Basel Short Stories - Housewarming

Basel Short Stories, Ausstellungsansichten Kunstmuseum Basel, 2018; (o): Malpieri, Wolfgang Tillmans, Cécile Hummel; (u): Arnold Böcklin, Hans Holbein d.J., Félix Valloton, Hans Arp, Charles Ray. Fotos: Julian Salinas

Basel Short Stories, Ausstellungsansichten Kunstmuseum Basel, 2018; (o): Malpieri, Wolfgang Tillmans, Cécile Hummel; (u): Arnold Böcklin, Hans Holbein d.J., Félix Valloton, Hans Arp, Charles Ray. Fotos: Julian Salinas

Basel Short Stories, Ausstellungsansichten Kunstmuseum Basel, 2018; (o): Roy Lichtenstein, Andy Warhol, Fischli /Weiss; (u): Pipilotti Rist, Maria Lassnig, Franz Kline, Mark Rothko. Fotos: Julian Salinas

Basel Short Stories, Ausstellungsansichten Kunstmuseum Basel, 2018; (o): Roy Lichtenstein, Andy Warhol, Fischli /Weiss; (u): Pipilotti Rist, Maria Lassnig, Franz Kline, Mark Rothko. Fotos: Julian Salinas

Besprechung

Die aktuelle Sonderausstellung im Neubau ist ein subtil orchestriertes Projekt, welches die Stadt und das Museum als Organismus über die Sammlungsbestände miteinander ins Gespräch bringt. Der stützenlose Erdgeschoss-Saal und das zweite Obergeschoss nehmen neun Ein-Raum-Ausstellungen auf.

Basel Short Stories - Housewarming

Die ‹Basel Short Stories› haben transatlantisch angefangen. Josef Helfenstein gleiste das Projekt als kulturwissenschaftliche Recherche mit ‹Raid the Icebox with Andy Warhol 1› als Modell auf, jener bahnbrechenden Ausstellung, für die John und Philippa de Menil 1969 Andy Warhol Carte Blanche gaben, die gesamte de Menil Collection zu «plündern» und kuratorisch zu arbeiten. Mit Unterstützung des Wissenschaftlichen Mitarbeiters Patrick Düblin und der Assistenzkuratorin Maja Wismer wurde in Basel weniger radikal «geplündert», als vielmehr die über die Jahrhunderte kontinuierlich gewachsene öffentliche Kunstsammlung gesichtet und in kooperativen Bezügen zu anderen öffentlichen und privaten Basler Sammlungen und Archiven erschlossen.
Der Ausstellungsbeginn im zweiten OG gibt sich wie ein kleiner überdachter Platz mit Sitzgelegenheit. Der Sicht über das Treppenvolumen antwortet ein Gross-Tableau aus gerahmten historischen Porträts sowie ein illuminierter Leuchtkasten von Jeff Wall. Ein Point de vue im Muster einer «Petersburger Hängung», die dafür sensibilisiert, wie stark leidenschaftliches Sammeln, Erinnern, Ordnen und Gruppieren zusammengehören und immer auch die Frage einschliessen, was nicht gezeigt wird oder sich dem Darstellbaren entzieht. Im Rahmen dieses Prozesses wurden Kernbestände wie Holbeins Bildnis des Erasmus von Rotterdam, der ‹Tote Christus im Grab› und Ankäufe der Abstrakten Expressionisten aus dem längst selbstverständlichen Sammlungsnarrativ gerückt und mit kaum oder noch nicht gezeigten Werken von Künstler/innen wie Maria Sibilla Merian, Paule Vézelay, Ottilie von Roederstein und Kurt Seligmann neu gesichtet. Nach einer Vorauswahl von über zwanzig Themen und Ereignissen mit Basel-Bezug wurden neun als Protagonisten der «Stories» ausgewählt, die jetzt in neun Räumen zusammen mit Objekten und Dokumenten installativ präsentiert und mit einem Gespür für ihre Materialität anerzählt werden. Für alle Stories wurde ein eigener Patron als Sponsor gewonnen. Silvia Bächli, Pippilotti Rist und Not Vital folgten der Einladung, je eine «Story» miteinzurichten.
Holbeins Porträt von Erasmus von Rotterdam wird in ‹Story # 1› als gemaltes Bildnis eines Gelehrten präsentiert, der seine Haupttätigkeit mit Feder auf Papier ausführt. Statt seiner Schriften ist ein Teil seines Besitzes zu sehen sowie Arbeiten auf Papier, auf Leinwand und ein gestickter Wandbehang, die aufzeigen, womit er und seine Zeitgenossen sich beschäftigt haben: dem Menschen, dem Individuum, der Endlichkeit und in seinem Fall auch Fragen nach der Rolle der Frau. Werke von Marcel Broodthaers und Jeff Walls ‹Citizen› moderieren den Weg ins 20. Jahrhundert und führen vor, dass Rezeption in den ‹Basel Short Stories› nicht als etwas Sekundäres verstanden wird, sondern als wirksames Element im Verbund mit historischen Orten wie dem Erasmus-Grab im Basler Münster und dem Erasmus-Haus einen generations- und kulturübergreifenden Zugang zu finden.

