Basic needs

Costa Vece · Shopping in der Migros, 1998 Fotosequenz

Costa Vece · Shopping in der Migros, 1998 Fotosequenz

Rirkrit Tiravanija · Rehearsal Studio no. 6, 1996; Foto: Rolf Abraham, Courtesy Kunsthalle St.Gallen

Rirkrit Tiravanija · Rehearsal Studio no. 6, 1996; Foto: Rolf Abraham, Courtesy Kunsthalle St.Gallen

Fokus

Seit Anfang der 90er Jahre provozieren die Installationen des thailändischen Künstlers Rirkrit Tiravanija reichlich Diskussionsstoff. Als Vetreter einer Künstlergeneration, die Kunst als eine Art Dienstleistung am Publikum versteht, institutionelle Grenzen sprengen möchte und nach einem unserer Zeit angemessenen Werk- und Kulturbegriff sucht, lotet er immer wieder hybride Situationen zwischen dem Artefakt und dem alltäglichen Leben aus. In einer grossen Einzelausstellung zeigt Rirkrit Tiravanija nun im Museum für Gegenwartskunst in Zürich wichtige Arbeiten der vergangenen Jahre und wird darüber hinaus in dem von dem Konzern Migros finanziell getragenen Museum einen Laden realisieren. Der Zürcher Künstler Costa Vece ist im Vorfeld der Ausstellung auf unsere Bitte hin mit seiner Kamera ebenfalls in das bunte Warenmeer abgetaucht.

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Ein Gespräch mit Rirkrit Tiravanija und ein fotografisches Essay von Costa Vece

Foodpieces. In den vergangenen Jahren hat Rirkrit Tiravanija nicht mehr ganz soviel Zeit, wie noch am Anfang, als er während seiner Ausstellungen für sein Publikum in Galerien und Ausstellungsräumen Tee kochte und jeden Abend thailändisches Essen zubereitete. Das übernehmen jetzt die Kuratoren ...und die erkennt man dann an ihren dunklen Augenringen.

Unter dem Titel «Tomorrow is another day» zeigte Rirkrit Tiravanija Ende 1996 den Nachbau seines New Yorker Apartements im Kölner Kunstverein. Über zwei Monate lang konnten die Besucher und Besucherinnen dort 24 Stunden rund um die Uhr reden, schlafen, kochen oder einfach nur fernsehen. Zeitgleich konnte man im «Rehearsal studio no. 6» in der Kunsthalle St. Gallen, einem Nachbau eines New Yorker Probestudios, in dem der zur Zeit in Berlin lebende Künstler mit Freunden viel geprobt hatte, Musik machen, über Musik reden, rauchen und erst in den frühen Morgenstunden müde werden. Tiravanijas Installationen zeichnen sich immer darin aus, dass sie eine Plattform für unterschiedlichste Interessen bieten.

Zweifel an den Möglichkeiten von Kunst In der Installation «Angst essen Seele auf», die auch in Zürich gezeigt wird, kann man an einer Bar bei einem Drink den gleichnamigen Film von Rainer Werner Fassbinder ansehen. Die Filmstory handelt von der Liebesgeschichte einer älteren deutschen Frau mit einem jüngeren arabischen Mann, die an der bürgerlichen Doppelmoral und einer Welt finsterer Spiessigkeit scheitert. Tiravanija ist jedoch in keiner Weise an Moral interessiert, sondern rückt die Möglichkeiten von Kommunikation und von der Konstituierung kultureller und gesellschaftlicher Werte ins Zentrum seines Interesses. Motiv, Medium und Mentalität verbinden sich zu einem heterogenen Gefüge, indem die Antworten und Fragen keine eindeutigen Zuordnungen erfahren. So geht es nicht darum zu werten, sondern darum, neu hinzuschauen und kausale Zusammenhänge neu zu überpüfen.

Ein heisser Sommertag in Zürich Während wir im Vorfeld der Ausstellung «Das soziale Kapital» durch den Migros-Laden am Limmatplatz schlendern, erzählt Rein Wolfs von dem historischen Verkaufsauto, mit dem die Migros Ende der 20er Jahre begann, die ersten Produkte zu verkaufen. Er möchte diesen Wagen, der im Migros-Headquarter in Zürich steht, für die Ausstellung ausleihen. Rirkrit ist davon begeistert.

