Die beauftragte Kunst
Nahezu unbemerkt von jeder Öffentlichkeit fand vom 16.3. bis zum 23.4. im Palais des Nations der UNO Genf die Ausstellung «être. les droits de l?homme à travers l?art» statt. Sie war Teil einer Reihe von Beitrittsgeschenken der Eidgenossenschaft an die UNO, die ausserdem die Restauration von Karl Hügins Fresken und ein neues Stellwandsystem in Genf sowie die Neugestaltung des Warteraumes GA 200 im Hauptsitz New York umfasst. Die Idee, eine Kulturbotschaft in Form einer Ausstellung zu verschenken, hat das politische System wahrscheinlich mehr begeistert als jenes der Kunst.
Die beauftragte Kunst
Die schlicht und ansprechend gestaltete Einladungskarte kündigte eine Kunstausstellung an, den Grund zu dieser Ausstellung sowie den Eröffnungsapero mit einer Ansprache von Joseph Deiss. Nicht angekündigt waren dagegen die Namen der gut dreissig Künstlerinnen und Künstler, aus deren Beiträgen die Ausstellung bestand. Erhellende Informationen liessen sich zum Zeitpunkt der Eröffnung weder im Internet finden, noch in der (auf Anfrage erhältlichen) Presseinformation. Man kam sich also ausserordentlich privilegiert vor, überhaupt von der Ausstellung zu wissen.
Künstlerisch gesehen war die Sache unbedenklich, wenigstens was die Auswahl der Beiträge betraf: allesamt Werke von angesehenen, international renommierten Künstlerpersönlichkeiten. Irritierend wirkte vielleicht die Tatsache, dass als Kurator Lars Müller verantwortlich zeichnete, der im Bereich der Kunst zwar als Herausgeber von hochkarätigen Publikationen ein Begriff ist, bis anhin jedoch noch nie als Kurator von sich reden gemacht hatte. Wirklich befremdend war allerdings die Kombination einer Auswahl von Kunstwerken mit «Drift», dem neuen Stellwandsystem des Ateliers Greutmann Bolzern. Das aus Ausstellungspanelen, Sockeln und Vitrinen bestehende System wurde als labyrinthartiger Parcours gestaltet, in dem Zeichnungen, Malereien und kleinere Objekte aufgehängt wurden. Laut Pressetext des EDA vom 15.3.2004 besticht Drift durch eine «schlichte Ästhetik und Multifunktionalität» und lässt «sich vielfach kombinieren»; das Auftauchen eines Spiegels mitten in der Ausstellung - eine Variationsmöglichkeit von Drift - dürfte dadurch allerdings kaum zu entschuldigen sein. Der entstandene Gesamteindruck lässt sich am besten derart beschreiben, dass einer Zeichnung von Twombly wohl erstmalig in ihrer Geschichte die Ehre zuteil wurde, sich in der Atmosphäre einer Shopping-Mall behaupten zu müssen.
Auch wenn kein direkter Zusammenhang zwischen der Ausstellung in Genf und dem anfangs Jahr von Micheline Calmy-Rey gegründeten Kompetenzzentrum für Kulturaussenpolitik (KKA) besteht, so trägt doch derselbe Gedanke die beiden Projekte. Die Schwierigkeiten, mit denen sich die Organisatoren von «être. les droits de l?homme à travers l?art» konfrontiert sahen, dürften sich denn auch in Calmy-Reys neuem Amt wiederholen. Abgesehen von Details der Präsentation stellt sich ganz grundsätzlich die Frage nach der Tauglichkeit von Kunstwerken als interkulturelle Botschafter. In der UNO-Ausstellung musste beispielsweise der Beitrag von Jenny Holzer, deren Name im aufliegenden Faltprospekt noch abgedruckt war, kurzfristig zensuriert werden: Im Kontext der UNO werden Worte wie «Fucking», «Killing» oder «Extremist» schlichtweg nicht geduldet.
Vorgegebene Interesselagen, die zu guter Letzt in Zensur umschlagen, werden in der Kunst nicht gerne gesehen. Das ändert sich auch dann nicht, wenn das Vorhaben - wie in Genf - als solches ehrenhaft ist. Auch Micheline Calmy-Reys Worte anlässlich ihres neu gegründeten Kompetenzzentrums, man wolle «Kulturschaffen nicht nur im Dienst unserer Kulturschaffenden und unseres Images, sondern auch im Dienst unserer Friedens- und Menschenrechtspolitik»1 fördern, lassen - trotz des hehren Anspruchs - Zweifel aufkommen: Inwiefern kann dies nämlich überhaupt gelingen und ist die Kunst für die Kommunikation zwischen verschiedenen Kulturkreisen wirklich eine geeignete Plattform?
