Daniele Buetti - Von der Schönheit und ihren Störungen

Oh boy oh boy, XVIII A, 2010, Tintenstrahldruck hinter Acrylglas, 180 x140 cm © ProLitteris

Oh boy oh boy, XVIII A, 2010, Tintenstrahldruck hinter Acrylglas, 180 x140 cm © ProLitteris

Looking for Love, 1995, Tintenstrahldruck, 180 x 125 cm © ProLitteris

Looking for Love, 1995, Tintenstrahldruck, 180 x 125 cm © ProLitteris

Fokus

Seit gut dreissig Jahren ist Daniele Buetti international unterwegs. Galerien in Berlin, Brüssel, Frankfurt, Wien und Zürich vertreten den Künstler. Sein Atelier befindet sich im Zürcher Kreis 4, kleine Handwerksbetriebe aus der Umgebung fertigen seine Arbeiten an. Das Wohnatelier dient vor allem der Konzeptentwicklung. Vor Ort befinden sich die neuesten Werke, die Buetti demnächst in der Zürcher Galerie Nicola von Senger zeigt. Ein Gespräch über das höchst anregende Werk.

Daniele Buetti - Von der Schönheit und ihren Störungen

Polzer: Ich sehe weit überlebensgrosse, einzelne Köpfe ohne Gesichter, eine neue Serie. Wie ist sie entstanden?

Buetti: Die Porträts finde ich im Internet und drucke sie auf grossem Fotopapier aus. Anschliessend lege ich die Abzüge mit der Bildseite nach unten auf meinen Arbeitstisch und schneide grosszügig ein Loch heraus. Dieses Oval zerlege ich in längliche Schnitzel und klebe die Stücke von hinten nacheinander ungefähr an den ursprünglichen Ort zurück, allerdings überlappend. Die Mitte bleibt leer. Das Gesicht ist nach wie vor vorhanden, aber an die Ränder weggedrückt und überlagert - vergleichbar der geöffneten Blende eines Fotoapparats. Mich hat die Frage beschäftigt, wie sehr ich ein Bild reduzieren und die dargestellte Person doch noch identifizieren kann.

Polzer: Sollte ich in der Lage sein, diese gesichtslosen Figuren zu benennen?

Buetti: Das ist nicht wirklich wichtig. Aber immerhin handelt es sich um Superstars, deren Bilder überall präsent sind. An ihren Haaren, ihrer Kleidung, ihren Gesten könnte man sie - auch ohne die Gesichter - erkennen. Die Porträtierten - es handelt sich u.a. um Michael Jackson, Amy Winehouse, Brad Pitt oder John Lennon - sind also da, aber mit einem grossen Loch im Gesicht. Wenn man wollte, könnte man ihre Porträts wieder zusammensetzen. Die leere Mitte ist gleichwohl kein Loch, sondern eine reale Spiegelfläche. Dabei geht es mir weniger um das identitätsbefragende Sich-selbst-Anschauen, als darum, den Raum zu öffnen, zu vergrössern. Ich blicke durch das leere Gesicht hindurch und finde mich wieder in meiner eigenen Lebenswelt. Mir gefällt zudem der Gedanke, im Zeitalter eines unersättlichen Bedürfnisses nach Selbstinszenierung ein Loch mitten in die Herrlichkeit des Antlitzes zu graben. Grundsätzlich bin ich nach wie vor fasziniert von popkulturellen Phänomenen und den damit verbundenen Wünschen, Sehnsüchten und Träumen. Welche Funktion haben Stars bei der Bildung von Identität und warum ist es so schwer, sich ein eigenes Bild von der Welt zu machen und danach zu handeln?

Störungen - Kritzeleien und Unschärfen
Polzer: In den Kugelschreiber-Tattoo-Serien von 1995 bis 1998, ‹Good Fellows› und ‹Looking for Love›, hast du Bilder von unbekannten Models bearbeitet, ihre Gesichter und Körper mit Logos von grossen Unternehmen oder mit diversen linearen Einritzungen versehen. Diese jungen Frauen waren Schönheiten ohne Namen. Jetzt bearbeitest du Stars mit grossen Namen. Aber du nimmst ihnen ihr ­Gesicht, sie werden gleichsam entleert. Von den Cover-Geschöpfen der damaligen ­Serien hast du gesagt, sie seien die Madonnen von heute. Man bete sie an, weil sie schlank sind und schön - zugleich hast du sie verletzt durch die Tattoos. Du beschädigst die Idole, entleerst und durchbohrst ihre Bilder.

