Von Reisenden und Anti-Nomaden
Der in Bratislava lebende Roman Ondák hat im Kölnischen Kunstverein unter dem Titel «Spirit and Opportunity» eine Kulisse nach Medienbildern modelliert. Der Boden aus rotem Sand erinnert an Aufnahmen vom Mars und katapultiert die Besucher unvermittelt ins All.
Von Reisenden und Anti-Nomaden
Ein Interview mit Roman Ondák
Der Marsboden ist rostrot und übersät mit löchrigem Gestein. Der rote Sand enthält scharfe Splitter, die festgestampften Hügel sind zwar nicht hoch, aber man sollte nicht ins Stolpern kommen. Seit sieben Monaten senden uns Kameras Bilder von der Marsoberfläche. Der in Bratislava lebende Roman Ondák lädt mit seiner Einzelausstellung zu einem simulierten Spaziergang im All ein. Er hat den Boden des roten Planeten aus abgetragenem Tennisplatz-Sand und Eifel-Lava modelliert. Die Besucher sind die Statisten der Marsbesiedlung, die Passanten auf der Hahnenstrasse, wie in einer Live-Schaltung, durch die grossen Glasscheiben des Kulturinstituts «Brücke» verfolgen können. Mit Performances, die im Miteinander mit befreundeten Akteuren die Grenzen der Aufmerksamkeit zwischen Kunst und Alltäglichem neu markierten, nahm Roman Ondák in der Vergangenheit an zahlreichen internationalen Gruppenausstellungen - wie «I promise it?s political» im Museum Ludwig oder der dritten Manifesta in Ljubljana teil.
Catrin Lorch: Als 1966 geborener Tscheche bist du in einem sozialistischen Regime aufgewachsen, du hast den Kollaps eines Systems miterlebt und die Teilung eines Landes in zwei Staaten. Ein Hintergrund, der in unerwarteter Weise deine Arbeit prägt?
Roman Ondák: Eigentlich war ich immer vom Zeichnen fasziniert und wollte Künstler werden. Meine Vorstellungen waren jedoch begrenzt - zeitgenössische Kunst wurde zensiert. So interessierte ich mich für das Mittelalter, das neunzehnte Jahrhundert, frühen Modernismus und manchmal half sogar die konforme Kunstkritik, sonst vor allem mit dem Entwurf einer Parallelwelt beschäftigt, wenn sie beispielsweise Rauschenberg als Paradebeispiel dekadenter kapitalistischer Kunst abbildete. Manche Künstler konnten reisen, einer kam bis nach Paris und obwohl er uns keine Bücher oder Magazine mitbringen durfte, berichtete und interpretierte er ausführlich, was er gesehen hatte.
Es dauerte fünf Jahre, bis ich an die Akademie konnte, meine Eltern hatten keine Beziehungen und mein Studium begann im Jahr 1988 noch zur Zeit des Sozialistischen Realismus, weniger Akademie als Kunstschule. Erstes Jahr: Zeichnen; zweites Jahr: Malen. 1989 folgte allerdings die Revolution. Wir besetzten die Schule und produzierten Plakate für die Strasse, sogar eine Zeitung, denn während es im ganzen Land keine zugänglichen Kopiergeräte gab, konnten wir an der Akademie sogar drucken. Als sich die Grenzen öffneten, fing ich sofort an zu reisen. Ich war dreiundzwanzig, als sich alles veränderte - ich habe bewusst zwei Systeme erlebt.
CL: Wie bist du Julius Koller, dem
siebenundzwanzig Jahre älteren Performance-Künstler begegnet?
RO: Als ich ihn im Jahr 1991 kennen lernte, war er immer noch ein absolut inoffizieller Künstler, das heisst, er bewegte sich in einem von ihm entworfenen kulturellen System. Alles was er machte, war sehr privat, manches fast unsichtbar, sogar seine urbanen Interventionen. Niemand, der nicht in seine Arbeit einbezogen war, konnte sich zu der Zeit vorstellen, dass es sich um Kunst handelte. So war Koller eigentlich sehr frei. Was er machte, diskutierte er in einem kleinen Kreis von Freunden. Seine Orientierung am Universum oder die Faszination für UFOs haben mich sehr angezogen. Ich verstand diese Faszination, schon wegen der Isolation, in der wir lebten. Die Grenzen waren geschlossen und wir teilten die Vision, uns könne jemand von ausserhalb begegnen ? deshalb sprachen wir so gerne über UFO-Treffen und Begegnungen mit Ausserirdischen. Wie kann man die Limitierungen des Raums überwinden? Julius Koller versuchte, alltägliche Situationen zu okkupieren, auf sie zu reagieren oder sie zu prägen. Er verstand diese Momente aus einer anderen Perspektive, das erlaubte ihm, sie in Besitz zu nehmen.
