Angela Lyn bei Esther Hufschmid
Mit Landschaften und Porträts präsentiert uns Angela Lyn nicht allein ein ästhetisch visuelles Erlebnis. Vielmehr nehmen wir Teil an einer pantheistischen Naturerfahrung.
Angela Lyn bei Esther Hufschmid
Dunkeltonige, dicht bewaldete, bergige Gebiete erstrecken sich unter schweren, wabernden, grau- und grüntonigen Nebelschichten und atmen eine ungeheure Stille und Weite. Mal nimmt der bewölkte, teilweise aufgerissene Himmel den gesamten grossformatigen Bildraum ein. Mal ist die Berglandschaft von Wolken umhüllt und in einem schmalen, hocheckigen Ausschnitt in ihrer rasanten Wechselhaftigkeit festgehalten. Dabei fühlt man sich an japanische und chinesische Landschaftsdarstellungen erinnert.
Dies nicht ohne Grund, denn Angela Lyn (*1955 in Windsor) ist chinesisch-englischer Abstammung. Nach Studien in Malerei am Southampton College of Art in Taipeh, Taiwan, an der Byam Shaw School of Painting in Central St. Martins, London, schloss sie ihre Ausbildung bei Franz Fedier ab, der damals der Malereiklasse der Kunstgewerbeschule Basel vorstand. Nach Aufenthalten in Basel und Bern lebt sie seit 1994 in Lugano. Ihr Atelier befindet sich am Luganersee, an einem Ort, der sie in Bann zieht. Sie malt, was sie sieht und empfindet. So lässt sie sich von dem oft abrupten, dramatischen Wechselspiel der Landschaft inspirieren, der Wucht und Zärtlichkeit, welche dieser Natur gleichzeitig innewohnen. Hier konnte sie sich von kunstgeschichtlichen und kategoriellen Tabus befreien, hier hat sie im Kampf um eine adäquate Ausdrucksform ihre eigene Sprache entwickelt und jene Differenziertheit erreicht, nach der sie gesucht hat. Eine Differenziertheit, die gleichzeitig auch allgemein verständlich ist. Denn indem sie die Landschaft als etwas Ursprüngliches erlebt, kann sie die Schönheit und die ihr innewohnende Kraft losgelöst von jeglicher kulturellen Kategorie wahrnehmen.
Lange Zeit oszillierte Angela Lyn zwischen Abstraktion und Realität, so wenn sie Blumen, getrocknete Blütenstände, kleine Früchte, selbst Alltagsgegenstände in einem unbestimmten, wolkenartigen Farbraum darstellte. Die Gegenstände werden dadurch auf ihre Wesenhaftigkeit hin befragt; und während sie zu Objekten der Verinnerlichung werden, öffnet sich der sie umgebende Raum in geistig-meditative Unendlichkeit.
Die Künstlerin erkundet ihre Umgebung mit dem Fotoapparat und fertigt von den Fotografien Ausschnitte an, die sie dann in das Medium der Malerei überträgt. Es entstehen Landschaften, die fern von jeglicher menschlichen Präsenz sind und die ungebrochene Kraft von Urlandschaften verströmen. Gleichzeitig sind sie von einer subtilen Ästhetik und einer Romantik, die an Caspar David Friedrich erinnert. Auch die kleinformatigen Porträts ihrer Tochter, in Dreiviertel-, Seitenansicht und von hinten gesehen, leben von einer natürlichen Grazie. Die Landschaften wie auch die Porträts sind kompositorisch äusserst konzentriert und entfalten zudem eine Ästhetik, die Angela Lyn mit ihren chinesischen Wurzeln und ihrem Stilbewusstsein in Zusammenhang bringt. Die traditionelle chinesische Kunstauffassung interpretiert Kunst nämlich als Ausdruck des «kosmischen Geistes in seinen rhythmischen Schwingungen». Katalog.
Dominique von Burg |
Angela Lyn |