Camille Kaiser — Zoombewegungen
Ausgehend von der eigenen Familiengeschichte untersucht Camille Kaiser im Aargauer Kunsthaus den Transfer kolonialer Kulturgüter von Algerien zurück nach Frankreich nach Ende des Unabhängigkeitskriegs. Sie schafft dabei Raum für Fiktion und fokussiert auf die grossen und kleinen Gesten.
Camille Kaiser — Zoombewegungen
Aarau — Der Sound von Camille Kaisers Videoinstallationen lockt einen ins Untergeschoss des Museums: Brummen, Klacken, Schritte. Keine Stimmen. Unten angekommen, findet man sich wieder in einem hell ausgeleuchteten, fast leeren Transitraum. Sorgfältig platzierte Postkarten auf scharfkantigen Archivregalen zeigen die Klippe von Cap Carbon, ein Wahrzeichen Algeriens. Eine solche Karte war Ausgangspunkt der umfangreichen Recherchearbeit der Künstlerin. Verschickt wurde sie von ihrem Grossvater aus Algerien an die Grossmutter nach Frankreich, kurz nach Ende des Unabhängigkeitskriegs in den 1960ern. Am liebsten möchte ich die Postkarten umdrehen und nach Botschaften, Flecken oder Fingerabdrücken suchen. Stattdessen lasse ich sie still auf den Regalen liegen, wo sie gemeinsam den Felsen neu formen.
Als Gewinnerin des Kiefer Hablitzel I Göhner Kunstpreis 2022 spielt Camille Kaiser (*1992, Genf) in vier Räumen des Aargauer Kunsthaus mit der Überlappung von Erinnerung, Realität und Fiktion. Sie lässt uns an ihrer persönlichen Geschichte teilhaben und sorgt mit einer klaren Erzählstruktur und bewussten Leerstellen dafür, dass sich Besucher:innen im riesigen Diskurs rund um Dekolonisierung und die Rückführung von kolonial behafteten Objekten nicht verlieren.
Das Thema Korrespondenz bleibt im nächsten Ausstellungsraum präsent: Eine Briefmarkenserie der Künstlerin öffnet winzige Fenster in eine fiktive Welt ohne koloniale Spuren. Mit der Videoinstallation im dritten Raum werden die Postkarten lebendig: Kaiser navigiert Avatare aus Distanz und lässt den markanten Felsen durch fremde Linsen filmen. Auf den Bildern sollen keine Menschen zu sehen sein, so die Anweisung. Die leere Landschaft wird zur stillen Zeugin Geschichte. Der letzte Raum ist mit einem weichen Teppich gepolstert und beherbergt eine Videoinstallation. Der geloopte Film tastet das Archiv des französischen Verteidigungsministeriums ab, zuerst die Hülle des Gebäudes, dann das Innere. Je nach Zeitpunkt, zu dem man den Raum betritt, steigt man anders in diese Zoombewegung ein: vielleicht mit den in Plastik gepackten und nummerierten Fotografien, mit den Handbewegungen in Gummihandschuhen oder vielleicht direkt mit der Mikroaufnahme der Statue des Herzogs von Orléans auf dem Weg nach Frankreich. So oder so: Auf einmal werden die kleinen Gesten riesengross.
→ ‹Camille Kaiser – small gestures, grand gestures. Kiefer Hablitzel | Göhner Kunstpreis 2022›, Aargauer Kunsthaus, bis 29.5. ↗ aargauerkunsthaus.ch
Institutionen | Land | Ort |
---|---|---|
Aargauer Kunsthaus, Aarau | Schweiz | Aarau |
Ausstellungen/Newsticker | Datum | Typ | Ort | Land | |
---|---|---|---|---|---|
Camille Kaiser | 01.04.2023 – 29.05.2023 | Ausstellung | Aarau |
Schweiz CH |
Camille Kaiser |
Ava Slappnig |