Buetti: Ginge es mir um Zerstörung, würde ich die Bilder schlichtweg aus der Welt schaffen. Bei ‹Looking for Love› reichen die Eingriffe von ornamentalen Vernarbungen bis zu Kritzeleien auf einem Arm oder einer Brust. Hier ging es mir um Fragen wie: Wann ist Schönheit ideal? Könnte ich sie noch steigern, indem ich noch etwas hinzufüge? Am Ende des 18. Jahrhunderts war an den französischen Höfen die Mouche in Mode, eine Art Schönheitspflaster. In die ideale Blassheit des Gesichtsteints wurde hier und da ein schwarzer Fleck gesetzt. Eine kleine Störung im Gesamteindruck - um etwas noch schöner zu machen.

Polzer: Deine Störungen gehen entschieden weiter als eine Mouche.

Buetti: Ja, das ist das Spiel, meine Freiheit. Wann ist ein Schönheitsfleck kein Schönheitsfleck mehr, sondern ein Muttermal...oder ein Gechwür, eine Wunde..

Polzer: Makel und Fehler individualisieren. Das Schöne ist absolut, ein Gleichmass, das durchaus auch langweilig sein kann. Das Unschöne ist vielfältiger, lebendiger, persönlicher.

Buetti: Wir sind meistens gelangweilt vom abstrakten Diktat eines Schönheitsideals. Stattdessen suchen wir in der Vollkommenheit das Abweichende, Störende, Morbide. Durch die Verletzungen werden die Supermodels auf einmal berührbar, die ins Ätherische entrückten Schönen werden durch die Wundmale zu irdischen Wesen - zu ihnen können wir beten wie zu Heiligenbildern.

Polzer: Störungen zeigen auch deine teilweise fast psychedelisch wirkenden ‹Flags› von 2014.

Buetti: Flaggen sind Marken avant la lettre. Ihre Funktion entspricht mehr oder weniger der eines Logos: Sie müssen sofort identifizierbar sein, um zu verdeutlichen, wofür sie stehen. Meistens sind sie mit einfachen geometrischen Formen und lebhaften Farben gestaltet - womit sie an abstrakte künstlerische Tendenzen erinnern. Was passiert nun, wenn ich das Bild unscharf stelle? Die klaren Grenzen verschwinden, die Farbfeldränder verwischen. Je weiter dieser Prozess des Unscharfmachens forciert wird, umso unerkennbarer das ursprüngliche Symbol - irgendwann bleibt nur noch lyrische Abstraktion übrig... wie bei Rothko.

Leiden - Schmerz und Kummer
Polzer: Störungen können zu Leiden führen. Das Leid der Heiligen war in der christlichen Ikonografie häufig Anlass, ihre Nacktheit zu zeigen. Die Darstellung des schönen Körpers ging einher mit Folterszenen - wie beispielweise beim heiligen Sebastian.

Buetti: Du nimmst hier Bezug auf die Werkgruppe ‹Oh boy oh boy›. Ja, es handelt sich um eine Weiterentwicklung, von den Heiligenfigurinen zu den erweiterten Erzählungen über Märtyrertum. Auf den ersten Blick sind es wieder der Schönheit verpflichtete Körperkompositionen, es handelt sich aber um Episoden, die wir von Kriegsbildern kennen, um Szenen aus den Gefängnissen von Abu Ghraib und Guantánamo, und um Fotos von Gestrandeten. Ich wollte Vexierbilder schaffen, ähnlich den Kirchen-Tableaus. Was mich verblüfft, ist die kompositorische und formale Nähe zwischen der heutigen fotografischen Darstellung von Gewalt und klassischen, malerischen wie auch mosaikartigen Darstellungen von Schmerz und Kummer: Als ob es ein kollektives Bildgedächtnis gäbe.

Polzer: Auch den Models fügst du Leid zu mit den tätowierten Logos.

