«Stopover» im Fri-Art
«Stopover» präsentiert in einem stimmigen, abwechslungsreichen Rundgang 21 hauptsächlich südamerikanische KünstlerInnen, deren Arbeiten existenziellen Fragen nachgehen und von der enormen kreativen Vitalität der zeitgenössischen südamerikanischen Kunst sprechen.
«Stopover» im Fri-Art
«Ich verlor vollständig den Bezug zwischen Zeit und Raum. Ich bin verloren. Nichts macht einen Sinn», sinniert ein älterer Mann in der DVD-Arbeit «Contagio», 2005, des argentinischen Künstlers Tomas Ochoa. In «Contagio» wird die Geschichte des Schauspielers Victor Lopez erzählt, der während der Wirtschaftskrise auf die Strassen von Buenos Aires ging und dort mit deren Bewohnern lebte. Um die innere und äussere Migration, um die Darstellung einer Durchreise geht es eigentlich nur in wenigen künstlerischen Positionen der Wanderausstellung «Stopover», die vom Pariser «Espace Topographie de l´Art» kommt und in Fribourg einen Zwischenhalt macht, bevor sie weiter nach São Paulo reist. Dabei wächst und verändert sie sich je nach Ort und Gegebenheit. Meist werden Betrachtungen und Erfahrungen aus unterschiedlichen Kulturen miteinander verknüpft, wobei immer wieder Bruchstücke aus der Geschichte Südamerikas interferieren. Wie im Pressetext zu Recht steht, zeugen die Werke oft von der Schwierigkeit, sich mit einer homogenen Kultur zu identifizieren. So tasten sie nach einem Dialog zwischen Neuerung und Tradition.
Julio Villani (*1965) lässt beispielsweise in der DVD-Arbeit «Complexe du perroquet», 2001-2006, einen Papagei eine Reproduktion der Mona Lisa zerknabbern und verschlingen. Damit hinterfragt der in Paris lebende Brasilianer die Geschichte der Malerei, ihre Reproduzierbarkeit und ihre Rezeption und forscht dabei nach neuen Wegen. Ein neuer Weg könnte in dieser Hinsicht die ästhetisch ansprechende Wandarbeit aus vergoldeten Bienen der gebürtigen Mexikanerin Ana Roldán (*1977) sein, die mit Vorliebe inhaltlich und ästhetisch unterschiedliche Ebenen vereint und damit bewusst einer eindeutigen Auslegung entgegenarbeitet. Ebenso die ornamentale Wandarbeit aus Plastikechsen der brasilianischen Künstlerin Lia Menna Barretto, der ein Hauch von Zerfall anhaftet. Barretto kann zu der zeitgenössischen, ultrabarocken, lateinamerikanischen Kunst gezählt werden, welche sich international und multikulturell gibt, jedoch immer nah bei ihrer Tradition bleibt.
Die kunst- und literaturgeschichtlich befrachtete Figur des Flaneurs greift João Onofres Videoarbeit «Untitled (masked stepp dancer)» in der Gestalt eines ziellos herumschlendernden, maskierten Stepptänzers auf. Diese Metapher des reinen Seins wird durch den zu aufgesetzten, performanceartigen Habitus des Stepptanzenden, dessen Streifzüge abrupt in einem U-Bahn-Schacht enden, ad absurdum geführt. Sehr anrührend ist die Video-Installation «Living Pictures/Dignidad», 2002, der französischen Künstlerin Sylvie Blocher, die Einwohner von Buenos Aires ihre Geschichten erzählen lässt: Mal singt ein Vater, mal tanzt eine alte Dame Tango. Dann erscheint unerwartet ein Mann, der Sohn eines Vermissten, der die Namen von Verbrechern aus Politik und Wirtschaft aufzählt, die weder inhaftiert noch bestraft worden sind. Indem er sie in den Kunstkontext einschleust, will er sie vor dem Vergessen bewahren. Für den Betrachter entsteht zuweilen eine fast peinliche Atmosphäre, da sich Intimität im öffentlichen Raum bricht und man unweigerlich in den Dialog miteinbezogen wird.
Lia Menna Barretto |
Tomas Ochoa |
Ana Roldán |
Julio Villani |
Dominique von Burg |