Auf der einen Seite ist im Zeitalter der Globalisierung die Verständigung über interkulturelle Gemeinsamkeiten eine wichtige Aufgabe; auf der anderen ist unsere Vorstellung von Kunst der Ausdruck einer spezifischen kulturellen Situation respektive Entwicklung, die auf andere Kulturen der Welt, beispielsweise die hinduistische oder islamische, ganz und gar nicht zutrifft. Da der ästhetische Diskurs per se kritisch und subversiv funktioniert, ist er auf Vertrautes angewiesen und kann deshalb auch erst als Folge bereits vorhandener Gemeinsamkeiten Sinn stiftend sein. Natürlich können Menschen, die dieses Konzept verstehen, ästhetisch kommunizieren; was aber, wenn sie über keinen innerhalb eines gesellschaftlichen Teilsystems institutionalisierten ästhetischen Diskurs verfügen? Die Unabhängigkeit von Kunst und Moral würde ein traditioneller Islamist niemals befürworten, denn für ihn sind auch Kunstwerke den religiösen Vorstellungen Rechenschaft schuldig. Wir dagegen pflegen in unseren Kunstwerken mittlerweile selbst Pornographie zuzulassen, während in vielen Ländern bereits einfache Nacktheit gegen jeden Anstand verstösst. Eine Performance von Vanessa Beecroft mag für uns zum Kanon zeitgenössischer Kunst gehören, doch lässt sich mit der Aufführung einer solchen in Bagdad wohl kaum interkulturelle Verständigung betreiben: Was für die einen der Inbegriff einer kulturellen Hochblüte ist, verkörpert für die anderen das Niedrigste und Verabscheuungswürdigste überhaupt.
Die angesprochene Problematik betrifft natürlich nicht nur Calmy-Reys Kompetenzzentrum, sondern das Betriebssystem Kunst insgesamt; zumal dieses sich seit der letzten Documenta gerne im Kleid der interkulturellen Verständigung zeigt. Ein politisches Amt hat dabei immerhin den Vorteil, dass es zuerst die Frage nach dem aussenpolitischen und nicht dem künstlerischen Mehrwert stellt und sich deshalb nicht mit schwierigen Unterscheidungen zwischen Kunst und Kultur oder ästhetischer und visueller Kommunikation zu beschäftigen braucht. Den Vorwurf, dass man durch aussenpolitische Prioritäten - beispielsweise die Menschenrechte ? die Auswahl der für Aktivitäten des KKA in Frage kommenden Kunstwerke enorm verringere und derart eine ganz spezifische Art von Kunst fördere, lässt Nicolas Bideau, Chef des neuen Kompetenzzentrums, dabei nicht gelten: Man verschreibe nichts, man wähle lediglich aus bereits Vorhandenem aus. Was sein Amt betrifft, mag man ihm Recht geben, doch stellte man sich dieses finanziell mächtiger vor, so wäre eine Beeinflussung der Produktionsbedingungen der Kunst wohl kaum so einfach zu negieren. Die Auswahl der Werke für die Aktivitäten des KKA wird notwendigerweise arrogant und diskriminierend sein, nichtsdestotrotz berechtigt. Berechtigt ist freilich auch eine Reaktion seitens der Kunst, die solche Instrumentalisierungen als problematisch bezeichnet und als Minimalforderung wenigstens einen professionellen Umgang mit der ?eigenen Identität? erwartet.
Die Frage nach der künstlerischen Qualitätssicherung stellt man sich auch im neuen Kompetenzzentrum; weshalb die Mitarbeiter in Zukunft einen Kurs in Kulturmanagment absolvieren müssen. Viel versprechender ist da schon eher die Absicht, mit bestehenden Institutionen zusammenzuarbeiten, allen voran dem BAK und der Pro Helvetia, wo man ja seit längerer Zeit sehr unmittelbar - und durchaus kompetent - mit den Kulturschaffenden zusammenarbeitet. Am Ende zeichnet sich damit ein Idealbild ab, in dem die Pro Helvetia dafür sorgt, dass Kunst und Kultur professionell produziert werden, ehe das KKA einzelne Teile davon für politische Zwecke instrumentalisiert. Dabei sollte man nicht übersehen, dass die Freiheit des KKA von primären Förderungsverpflichtungen gegenüber dem Schweizer Kunstschaffen durchaus eine Chance ist: Die Kombination einer Kunstausstellung zum Thema der Menschenrechte mit der Förderung von Produktion und Distribution einheimischen Kunstschaffens wäre nämlich zweifelsohne die beste Voraussetzung für den künstlerischen Supergau.
Ungeachtet der Tatsache, dass Calmy-Reys Kompetenzzentrum Bestandteil einer aussenpolitischen Profilierungsstrategie ist, hat es durchaus Potenzial. Es ist umso mehr zu hoffen, dass man der Kunst mit demselben Respekt begegnen wird wie den Menschenrechten und sie nicht zu einem weltweit gefälligen Erlebnis degradiert, dessen Ansprüche hinsichtlich Präsentation, Kommunikation und Distribution ignoriert werden können. Die Aussenpolitik sollte die Kunst nicht nur für die eigenen Kulturbotschaften instrumentalisieren, sondern sie gleichzeitig als eigene Botschaft im Ausland auch vertreten. Die Unabhängigkeit der Kunst ist eine Errungenschaft unserer Kultur; nicht jeder möchte sie zum Geschenk, aber verhandelbar ist sie nicht.
1 Micheline Calmy-Rey, Ein Austausch, der alle bereichert, in: Schweiz global 2/2002, S. 8
Oliver Kielmayer |