Thomas Müllenbach im Kunsthaus

Thomas Müllenbach · MD 11 - Cockpit, I, 2001, Graphit auf Papier, 193 x 153 cm, Kunsthaus Zürich, © Thomas Müllenbach

Thomas Müllenbach · MD 11 - Cockpit, I, 2001, Graphit auf Papier, 193 x 153 cm, Kunsthaus Zürich, © Thomas Müllenbach

Besprechung

Thomas Müllenbach ist zurzeit im Kunsthaus mit wandfüllenden Grafitzeichnungen aus den letzten acht Jahren vertreten. Seine Zeichnungen führen uns direkt an die Schaltstellen moderner Technik, von den Apparaturen des Operationssaales über die Navigationsinstrumente im Cockpit einer MD-11 bis zu den Folgen der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl. Mit dem Grafitstift entwirft der Künstler sowohl ein nüchtern-ästhetisches Bild unserer Hightechwelt als auch ein Sinnbild für unsere Hilflosigkeit dieser gegenüber.

Thomas Müllenbach im Kunsthaus

Thomas Müllenbach (*1949 in Koblenz) ist fasziniert von den Schaltstellen der Technik, von Kabeln, Knöpfen, Schalthebeln, Navigationsinstrumenten und Bildschirmen oder den Apparaturen eines Operationssaales. Dabei interessiert ihn besonders die Diskrepanz zwischen Chaos und Funktionstüchtigkeit. Aufgespürt hat er deshalb auch Orte, wo die Technik radikal versagt hat: das Cockpit jener MD-11, die 1998 vor der kanadischen Küste bei Halifax abstürzte, den Werkraum im Atomkraftwerk von Tschernobyl und die stillgelegten Reaktorhallen von Greifswald. Die Zeichnungen gehen auf Pressebilder zurück, welche in einer aufliegenden Broschüre - als Lesehilfe unentbehrlich - reproduziert sind. Aus diesen Bildvorlagen hat Müllenbach einen Ausschnitt ausgewählt und die komplexen technischen Einrichtungselemente mit schlichter, trockener Linienführung auf die grossformatigen Papiere übertragen. Im Verfolgen der komplexen Motivvorlagen überlässt sich Müllenbach der Autonomie der Zeichnungsbewegungen. Oft überlagern sich dabei Frosch- und Vogelperspektive, so dass eine räumliche Verortung fast unmöglich wird. Obwohl das akademische Modellieren wegfällt, öffnet sich durch die Verbreiterung des Stifts da und dort Raum. Oder sind es Leerstellen, die uns die Ungewissheit des Ausgangs des Ganzen vor Augen führen sollen? Gleichzeitig stehen die Linien für die Verkabelungen und Energien, von denen wir in hohem Masse abhängig sind. So ist in den Zeichnungen der AKWs das latent Katastrophale spürbar; oder im Blatt «Neonatologie», 1999, vermeint man, die klaustrophobe Enge, dem das Baby im Brutkasten ausgesetzt ist, selbst zu erleben.

Versteht es Müllenbach mit wenigen Strichen, eine eigene Welt entstehen zu lassen, so konzentriert er sich auch in seinen Gemälden nur auf Rudimentäres. Banale, alltägliche Motive wie eine Lampe, ein Tisch, ein Zugabteil oder Fenster werden eingezoomt und als «Ganze Teile vom Ganzen» - so der Titel von Müllenbachs letzter Ausstellung in der Galerie Staubkohler in Zürich, Ende 2006 - selber wieder zu einem Ganzen. Unter der Einwirkung des Lichts werden die Dinge verändert, wird ihre Substanz gleichsam sichtbar gemacht. Der Dialog mit der Kunstgeschichte reisst dabei nie ab. Anders jedoch als in diesem empathischen, intensiven Blick auf eine vertraute Umwelt hat Müllenbach in den im Kunsthaus gezeigten Zeichnungen einen apparativen Blick entwickelt, welcher den Strich entemotionalisiert, wie dies der Kurator der Ausstellung, Bernhard von Waldkirch, an der Pressekonferenz sinnigerweise formulierte.

Bis 
21.04.2007

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