Joanna Piotrowska
Joanna Piotrowska
Paris — Unweit der quirligen Place de Clichy nahe Pigalle lädt das auf Fotografie spezialisierte Le Bal zu qualitätvollen Entdeckungen. Direktorin Diane Dufour, die das Kunstzentrum 2010 gemeinsam mit Raymond Depardon gegründet hat, löste hier bisher die nicht einfache Aufgabe der Distinktion von anderen Pariser Foto-Institutionen durch die Präsentation historischer oder im Kunstfeld relevanter statt aufstrebender Künstler:innen. Jetzt kommt die 2013 am Londoner Royal College of the Arts diplomierte Joanna Piotrowska (*1985). Die Schwarz-Weiss-Fotografien der gebürtigen Warschauerin waren Publikumsentdeckung der letztjährigen Venedig-Biennale. Ihre Aufnahmen von sich zueinander biegenden, aneinanderschmiegenden Körpern haben zuvor bereits die Tate Britain, die Kunsthalle Basel oder das MoMA New York mit Erfolg eingeführt.
Die Bildstimmung vertrauten Unbehagens entleiht die Künstlerin bei dem 2019 verstorbenen Psychotherapeuten Bert Hellinger. An dessen «Familienaufstellungen» interessiert Piotrowska das Theatrale, weil «eine aussergewöhnliche Körpersprache in einem Kontext zum Ausdruck kommt, der besonderes Augenmerk auf soziale und historische Bezüge legt», erklärt sie im Begleitkatalog der Kuratorin Magdalena Komornicka. Wo Hellinger verspricht, im Einzelnen Urgründe für Fehlfunktionen der Gruppe zu finden, stellt Piotrowska den Körper als intersubjektiven Operator einer Ästhetik der Gruppenbande vor.
Am Eingang ihrer Schau ‹Entre nous› («beisammen» oder auch «intim», wörtlich «zwischen uns») im Le Bal lassen im Video ‹Animal Enrichment›, 2019, ursprünglich als 16mm-Film realisiert, zwei junge Frauen Bälle springen wie in einer Versuchsaufstellung. Danach läuft hinter farbigen Vorhängen das im gleichen Jahr erstellte sechsminütige Video ‹Little Sunshine›: witzig-beklemmende spielerische Situationen zwischen Familienmitgliedern. Das Untergeschoss empfängt wie eine enge Kleinzimmerwohnung. Beim Treppenabgang von oben gesehen, wirkt das wie ein Labor-Labyrinth. Das Publikum als Versuchstier? Jedenfalls sind die auf den Papierabzügen zu sehenden Posen trotz scheinbarer Unmittelbarkeit präzise inszeniert. Manchmal sieht man nur Arme und Büsten, keine Köpfe, denkt an kunsthistorische Gesten. Beim Zusehen wird spürbar, wie diese Fotografie funktioniert: Sie inszeniert ihre Bild-Subjekte als miteinander verstrickt – und erlaubt paradoxerweise genau dadurch eine Ablösung vom Bild. In der Ausstellungsbegegnung erscheint das Menschsein fragil, zuweilen lächerlich, pathetisch. Joanna Piotrowskas Vorstellung macht es als unstillbares Bedürfnis nach berührenden Gesten erfahrbar.
Institutionen | Land | Ort |
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Le Bal | Frankreich | Paris |
Ausstellungen/Newsticker | Datum | Typ | Ort | Land | |
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Joana Piotrowska | 16.02.2023 – 21.05.2023 | Ausstellung | Paris |
Frankreich FR |
Joanna Piotrowska |
J. Emil Sennewald |