Ich überlegte damals, wie ich mein privates Umfeld zum Teil meiner Arbeit machen könne. Es hat mich immer interessiert, wie sich Menschen einbeziehen lassen. Sie waren später als Mitwirkende so vertraut mit dem, was ich machte, dass sie in der skeptischen Kunstszene fast fremd wirkten. Nicht nur, weil sie diese Art von Kunst mochten, sondern weil es ihnen sehr wichtig war, Teil eines Prozesses zu werden.
CL: So ist es dir gelungen, die Teilnehmer deiner Performances zu einem «Publikum erster Ordnung» zu machen. Neben den echten Zuschauern entsteht häufig eine Gruppe, die sich in besonderer Weise ihres eigenen Tuns bewusst wird. Wie die «Good Feelings in Good Times», 2003, eine täglich für eine Stunde vor dem Kölnischen Kunstverein zur Warteschlange gereihte Menschengruppe. Sie interagieren mit dir und sind Teil der Vorstellung.
RO: Vieles entwickelt sich tatsächlich aus den Persönlichkeiten der Menschen, denen ich begegne. Ich kenne den Kartenverkäufer einer Galerie gut, dessen ganzer Stolz sein Enkelkind ist. Das Environment «Tickets Please», 2002, in dem beide Tickets verkauften, drückte auch ihre starke Beziehung aus: Ich entwarf eine genaue Replik der Kasse und installierte sie mitsamt dem Grossvater im ersten Stock des Institutes. Während der Junge im Erdgeschoss Eintrittskarten zum halben Preis verkaufte, sass sein Grossvater eine Etage höher und tat dasselbe. Mich interessierte dabei vor allem die Relation zwischen Zeit und Raum ? die Aufmerksamkeit für die Zeit, die verging, während man die Treppe hinaufstieg, um in einer Art Schnappschuss der Erinnerung die gleiche Situation wieder zu erleben. Die Besucher waren in dieser Zeit gealtert und begegneten einem alten Mann, der dem Jungen sehr ähnlich sah. Auch konnte ich mit den Erwartungen der Besucher spielen, deren Wahrnehmung sich völlig ändert, sobald sie ihren Eintritt bezahlt und die «Ausstellung» betreten haben. Wenn ich in den Räumen der Kunst arbeite, versuche ich, sie wie den öffentlichen Raum zu behandeln. Eine nicht realisierte Arbeit «This Way, Please» sah vor, Museumswärter aller Altersstufen, sortiert von jung nach alt, über die Räume einer Ausstellung zu verteilen. Fast unmerklich würde man im Vorbeigehen auch alle Generationen passieren, für einen selbst ist unterdessen vielleicht eine halbe Stunde Lebenszeit verronnen.
Auch die «Good Feelings in Good Times» bezieht sich unter anderem auf das unterschiedliche Erleben von Zeit - derer, die warten, und ihrer Umgebung. Als echter Besucher rechnet man zudem sofort die Länge der Schlange in mögliche Wartezeit um. Ein Transfer des Physischen in eine Kalkulation.
CL: Du denkst bei der Arbeit weniger an absolute Positionen als an Relationen.
RO: Für mich haben die «Good Feelings in Good Times» und «Spirit and Opportunity» sehr viel miteinander zu tun. Es geht immer um eine Distanz, die Möglichkeit einer Annäherung und natürlich um Raum. Für die Installation «SK Parking», 2001, habe ich Autos für zwei Monate hinter dem Gebäude der Wiener Secession geparkt. Den meisten Passanten fielen sie wohl erst beim zweiten oder dritten Sehen auf. Die Skodas aus den Siebzigerjahren sieht man in Wien selten und ich hatte fünf auf einem Parkplatz abgestellt und den Rest im Umfeld der Secession verteilt. Bewegungslose Autos erinnern auch an die Absenz ihrer Besitzer. Eine temporäre Installation, die sich auch auf die geografische Identität von Bratislava und Wien bezieht, nirgends sonst auf der Welt liegen zwei Hauptstädte in nur sechzig Kilometer Entfernung beieinander. Die Skodas hätten überall eine andere Bedeutung. Wie die Warteschlange vor dem neu eröffneten Kunstverein ? sie liess das Haus aussehen, als wäre es ein etablierter, seit langem hoch geschätzter Ort.
