Stéphane Belzère
Stéphane Belzère
Strassburg — Seit über dreissig Jahren entwickelt der französisch-schweizerische Künstler geduldig und mit Humor eine figurative Malerei, die er aus dem Widerstand des «Fleischs der Welt» gewinnt. Jetzt bilanziert er in Strassburg mit dem japanischen Vanitas-Begriff des ukyo-e – der fliessenden, vergehenden Welt.
Bevor Sie weiterlesen, sollten Sie von Ihrem Geschirrspülmittel die Etiketten entfernen. Stellen Sie sich dann mit dem durchsichtigen Flacon voll farbiger Flüssigkeit vors Fenster. Heben Sie nun die Flasche auf Augenhöhe und schauen Sie hindurch auf die Welt da draussen. Sie sehen: noch kein Bild und längst kein Gemälde. Viel eher das, was dem wiedererkennenden Blick widersteht, ihn verlockt, ihm widerspricht, ihn verzerrt. Diese ästhetische Erfahrung durchwirkt Stéphane Belzères (*1963, Argenteuil) Werk. 2003 richtete der Künstler ein Regal mit bunten Haushaltsreinigern im Wohnzimmerfenster einer Pariser Privatwohnung ein. Das Diaphane von Kirchenfenstern erschien durch banale Alltagsflüssigkeiten. Kurz danach sollte er tatsächlich Fenster für die Kathedrale im südfranzösischen Rodez realisieren. Knapp zwanzig Jahre nach dem Pariser Reiniger-Stillleben, das bereits den etwas unbotmässigen Humor des Malers vermittelt, hat Stéphane Belzère in Strassburg Regale gebaut. In seiner insgesamt 74 Gemälde umfassenden Monografie auf 300 m2 stehen rund 200 naturhistorische Präparate, entliehen aus dem örtlichen zoologischen Museum. Schlangen, Insekten oder Fledermäuse in Alkohol tauchen durch farbige Trägergläser blau oder rot aus dem Glaszylinder auf. Schaut man hindurch, erscheinen an der gegenüberliegenden Wand auch jene ‹Bocaux anatomiques› verzerrt, die der Künstler über viele Jahre im nationalen Museum für Naturgeschichte in Paris malte. «Ich durfte nachts im sogenannten ‹Saal der Weichteile› arbeiten», erklärt er mit Verweis auf ein 130 x 300 cm grosses Gemälde, «dort gab es einen Quastenflosser. Mit dieser 300 Millionen Jahre alten Spezies fand ich während unheimlicher Nächte etwas Fundamentales: In den Farben und Figuren dieser Gläser liegt ein ganzes Universum.» Er durchdrang es malend, bis zum Boden der Gläser, die sich nun als acht Meter lange Landschaftsgemälde auf den Wänden erstrecken. Erlebbar werde, so Belzère zu seiner künstlerischen Arbeit, was sich im Prozess zur Form widersetzt. Belzère arbeitet seit 1990 immer vor Ort: «Nach Fotografien malen galt bei uns in der Familie als Todsünde», erzählt der Sohn des Maler-Ehepaares Suzanne Lopata und Jürg Kreienbühl. In ‹Immersions›, zwei grossformatigen Gemälden, setzt er das Auge der Betrachtenden an die Stelle des Präparats. Wir sehen den Blick, eingelegt im Präparat der Malerei, auf eine verzerrte, fliessende Welt. Belzères Kunst bearbeitet das Leben unermüdlich als eines, wie es seit der Renaissance durchs Bild als Fenster erscheint – als Reflexionen einer «Welt da draussen».
→ Musée d’art moderne et contemporain de Strasbourg, bis 27.8.; mit Katalog ↗ www.musees.strasbourg.eu
Institutionen | Land | Ort |
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Musée d'art moderne et contemporain Strasbourg | Frankreich | Strasbourg |
Ausstellungen/Newsticker | Datum | Typ | Ort | Land | |
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Stéphane Belzère | 03.12.2021 – 27.08.2022 | Ausstellung | Strasbourg |
Frankreich FR |
Stéphane Belzère |
J. Emil Sennewald |