Hinter Mauern / Javier Téllez

Javier Téllez · Das Narrenschiff, 2022, Filmstill aus Digitalfilm, Auftrag und Koproduktion: Kunstmuseum Thurgau

Javier Téllez · Das Narrenschiff, 2022, Filmstill aus Digitalfilm, Auftrag und Koproduktion: Kunstmuseum Thurgau

Pflegeanstalt Perreux, Neuchâtel, Patientinnen in der Luftkur, undatiert, Glasdia, Psychiatrie-Museum Bern. Foto: Office de photographie Attinger

Pflegeanstalt Perreux, Neuchâtel, Patientinnen in der Luftkur, undatiert, Glasdia, Psychiatrie-Museum Bern. Foto: Office de photographie Attinger

Hinweis

Hinter Mauern / Javier Téllez

Warth — Nur fünf Minuten Fussweg sind es von der Busstation Warth Gemeindehaus bis zum Kunstmuseum Thurgau in der Kartause Ittingen – genug, um in eine andere Welt einzutauchen. Das ehemalige Kloster dient heute unter anderem als geschützter Wohn- und Arbeitsbereich für Menschen mit psychischer oder kognitiver Beeinträchtigung, und die wunderbaren, weitgehend von Hand gepflegten Gemüsebeete und Weinstöcke zeugen davon. Die Sammlung des Kunstmuseum Thurgau besteht schwerpunktmässig aus Naiver Kunst und «Outsider Art», deren Schöpfer:innen oftmals Psychiatrieerfahrung aufweisen. Dieser doppelte psychia-triebezogene Hintergrund bildet die Folie, auf der immer wieder Ausstellungen und Projekte entstehen. So auch aktuell.
‹Hinter Mauern› zeigt historische Bilder, die Einblick gewähren in das damals noch weitgehend abgeschottete Innenleben von psychiatrischen Anstalten (Zwangsmassnahmen und Leid werden nicht gezeigt). Ärzte, Pflegerinnen und Kranke lebten gemeinsam in diesen abgeschlossenen Kosmen, und in den Bildern vermeint man, eine Lebensnähe zu erkennen – auch wenn sich die Pflegenden von ihren Schützlingen unterscheiden: hinsichtlich ihrer weissen Schürzen und darin, dass sie Besitzer:innen von Schlüsseln sind. Die Abgebildeten schauen uns meist an, die Fotos sind überwiegend inszeniert, aber es gibt auch Aufnahmen von grossen hellen Räumen, in denen sich die Bewohner:innen locker verteilen, entspannte Stimmung herrscht. Wer hier krank ist, wer gesund, wäre allein aufgrund der Physiognomien, für deren Deutbarkeit man sich damals heftig interessierte, kaum zu ermitteln. Einige der mit wirren Haaren und kreativer Kleidung Abgelichteten könnten auf dem Monte Verità wohnhaft gewesen sein. Wo verläuft die Grenze zwischen «normal» und «gestört»? Wozu und von wem wurden die Bilder gemacht, was offenbaren, was verschweigen sie? Saaltexte und Publikation geben Auskunft.
Der parallel gezeigte Film des venezolanischen Künstlers Javier Téllez (*1969) entstand als Auftragsarbeit. Mit Blick auf Sebastian Brant, Hieronymus Bosch und Michel Foucaults Begegnung mit Ludwig Binswanger fertigte Téllez zusammen mit Menschen mit Psychiatrieerfahrung eine heutige Vision des Narrenschiffs, das nun als mittelalterliche Lädine auf dem trüben Bodensee treibt. Eindrücklich ist der Moment, in dem die Maskierten die Masken abziehen und wir sie in ihren kleinen (Narren-)Spiegeln als gänzlich heutig erkennen. Nicht mehr das Andere ist nun präsent, sondern wir selbst sind es, die im Spiegelbild auftauchen.

Bis 
31.07.2023

→ Kunstmuseum Thurgau, ‹Hinter Mauern›, bis 31.7.; Javier Téllez, bis 17.12. ↗ www.kunstmuseum.tg.ch
→ ‹Hinter Mauern›, Psychiatrie-Museum, Bern, ab 26.5. ↗ www.psychiatrie-museum.ch

Ausstellungen/Newsticker Datum Typ Ort Land
Hinter Mauern 02.10.202216.04.2023 Ausstellung Warth
Schweiz
CH
Autor/innen
Brita Polzer
Künstler/innen
Javier Téllez

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