Daniela Keiser — Monumentales in die Schwebe bringen

Daniela Keiser · Heute Morgen, auf dem Weg zur Zahnärztin schwebte ein Rotmilan über mir, 2023 (Ausschnitt), Bodentapete, «Bellelay-Kreide» nach Rezeptur der Künstlerin, Ausstellungsansicht Abbatiale ­Bellelay. Foto: Studio Willen

Daniela Keiser · Heute Morgen, auf dem Weg zur Zahnärztin schwebte ein Rotmilan über mir, 2023 (Ausschnitt), Bodentapete, «Bellelay-Kreide» nach Rezeptur der Künstlerin, Ausstellungsansicht Abbatiale ­Bellelay. Foto: Studio Willen

Besprechung

Die Abbatiale Bellelay wird diesen Sommer von Daniela Keiser bespielt. Dem barocken Ornament hält die Zürcherin Vogel­federn entgegen, dem Gewicht der Deckengewölbe die Schwere­losigkeit einer Bodenfreske, aufgetragen mit einer hellen Mischung aus Pferdeurin und lokalem Jurakalk.

Daniela Keiser — Monumentales in die Schwebe bringen

Bellelay — In der Abteikirche von Bellelay, wo jedes Wort mehrere Sekunden nachhallt, ist etwas geschehen. ‹Das grosse Ticken›, so der halbe Titel von Daniela Keisers Installation, wird angeregt von einem Diaprojektor, der in einer Nische vor sich hinklickt. Die Projektion der 80 ‹Umm-images›, aufgenommen während der Recherchen für diese Arbeit, bildet auf einem kleinen Stück Wand einen Ort der Konzentration. Sie liefert auch einen Kontrapunkt zur Bodenfreske, die sich wie ein Gewitter über die 800 Quadratmeter Grundfläche des monumentalen Kirchenraums ergiesst.
‹Le silence des oiseaux chanteurs›, so die zweite Hälfte des Titels, verweist, wie der Name des Bodenbildes ‹Heute Morgen, auf dem Weg zur Zahnärztin schwebte ein Rotmilan über mir›, auf den Himmel, gegen den die Kamera der Künstlerin sich hier öfters richtet – eine Blickachse, die mitunter der Kirchenraum provoziert hat. Der ärztliche Bezug ist ein Verweis auf die psychiatrische Klinik, die während 130 Jahren im ehemaligen Kloster untergebracht war. Sie ist an diesem abgelegenen Ort, zusammen mit dem derzeitigen Rückkehrzentrum, eine der leidvollen Zwischennutzungen, seit der Säkularisierung der Klosteranlage nach der Französischen Revolution.
Daniela Keiser hat sich intensiv mit der repräsentierten Macht und der architektonischen Verdichtung in barocken Räumen beschäftigt. Ihre Intervention bildet gerade durch die Schwerelosigkeit der Diaprojektion und der Bodenfreske ein Gegengewicht zur Überwältigungsstrategie des wuchtigen Bauwerks. Darin nimmt ihre Arbeit nicht eine bestimmte Position ein, vielmehr erfüllt sie den Raum mit der Reflexion, die vom leuchtendgelben, orangen, grünen und fliederfarbenen Tapetendruck am Boden auf die kalkweiss gestrichenen Mauern und Gewölbe geworfen wird. Die ebenso kalkweis­sen Strichzeichnungen an den Rändern der Tapetenflächen und in den Leerräumen des gekachelten Kirchenbodens legen sogar Leichtigkeit frei. Die Arbeit nimmt den Rhythmus der Mauern, Gewölbe und des Lichts auf, das morgens die Kirchenfenster durchwandert. Die Künstlerin hat viele Wochen im winterkalten, im Frühling kühlen Kirchenraum des verlassenen Klosters verbracht und den «genius loci» in Bilder, Töne, Farbstimmungen und Blitzgewitter übersetzt. Die Arbeit lässt sich auch von der Empore her in der Übersicht betrachten. Das schwebende Gleichgewicht zwischen Monumentalität und bewegter Stille entfaltet sich allerdings vor allem auf Augenhöhe.

Bis 
03.09.2023
Ausstellungen/Newsticker Datum Typ Ort Land
Daniela Keiser 17.06.202303.09.2023 Ausstellung Bellelay
Schweiz
CH
Autor/innen
Sabine von Fischer
Künstler/innen
Daniela Keiser

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