Wir schlendern weiter. Gestapelte Jeanshosen, Ananasbüchsen, Ratgeber für alle Lebenslagen, Bananen, Nudeln in grossen Mengen, nachdenkliche Kunden, hektische Kunden und dazwischen wir, als kämen wir vom Mond. Wir tun so, als könnten wir noch einmal von vorne beginnen und uns von der Produktwelt in Erstaunen versetzen lassen. Alles ist so schön bunt hier. Rikrit hat jetlag und kauft sich am Schluss einen Energydrink.Und während wir mit der Rolltreppe wieder nach oben fahren, denke ich an die Arbeiten von Costa Vece. Er lebt in Zürich und ich habe ihn neulich in Basel bei einer Eröffnung kennengelernt. Und dann war da noch die Sache mit seinem Rennwagen aus Karton .... beim Aussteigen bin ich mit der Hand eingebrochen. Gleich ein paar Tage später sah ich in einem Katalog Fotoarbeiten von ihm und nun stelle ich mir vor, dass gerade seine Fotos in besonderer Weise von den kurzweiligen Fantasien erzählen könnten, die entstehen, während man im Migros von einer Vitrine zur nächsten blickt, vom Konsum und seiner Ästhetik fasziniert ist und gleichzeitig auf alles verzichten möchte ...... genau, Costa Vece soll in der Migros fotografieren. Hoffentlich hat er Zeit.

I want to see everything Rirkrit Tiravanija scheint keine Hektik zu kennen. Er vertraut nicht auf Gegenstände, aber auf das, was sich zwischen Menschen abspielen kann. Ein Grund dafür liegt vielleicht in seiner buddhistischen Haltung, denn für den Buddhismus gibt es kein beständiges Sein, sondern alles ist im Werden und Vergehen begriffen.

1961 in Buenos Aires geboren, in Thailand aufgewachsen, mit 19 Jahren nach Kanada ausgewandert, Studienjahre in Chicago und New York verbracht und seit einigen Jahren ständig zwischen den Kontinenten unterwegs, hat Tiravanija sein besonderes Verhältnis zur Welt entwickelt. An einem Ort ankommen, bedeutet, ihn bald wieder zu verlassen, um an einem anderen Ort wieder anzukommen. Wer viel reist hat vor allem sich selbst und seine Gedanken und Rirkrit Tiravanija dazu noch ein dichtes soziales Netz verschiedenster Kontakte.Wer viel reist, hat einen Fuss in der Welt und den anderen irgendwo anders.


Dorothea Strauss: Mit dem grossen Konzern Migros assoziiert man sofort Schweiz; die leckere und gute Schweiz, mit all’ ihren lukullischen Vorzügen und nicht zu vergessen mit dem Migros-Kulturprozent. Migros, das ist political correctness in Reinform und nun willst du im Zusammenhang mit deiner Einzelausstellung in Zürich einen Migros-Laden im Migros Museum installieren. Meinst du das ironisch?

Rirkrit Tiravanija: Ich mag positive Ironie. Ironie kann neue Metaphern schaffen, und das finde ich interessant .... Natürlich wissen die Leute, dass Migros dieses Museum gegründet hat, und dies muss man reflektieren, denn es ist ein interessantes Modell. Die Migros basiert auf einem sozialen Konzept, sowohl in kultureller wie ökonomischer Hinsicht, und auf seltsame Weise entsteht dabei etwas wie eine neue Form von Kapitalismus.

DS: Das klingt nach einem politischen Statement .... für dich gehört diese Installation demnach einer gesellschaftlichen Realität an?

RT: Ja und sie ist vielleicht ironisch, weil sie sich selbst betrachtet, ihre Herkunft, ihre Ökonomie und wie sie funktioniert. Für mich geht es aber nicht nur um Ökonomie oder soziale Strukturen, sondern auch darum wie Kunst betrachtet wird, wie sie konsumiert, produziert und wie sie genutzt wird.

DS: Welche Produkte wird man in deiner Installation finden?

RT: Sicher werden im Laden diejenigen Gegenstände sein, die ich Grundbedürfnisse -«basic needs» – nenne. Dies sind die Dinge, die man allgemein zum Leben braucht. Man braucht ein Haus, man braucht Arzneimittel, Nahrung und Kleidung. Und das ist natürlich das, was der Supermarkt anbieten kann.

DS: Wie ist dein Verhältnis gegenüber Konsum? Wie wichtig nimmst du die sichtbare Welt mit ihren verschiedenen Gegenständen und Begierden?

RT: Ich denke, es geht um das Gleichgewicht zwischen Begehren und Überle-ben. Man kann überleben, weil man begehren kann – und gleichzeitig kann man untergehen, wenn man nur begehrt. Und ich glaube, dass man mehr wünschen kann, als man wirklich braucht. Ich wünsche mir weniger, einige Leute wünschen sich mehr; man hat die Wahl.

DS: Du kommst ursprünglich aus Thailand und verbringst auch jedes Jahr immer wieder einige Monate dort. Welchen Stellenwert hat die bildende Kunst innerhalb der thailändischen Gesellschaft?