CL: Ich habe den Eindruck, dass du das Befinden deiner Mitarbeiter in deine Überlegungen einbeziehst.
RO: Einerseits bin ich neugierig darauf, welche Formen oder Situationen wir alle noch als Kunst empfinden können. Gleichzeitig versuche ich, diesen Raum auch für Menschen zu öffnen, die mit Kunst nicht vertraut sind, und von ihnen zu lernen. Allerdings bewegen wir uns innerhalb der Grenzen der Kunst und man muss in der Realität etwas anhalten, etwas fixieren, das man zeigen kann. Mein Anspruch ist, dass beide Seiten die Arbeit als befriedigend empfinden. Man kann nicht acht Stunden am Tag Schlange stehen. So haben wir uns entschlossen, sie jeden Nachmittag eine Stunde lang aufzuführen. Während der Schulvormittage fand «Tickets Please» nicht statt, die Ausstellung musste auf den jungen Kartenverkäufer warten.
CL: Wie bereitest du deine Arbeit vor?
RO: Der Rahmen für alles, was passiert, ist das Konzept, eine Art von Anleitung. Ich versuche für mich sehr präzise festzulegen, was ich erwarte - wen lade ich ein, wie werden sich alle verhalten -, aber die Aktion selbst ist so offen wie möglich. Ich verstehe mich dann eher als Regisseur und trete ab einem bestimmten Punkt hinter die Arbeit zurück.
CL: Und was bleibt von den Arbeiten?
RO: Ich denke zur Zeit schon darüber nach, wie ich den Arbeiten eine Form geben kann, um sie auch einmal zu übertragen. Es gibt von mir auch Zeichnungen: Beispielsweise habe ich Freunden eine Ausstellung beschrieben und sie haben nach dieser Anleitung Zeichnungen angefertigt. Ich mag Zeichnungen und schätze vor allem die grosse Bandbreite der Möglichkeiten und Stile. Ich versuche, bis zu den Rändern des Mediums vorzudringen. Die Installation «Untitled (Empty Gallery)», 2000, hat zwanzig «Autoren». Eine Sekunde Film besteht aus 24 Einstellungen - es wäre denkbar, die Arbeiten zu einem kurzen Moment zu verschmelzen. Auf der dritten Manifesta in Ljubljana zeigte ich kleine Modelle von New Yorker Wolkenkratzern oder dem Vesuv, die Bekannte von mir nach brieflichen Berichten gebastelt hatten. Meine ganze Reise fand so übersetzt in einem einzigen Raum Platz. Diese Arbeit ist auf persönliche Beziehungen gegründet, die Gespräche oder Beschreibungen sind ein eher aufwändiger Entstehungsprozess. Man kann diesen konzentrierten Vorgang nicht zu häufig wiederholen. So ist das Konzept sehr limitiert, schon durch die Anzahl meiner Freunde.
CL: Haben die von dir instruierten Zeichner hinterher als Künstler die Ausstellung besucht?
RO: Eigentlich nicht. Ein paar von ihnen würde ich nachgerade als «Anti-Nomaden» bezeichnen. Es gibt einen grossen Unterschied zwischen Menschen, die reisen, und solchen, die es nicht tun. Ich habe ihre Porträts auf Postkarten gedruckt und biete sie meinen Besuchern kostenlos an. So wird wenigstens ihr Bild um die Welt reisen. Vielleicht sollte ich gerade sie zur Eröffnung von «Spirit and Opportunity» hier auf die Marsoberfläche einladen.
Die Ausstellung im Kölner Kunstverein ist noch bis zum 27.6. zu sehen. Am 18.6. findet ein Künstlergespräch mit dem Kritiker und Schriftsteller Frank Frangenberg statt. Der durchgehend farbige Katalog dokumentiert die Arbeit von Roman Ondák seit den neunziger Jahren und kostet 25.- Euro.
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