Gilles Rotzetter - Mit der nötigen Dosis Ironie

Gilles Rotzetter in his Landis & Gyr's studio space in Zug. photo: Cat Tuong Nguyen

Gilles Rotzetter in his Landis & Gyr's studio space in Zug. photo: Cat Tuong Nguyen

Artists in Residence

Die 1971 gegründete Landis & Gyr Stiftung bietet Atelierplätze für Kunstschaffende und Autor/innen aus dem Tessin und der Romandie. Die ursprünglich regional und national tätige Vergabestiftung hat heute mit ihren Förderschwerpunkten ein europäisches Profil. Dazu gehört ein ausgedehntes Atelierprogramm mit Atelierstipendien in London seit 1987 und in Berlin, Budapest, Bukarest und Zug seit 2000. Der Atelierstandort in Berlin wird Mitte 2013 aufgehoben. Zurzeit arbeitet Gilles Rotzetter (*1978) im Zuger Atelier.

Gilles Rotzetter - Mit der nötigen Dosis Ironie

von Burg: Gilles Rotzetter, letztes Jahr haben Sie sich im Schweizerischen Institut in Rom aufgehalten. Können Sie mir verraten, weshalb Sie als Westschweizer nun gerade Zug als Atelierstandort ausgewählt haben?

Rotzetter: Im Schweizerischen Institut bin ich vielen Studenten aus der deutschen Schweiz begegnet, und wir pflegten einen regen, lebendigen Austausch untereinander. Überhaupt stelle ich fest, dass meine Arbeit in der deutschen Schweiz besser aufgenommen wird als in der Romandie.

von Burg: In welcher Art?

Rotzetter: In der Romandie herrscht ein Mainstream von abstrakt-geometrischer Kunst, von Grafik und Design; sowie von einer Malerei mit optischen Bildeffekten, die entfernt ihre Herkunft aus dem Bereich des Grafikdesigns, der Werbung, der Lounge-Ästhetik und der Architektur verraten, etwa in der Art von Philippe Decrauzat oder in der dynamisch-konstruktiven, ins Räumliche erweiterten Bildsprache von Karim Noureldin. Vor diesem Hintergrund habe ich den Eindruck, dass man für anderes wenig Raum lässt. Natürlich existieren das Mamco, die Positionen von John Armleder und von den französischen Künstlern. Doch dies korrespondiert nicht ganz mit meiner künstlerischen Haltung, die darin besteht, Naturidyllen, Wild-West-Szenarien oder fantastische Welten mit Mythen des Alltags zu verknüpfen und Referenzen an Popsongs, die Literatur oder die Weltgeschichte herzustellen. Letztlich halte ich diese Kunstszene für etwas totalitär. Ich durchlief meine künstlerische Ausbildung an der Ecole supérieur des Beaux-Arts in Genf bei Peter Roesch, und dort herrschte ein ganz anderes, offenes Klima. Roesch fand mit seiner eigenständigen Position als Künstler schon früh Anerkennung. Er sprengte die klassische Bildauffassung und pflegte einen provokativen Umgang mit Un- und Signalfarben. Eigentlich entsprechen mir die malerischen Positionen in der deutschen Schweiz und auch in Deutschland viel eher, gerade wenn ich an die freie Malerei eines Georg Baselitz oder Philip Guston denke.

von Burg: Können Sie mir beschreiben, wie sich die Arbeitsbedingungen im Zuger Atelier von denjenigen in Rom unterscheiden?

Rotzetter: Hier habe ich wunderbare Voraussetzungen angetroffen. Alle Ateliers, die ich zuvor hatte, waren schrecklich; denn es herrschten chaotische Arbeitsbedingungen. Doch hier gefällt es mir ausgesprochen gut, weil das Atelier und die Wohnung ganz nahe beieinander liegen. Die Räume sind in einem Teil eines ehemaligen Klosters untergebracht und liegen am Fuss des Zugerberges. Es ist ein idyllischer, stiller und beschaulicher Ort. Gleichwohl befindet man sich ganz in der Nähe von Zürich und Luzern. In Rom dagegen hatte ich nie einen ruhigen Moment und meine künstlerische Arbeit hat entsprechend darunter gelitten.

von Burg: Also ein recht krasser Gegensatz! Hat Ihr Aufenthalt in Zug Sie in irgendeiner Weise inspiriert?

Rotzetter: Seit einiger Zeit beschäftige ich mich mit denselben Themen. Dennoch stelle ich fest, dass unter dem Einfluss dieser Ruhe, inmitten dieser einmaligen Landschaft mit herrlichen Bäumen, meine Sprache und mein Ausdruck weniger drastisch, weniger heftig und ungestüm sind; dass mich all dies besänftigt hat.

von Burg: Pflegen Sie mit den anderen Stipendiaten, den Literaten und Musikern einen Austausch?

Rotzetter: Nicht besonders. Ganz im Gegensatz zu Rom, wo ein intensiver Austausch herrschte. Klar, man begegnet sich verschiedentlich und hat auch miteinander gesprochen. Doch hier bin ich mit einer anderen Philosophie und verschiedenen Charakteren konfrontiert.

von Burg: Nun steht eine Ausstellung im Museum Allerheiligen in Schaffhausen an, welche ja in gewisser Hinsicht das Ergebnis Ihres Aufenthaltes in Zug ist?

Rotzetter: Der Kurator des Museums zu Allerheiligen, Marc Munter, hatte mich bereits während meines Romaufenthaltes kontaktiert und mich auf eine mögliche Museumsausstellung angesprochen. Da schien mir die Aussicht auf ein Atelierstipendium der Landis & Gyr Stiftung als eine Fügung, um diese Ausstellung in Ruhe und Konzentration vorbereiten zu können. Meine Arbeiten thematisieren die Gegensätze von Natur und Technik, die soziale Ungerechtigkeit, die Absurdität der ständig irgendwo geführten Kriege sowie die Fatalität menschlicher Existenz. Der äusserst gestische Stil korrespondiert mit diesen befrachteten Themen.

von Burg: In Ihrer Farbwahl scheinen Sie den Ideen von Peter Roesch verpflichtet?

Rotzetter: Ja gewiss. Die intensiven, dynamischen, grellen Farben sind zunächst mal ausgesucht, um die absurden Szenen umzusetzen; sodann auch, um Perspektiven, Rhythmus, Bewegung und Energiefelder zu erzielen, wie es die spätmittelalterlichen Maler pflegten. Wir treffen hier oft auf skurrile Szenen: Eine Prostituierte im Rollstuhl, der auf einem Sockel steht und von Hochhäusern umgeben ist, oder einen Tiermenschen, der für seinen Lautstärker einen elektrischen Anschluss sucht. Ein kopfloser Krieger mit erhobenem Schwert auf einem Sockel posierend, veräppelt unseren tradierten Heroen-, Herrscherkult. Es liegt dann am Betrachter, diese Geschichten zu beleben und zu vervollständigen. Jedenfalls darf die nötige Dosis Ironie nicht fehlen, wenn Rotzetter den Irrsinn unserer Welt fabulierend und bildgewaltig vor unseren Augen Revue passieren lässt.

Bis 
28.04.2012

 

allerheiligen.ch
www.lg-stiftung.ch
Dieser Beitrag erscheint mit Unterstützung der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia, Schwerpunkt Schweizer Übersetzungsförderung ‹Moving Words›.

English Version

 

Autor/innen
Dominique von Burg
Künstler/innen
Gilles Rotzetter

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