Buetti: Als ich ihnen «Christian Dior» auf den Arm schrieb, hat mich die Verschränkung von Schönheitsideal, ökonomischem Erfolg und dem Bedürfnis nach Zugehörigkeit interessiert. Wenn ich meine Begeisterung für Nike nicht mehr in Form von spezifischen Kleidungstücken ausdrücke, sondern mir als Logo auf den Bauch tätowieren lasse - dann finde ich mich supercool, weil Nike so cool ist. Ich habe diese Models nicht als Opfer gesehen, die Tattoos sind eher eine Liebeserklärung: Ich verbinde mich mit etwas, das grösser ist als ich. Nike und andere Logos stehen für ein Produkt, zugleich für eine Community, einen «good fellow».

Polzer: Du sprichst von einer Liebeserklärung, zugleich sind diese Models so passiv, melancholisch und lasziv. Schönheit wird hier nicht mit Aktivität, sondern eher mit Passivität verbunden.

Bestimmung Schönheit
Buetti: Ja, ich habe keine Bilder ausgewählt, auf denen die Models lachen oder tatkräftig wirken. Sie sind eher in sich gekehrt, besinnlich. Ich wollte das Verschmelzen zeigen, dem Akt der Vernarbung ein Gefühl geben.

Polzer: Schon in deinem frühen Manifest zum Flügelkreuz, einer Art selbstgeschaffenem Logo, das du mit sehr eigensinnigen Aktionen auf Strassen und Jahrmärkten unter die Leute bringen wolltest, sprichst du von «Brandwunde», «Besitzanspruch», «Stempel», «Macht» und «Gesetz». Würdest du zustimmen, wenn man deine Logo-geschmückten Teenager auch kritisch sieht? Sie unterwerfen sich Ansprüchen, die ihnen von aussen angetragen werden, nicht nur in Bezug auf Jugend, Schönheit und gefällige Posen, auch in Bezug auf die Akzeptanz eines Unternehmens-Logos - bis zur Einschreibung in die eigene Haut. Es handelt sich um eine Art körperliche Anpassung an ökonomische Prozesse, um die Internalisierung der Ansprüche einer von aussen kommenden Macht. Michel Foucault hat das mit dem Begriff der Bio-Macht umschrieben, gemeint ist eine Art Disziplinierung und Dressur der Körper im Rahmen kapitalistischer Prozesse.

Buetti: Es geht mir nicht um Kritik. Tatsache ist, dass das Leben nur existiert, weil seine Bestimmung die Schönheit ist. Schönheit ist Mittel zum Zweck, ist Klarheit des Denkens, Präzision des Handelns. Jeder Mathematiker würde sagen, dass eine Formel, um wahr zu sein, schön sein muss. Alles in der Natur ist schön, jedes Naturereignis ist in sich stimmig. Nur der Mensch ist unvollkommen, er hat die Geschmacklosigkeit in die Welt getragen.

Polzer: Aber der Mensch ist doch Teil der Natur, warum hat sie ihn nicht besser, «schön» gemacht?

Buetti: Weil irgendwann die Natur die Kontrolle über den Mensch verloren hat, beziehungsweise er auf die dämliche Idee gekommen ist, Wälder zu roden, um Mais anzupflanzen. Da hat die Hässlichkeit Einzug in die Welt gehalten.

Daniele Buetti (*1955, Freiburg) lebt in Zürich
Seit 2004 Professor an der Universität der Künste, Münster

Einzelausstellungen (Auswahl)
2014 Schirn Kunsthalle, Frankfurt
2008 Swiss Institute for Contemporary Art, New York
2004 FRAC, Fonds Régional d'Art Contemporain, Marseille/Museum Henie Onstad, Oslo
2003 Helmhaus, Zurich
1999 Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofia, Madrid

Gruppenausstellungen (Auswahl)
2017 ‹Communities, Rules and Rituals›, Migros Museum für Gegenwartskunst, Zürich;
‹Out of Place›, Mediterranean Biennale, Sakhnin Valley, Israel
2016 ‹Medicine in Art›, MOCAK - Museum of Contemporary Art, Krakau
2011 ‹Beauty Culture›, The Annenberg Space for Photography, Los Angeles
2010 ‹Auf Leben und Tod›, Wallraf-Richartz-Museum, Köln

 

Bis 
15.07.2018
Ausstellungen/Newsticker Datum Typ Ort Land
Fashion Drive. Extreme Mode in der Kunst 20.04.201815.07.2018 Ausstellung Zürich
Schweiz
CH
Daniele Buetti 27.02.201818.05.2018 Ausstellung Zürich
Schweiz
CH
Künstler/innen
Daniele Buetti
Autor/innen
Brita Polzer

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