verständnis von Welt unter Beobachtung.
Das Kollektiv Rimini Protokoll hat mit seinen Grenzgängen zwischen
Kunst und Theater, die in Solothurn umfangreich vorgestellt werden, eine ganz eigene Form der Welterforschung entwickelt. Häufig gilt die Aufmerksamkeit dabei dem Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft – ein Thema, das auch die Künstler:innen von morgen an der HGK FHNW in Basel beschäftigt. Denn es bleibt eine der grossen Herausforderungen unserer Zeit, sowohl das grosse Ganze als auch das «Detail» im Auge zu behalten.
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