RT: Man könnte wahrscheinlich sagen, dass dort die Kunst im Alltag integriert ist. Für thailändische Menschen gibt es keine Trennung zwischen sich selbst und den Dingen. Gleichzeitig herrscht viel Kreativität, eine Kreativität, die dem Wunsch zu Überleben entspricht.

DS: Vielleicht findet sich in dieser Haltung auch eine Erklärung dafür, weshalb die Kunstszenen in Mitteleuropa und Nordamerika deine Arbeit so sehr lieben. Deine Installationen hebeln die Hierarchien zwischen Kunstwerk, Künstler, Institution und Publikum aus und stillen das Bedürfnis des Publikums nach einem realen Ereignis. Alle Beteiligten fühlen sich im Zentrum der von dir quasi lancierten Aufmerksamkeit und werden auf unpädagogische Weise angehalten, sich selbst zu entdecken. Das ist verführerisch...

RT: Es geht darum, einen Weg zu finden, wie Kunst in der Gesellschaft und in Zukunft weiterbestehen und wie man Menschen zusammenbringen kann. Ich glaube, das Publikum lernt in gewissem Sinne immer, Kunst und Leben zu trennen. Obwohl in den 60er und 70er Jahre versucht wurde, diese Trennung aufzuheben, wird Kunst immer institutionalisierter, und sobald sie institutionalisiert wird, zerfällt sie, ist nicht länger in die Realität integriert.

DS: ? aber Kunst entwickelt gegenüber Realität doch auch eine befreiende Distanz. Lösen sich denn deiner Meinung nach alle Grenzen auf?

RT: Nein, denn im Grunde schaffe ich Modelle. Meine Arbeit ist ein Modell – man kann seine Struktur erkennen und anderweitig anwenden, vielleicht ähnlich wie ein Kochrezept. Ich stelle das Rezept her, man kann es übernehmen und nachkochen oder daraus weitere Rezepte entwickeln. Es sind also Modelle, die ideal sein könnten, doch man kann sie verändern, um sie dem Leben, dem Geschmack, den Wünschen anzupassen.

DS: Deine Arbeiten werden immer wieder über den Begriff Kommunikation rezipiert. Dabei erscheint mir jedoch das Thema der Skulptur im Zusammenhang deiner Installationen ebenso wichtig. Wenn du also von Modellen sprichst, denke ich an Dan Graham ....

RT: ? oh ja, ich halte viel von Dan Graham; sicherlich ist er Vorbild für mich und es gibt wenige Figuren wie ihn. Künstler wie er haben ihre Arbeit an einen gewissen Punkt gebracht und eine Idee vertreten, die Modellcharakter hat. Ich benutze ihr Modell, um ein weiteres zu schaffen, von dem ich hoffe, dass es eine Art Synthese darstellt und sich weiterentwickelt. Es geht darum, einem Haus ein weiteres Zimmer anzufügen, einen weiteren Raum, in dem diese Ideen verschmelzen.

DS: Gibt es für dich Regeln in deiner Arbeit?

RT: Nein, es gibt keine Regeln. Die Regeln werden entsprechend den Bedürfnissen jedes einzelnen gemacht. Es ist wichtig, dass jeder einzelne erkennt, dass er selbst die Regeln aufstellt. Er bestimmt den Bau, in welchem Verhältnis dieser zu den Regeln anderer steht und wie er sich auswirkt auf das Spiel mit anderen. Dabei meine ich Spielen im Sinne von Interaktion und Beziehung.

DS: In den Installationen im Kölner Kunstverein oder der Kunsthalle St.Gallen verselbständigten sich die interaktiven Vorgänge dermassen, dass sich die institutionellen Rahmenbedingungen wie beispielsweise die Sicherheitsbestimmungen oder Öffnungszeiten vollständig auflösten. Das Publikum interessierte sich kaum mehr dafür, an welchem Ort und unter welchen Bedingungen es sich gerade befindet. Manchmal bin ich mir nicht ganz sicher, ob es nun gut oder schlecht ist zu vergessen, wo man ist.

RT: Es ist gut! Es ist gut zu vergessen, weil man dabei vergisst, sich an bestimmte Dinge zu erinnern. Man vergisst, und wenn man realisiert, dass man etwas vergessen hat, erinnert man sich an etwas anderes. Meine Arbeit ist wiederholter Raum, Raum, in dem Menschen frei spielen können. Wie sie ihn lesen und wie sie ihn planen, ist Interpretation. Jeder verengt oder erweitert den Raum.


Die Einzelausstellung «Das soziale Kapital» von Rirkrit Tiravanija im Museum für Gegenwartskunst Zürich läuft bis zum 25.10. Katalog in Vorbereitung, 280 S., ca. Sfr. 70.–.

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