Markus Raetz im Aargauer Kunsthaus

Markus Raetz · Marilyn, 1976, © ProLitteris 2005, 8033 Zürich

Markus Raetz · Marilyn, 1976, © ProLitteris 2005, 8033 Zürich

Besprechung

Die Ausstellung «Nothing is lighter than light» wirft einen Blick auf den fotografischen Aspekt des Werks von Markus Raetz, einem virtuosen Fallensteller im Spannungsfeld von Schein und Wirklichkeit. Sie vereinigt Fotografien, Zeichnungen, Installationen und Objekte von den siebziger Jahren bis heute und wurde in ähnlicher Form schon 2002/2003 im Maison Européenne de la Photographie (MEP), Paris, gezeigt.

Markus Raetz im Aargauer Kunsthaus

«Nothing is lighter than light» lautet die Legende zu einer Federzeichnung von 1979, die eine einfache Waage mit einem Lichtkegel auf der nach unten gekippten Seite zeigt. Inspiriert wurde Markus Raetz dabei von einer Geschichte von Picabia, der als Kind eine Briefwaage ans Sonnenlicht gestellt haben soll, um das Licht zu wägen. Diese Geschichte scheint mir für die Arbeitsweise von Raetz wichtig, dem das Licht ein wesentliches Medium ist und der als sein «eigener Fotoapparat» verfährt. Seit seinen künstlerischen Anfängen hat sich Markus Raetz (*1941) mit dem Medium der Fotografie auseinandergesetzt. Polaroïds und Automatenfotografien sind sowohl Arbeitsmaterial für die fotografischen Skulpturen als auch Ausgangspunkt für Experimente mit verschiedenen fotografischen Techniken wie Vervielfältigung, Vergrösserung oder Stereoskopie. Die in den Vitrinen liegenden Fotovorlagen führen quasi den Rohstoff seiner Wahrnehmungsforschungen vor und verdeutlichen den Bezug eines jeden Exponats zur Fotografie. Zum Beispiel realisiert Raetz mit Selbstportäts, Fotografien von Elvis oder von Pin-ups gerasterte Bilder, welche von weitem betrachtet schwarz-weiss wirken, aber mit der Zerlegung in drei Primärfarben von Nahem gesehen farbig erscheinen. Dabei interessiert ihn, wie gross er die Rasterung setzen kann, damit das Motiv noch erkennbar bleibt. Fast auf der Kippe stehen da etwa die grossformatigen Porträts von Monika, 1979. Verschieden grosse Tupfen sind in pointillistischer Manier auf Baumwolltücher gesetzt, so dass sie von weitem gesehen, die Gesichtszüge erkennen lassen, aus der Nähe jedoch ein All-over erzeugen. Je nach Standort können sich die Bilder auch entziehen. So etwa ein Bildnis von Robert Walser, das auf einer Wellkartonfläche auf Grund ihrer Auswalzung nach rechts oder nach links als Positiv oder als Negativ wahrgenommen wird; oder auch die mit trockenem Pinsel bearbeiteten Samtbahnen, die es Raetz ermöglichen, näher am fotografischen Korn zu arbeiten und die Porträtierten in Licht und Schatten zu tauchen. Manchmal wirkt Malerei wie Fotografie, so in der Serie «Im Bereich des Möglichen», 1976. Die Bilder erinnern an entrückte Landschaften vor dem Eindunkeln, die mit verdünnter Tinte auf nassem Aquarellpapier gemalt sind.

Im ersten und zugleich letzten Ausstellungsraum steht die neueste Plastik nach der fotografischen Vorlage «Kiki de Montparnasse» von Man Ray. Versetzt man sie in Rotation, meint man einen lasziv tanzenden Frauenkörper zu erkennen. Sie korrespondiert mit der Installation «Moulin sans Tête» von 2002, ein sich scheinbar selbsttätig drehender Kopf. Diese beiden Arbeiten sind das Produkt von jahrzehntelangen Prozessen: von den metamorphotischen Skulpturen, die Standpunktveränderungen erforderten, zu dem sich hier selbst reflektierenden Akt der Wahrnehmung, der sich aus der Bewegung heraus konstituiert. Indem Raetz in ständig wechselnder Abfolge kleine Fragmente der Wirklichkeit produziert, macht er uns bewusst, dass wir ihrer Ganzheit nie habhaft werden können und wir sie nur verzerrt, das heisst aufgeladen mit unseren unbewussten Kräften wahrnehmen können. Mit Katalog und Lesebuch.

Bis 
27.08.2005

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