Julian Charrière — Opulenz und Orakel

Julian Charrière · Touching the Void, 2021, Ausstellungsansicht Langen Foundation, Neuss © ProLitteris. Foto: Jens Ziehe

Julian Charrière · Touching the Void, 2021, Ausstellungsansicht Langen Foundation, Neuss © ProLitteris. Foto: Jens Ziehe

Besprechung

Er lässt gut aussehen, was ökologische Sorgen bereitet: Julian Charrière zeigt in Neuss verkohltes Teakholz und verstrahlte Kokosnüsse. Eine Solarkraftanlage darf als ortsspezifische Installation die Schau mit Energie versorgen, und auch zwei Roboter bemühen sich redlich, dass der Funke überspringt.

Julian Charrière — Opulenz und Orakel

Neuss — Wem der Weckruf zu Klimawandel und Umweltzerstörung noch fehlt, der kann ihn sich in der Langen Foundation abholen: Schon auf dem Weg zum Tadao-Ando-Bau auf der ehemaligen NATO-Raketenstation gellt ein Schuss – ba-bamm! Die im Bassin vor dem Eingang installierte Kanone feuert ein Warnsignal ab. Sie setzt den Ton der Ausstellung von Julian Charrière, die sich vortrefflich mit der aktuellen Energiedebatte synchronisiert und die kühle Eleganz des Hauses auf Temperatur bringt.
Wie sein Kollege Julius von Bismarck ist der 1987 im schweizerischen Morges geborene und heute in Berlin lebende Eliasson-Schüler eine Forschernatur, die aufs Ganze geht: Nicht aus der Distanz des Ateliers wird eruiert, wie es um die Welt bestellt ist, sondern im Feld, im Angesicht der Phänomene werden jene konfrontiert und poetisch transformiert. So wie von Bismarck sich knietief in die Fluten wirft, wenn er das Meer auspeitscht, so erklettert Charrière in der Serie ‹The Blue Fossil Tropic Stories› von 2013 isländische Eisberge, flämmt mit dem Lötbrenner in don­quichottischen Performances daran herum und liefert uns den Kartengruss vom Tatort ökologischer Verheerungen.
Jener In-situ-Aktionismus verleiht seinen Bildern existenzielle Wucht, garniert sie mit dem Nimbus von Expedition und Abenteuer. Einen abgefrorenen Zeh riskiert zu haben erzählt sich nun mal spannender, als dass ein Pixel am Rechner ausfiel. Eigentümlicherweise zeigen die fotografischen Tableaus diese Tatsächlichkeit allerdings nicht unbedingt – sie könnten ebenso gut gekonnten CGI-Renderings entspringen, die Eisberge etwa aus Styrodur sein und eben alles eine Studio-Illusion. Der durchdesignte Look jedenfalls steigert sich bisweilen zum artifiziellen Schmelz, mit dem Charrière seine Arbeiten überzieht. Dass jene in einem Sammler:innen-Loft gut aussehen, steht ausser Frage. Infrage steht vielmehr, wie das Verhältnis der konkreten Visualität des Werks zu den umfangreichen Hintergrundinformationen aussieht. Das «re-reading of reality», das dem Künstler vorschwebt, ist fürs Publikum wohl zunächst mal ein Einlesen. Und was machen wir jetzt auf einer, unserer Welt, die offensichtlich untergeht? Vielleicht dem druckvollen Soundsystem der Show den Deichkind-Hit ‹In der Natur› aufspielen: «In der Natur / Alles voll Gekrabbel und Gestrüpp / In der Natur / Da friert es dir am Steiss, wenn du dich bückst / In der Natur / Wirst du ganz langsam verrückt / Und plötzlich wünschst du dich so sehr zum Hermannplatz zurück». 

Bis 
06.08.2023
Ausstellungen/Newsticker Datum Typ Ort Land
Julian Charrière — Controlled Burn 04.09.202206.08.2023 Ausstellung Neuss
Deutschland
DE
Autor/innen
Jens Bülskämper
Künstler/innen
Julian Charrière

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