Spielerisch wird beispielsweise in der Story zum ‹Kabinett von Jacob Burckhardt› mit Wolfgang Tillmans lebensgrossem ‹Dornauszieher› (Spinario) in nächster Nähe zur raumdominierenden Gipsreplik des bärtigen Gottes Nil aus der Malpieri-Werkstatt in Rom angetönt, inwiefern klassische Ur- und Vorbilder bis heute fortleben; wie Skulptur, Plastik, Malerei und der menschliche Körper in einem Wechselspiel von Rückbesinnung und ästhetischen Vorlieben stehen. Die historisch tragische Lebensgeschichte Iris von Rotens wird durch eigenhändige Blumengemälde als Story zu einem spannenden Kapitel weiblicher Emanzipation in der Schweiz seit der Nachkriegszeit. Den Ankäufen der ‹Abstrakten Expressionisten› von 1958 - dem Jahr, in dem ‹Frauen im Laufgitter. Offene Worte zur Stellung der Frau› erschien - wird das Heroische nicht genommen, aber mit Hodlers ‹Mutigem Weib› und Rosemarie Trockels Plädoyer für die Köchin als staatsregierende Kraft werden kräftige Kontrapunkte gesetzt. Die Story von ‹Frick & Frack› richtet den Blick auf Freundschaft, Maske und das «Andere», Nachtseitige von Gesellschaft und Kultur.

Der Entdeckung des LSD durch Albert Hofmann 1943 wird mit Alchemie und dem ‹Antoniusfeuer› ein kulturhistorisches Fundament verliehen. In diesem Kontext erhält auch Albert Stoll einen Auftritt, der das halluzinogene Ergotamin während seiner Tätigkeit als Leiter der Forschungsabteilung der Firma Sandoz AG erstmals isolierte und 1938 eine Auftragsarbeit an Niklaus Stöcklin vergab, der daraufhin das ‹Chemiebild oder Die neue Zeit› malte. Auch der erste Rausch von Hofmann erhält einen künstlerischen Nachklang. Sein experimenteller Trip ging als psychedelische Velofahrt in die Geschichte ein und wurde später durch Fischli/Weiss für ‹Plötzlich diese Übersicht› als ungebrannte Ton-Skulptur erknetet. Nun wird sie unter einem Plexiglassturz in der Nähe einer Soundstation gezeigt, wo unter anderem Popsongs von den Beatlers und den Yardbirds zu hören sind.

Käthe Kollwitz' Protestplakat ‹Nie wieder Krieg› hängt hoch über den Sammlungswerken mit Bezug zum Ersten Weltkrieg, der trotz aller humanistischen Verve beim Friedenskongress der zweiten Internationale in Basel 1912, als Clara Zetkin eine flammende Rede für Frauenwahlrecht und Gleichberechtigung hielt, nicht verhindert werden konnte. Sie ist in Louis Aragons literaturgewordener Aneignung Teil der analog zu den Stories konzipierten Publikation zur Ausstellung. Zehnter Raum der ‹Basel Short Stories› ist die Veranstaltungsreihe ‹Criss Cross›. Sie eröffnet einen Reflexionsraum, in dem zusammen mit Gästen Themen wie ‹Gesellschaftliche Gerechtigkeit›, ‹Bewusstsein und Rausch› und das ‹Theater der Geschlechter› im aktuellen Kontext diskutiert werden.

Bis 
21.05.2018

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