Markus Raetz — Le reflet des mots
Markus Raetz war ein Magier im Spannungsfeld von Schein und Sein. Er befragte die Wirklichkeit und lotete Wahrnehmungsphänomene aus. Die Ausstellung im kathedralenhaften Saal der privaten Fondation Jan Michalski fokussiert auf die Formwerdung von Worten im Werk des sprachaffinen Künstlers.
Markus Raetz — Le reflet des mots
Montricher — Zurzeit wird es wieder deutlich: Objektive Berichterstattung ist unmöglich, individuelle Wahrnehmung ist bruchstückhaft, und wir bewegen uns stets in einem Feld des Nichtwissens. In diesem Bewusstsein näherte sich Markus Raetz (1941–2020) in einem fliessenden zeichnerischen Prozess bestimmten Fragestellungen und Motiven an, die er jeweils aus unterschiedlichen Perspektiven umkreiste. In wechselnder Abfolge stellte er kleine Fragmente der Wirklichkeit her und machte uns bewusst, dass wir ihrer Ganzheit nie habhaft werden können. Vielmehr nehmen wir sie nur verzerrt, aufgeladen durch unsere Vorstellungen, wahr. Die Schau in der Fondation Jan Michalski präsentiert leise, filigrane und von einem hintergründigen Humor belebte Werke – Skulpturen, Zeichnungen, Drucke und Skizzenbücher aus dem Nachlass. Sie sprechen von einer Freude an subtilen und zugleich systematischen Wortspielen. Etwa mit zweisprachigen Gedichten, einer textbasierten ‹gymnastischen Halsübung› oder einem ‹Zeichenspiel›. Exemplarischen Einblick in die Denk- und Arbeitsweise von Markus Raetz gewinnt man in der Zeichnung eines Hasen ‹AD l’a peint› in Allusion zu Albrecht Dürers berühmtem Hasen, seinem «lapin».
Anhand der Buchstabenskulptur ‹Ceci – Cela›, 1992/93, erfasst der für die Schau verantwortliche Kurator, Rainer Michael Mason, die ständige Befragung der Wirklichkeit von Markus Raetz im Katalogtext mit einem Zitat von Tschuang-Tse: «Un ceci est donc aussi un cela, un cela est donc aussi un ceci. Il y a le juste et le faux du point de vue de cela, il y a le juste et le faux du point de vue de ceci.» Das dualistisch angelegte Buchstabenrelief erzeugt Spannungsfelder, in denen Figürliches entsteht. Die Skizzen zu dieser und anderen metamorphotischen Skulpturen offenbaren, dass die Phasen zwischen den Gegensatzpaaren Raetz mehr interessieren als der Inhalt der Wörter, weil er damit den Wandel als Konstante im Leben thematisierte. Die Zwischenphasen sind in einer beinahe unendlichen Vielfalt an meist abstrakten Formen erfasst. Dieses Phänomen veranschaulicht auch die Skulptur ‹Si – No›, 1996. Das Buchstabenobjekt überrascht beim Vorbeigehen mit immer wieder neuen Formen, alles scheint im Fluss zu sein, und der Bereich des «Noch-nicht» und des «Nicht-mehr» wirft Fragen nach der Wahrhaftigkeit eines Begriffs und nach der Objektivität eines Standpunktes auf. Die Aneignung von Wirklichkeit ist nie endgültig, spiegelt vielmehr nur unseren momentanen Bewusstseinszustand, unsere Ungewissheiten oder unsere Ahnungen und ist entsprechend veränderbar.
Institutionen | Land | Ort |
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Fondation Michalski | Schweiz | Montricher |
Ausstellungen/Newsticker | Datum | Typ | Ort | Land | |
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Markus Raetz — Le reflet des mots | 18.03.2022 – 10.07.2022 | Ausstellung | Montricher |
Schweiz CH |
Dominique von Burg |
Markus Raetz |