Im Jahr des zweiten Irak-Kriegs und des G8-Gipfels von Evian aktiviert sich eine interessante Strömung der Gegenwartskunst. Sie dokumentiert, informiert und hinterfragt fast in realtime die laufenden gesellschaftlichen Prozesse auf lokaler oder internationaler Ebene.
«Wo sucht ich anders wohl solch müder Schönheit Milde, die nicht dein lieber Leib, dein gütig Herz geschenkt? Neu wecken kann ich mir der holden Zeit Gebilde!» Es ist ein feierlicher Ort, an dem
sich Gerda Steiner und Jörg Lenzlinger daran gemacht haben,
Baudelaires Worte in die Tat umzusetzen.
Dagmar Reichert · Fünf verschiedene Kunstausstellungen, die sich in verschiedener Hinsicht mit Kartierung, territorialer Festschreibung oder Landkarten beschäftigen, finden derzeit statt. Grund genug für einige Gedanken zum Thema.
Kann man ein Lebens-Kunst-Werk in einer Retrospektive fassen? Oder gar zwischen Buchdeckel binden? Im Fall von Dieter Roth – der ein schier unüberschaubares und nahezu alle künstlerischen Medien umfassendes, vor allem aber deren Konventionen systematisch überschreitendes ?uvre hinterlassen hat – ganz sicher kein einfaches Unterfangen. Das aber durchaus gelingen kann.
La mostra «Che c’è di nuovo» a Lugano ha permesso il ?coming out’ della scena artistica ticinese contemporanea. Un primo passo importante, ma che lascia anche intravvedere quanta strada resta ancora da fare.
Mit einem Sparszenario plant der Zürcher Regierungsrat die Abschaffung des gestalterischen Vorkurses. Dieser Entscheid wäre, falls er tatsächlich umgesetzt wird, ein fatales Signal für die künstlerische und gestalterische Ausbildung weit über Zürich hinaus. Wenn hier ein unverzichtbares Element des Curriculums ersatzlos gestrichen wird, droht ein negatives Beispiel Schule zu machen.
Seit den späten siebziger Jahren verfasst der Amerikaner Raymond Pettibon (*1957) Zeichnungen, die aus Bild und Text eine Art Zweisprachigkeit generieren. Diese klärt die Text-Bild-Beziehungen nicht;
sie löst sie auf. In Bologna ist eine Auswahl von seit 1979 entstandenen Blättern zu sehen.
Dem «nestbeschmutzenden» Ahnen der Schweizer Konstruktiven, Beat Zoderer, widmet das Kunstmuseum Bonn eine ambitionierte, in acht Sälen ausgebreitete Schau über das Werk seit den neunziger Jahren. Im Zentrum steht das EU-geförderte interaktive, audiovisuelle Gesamtkunstwerk «LISTEN». Es verbindet das Environment «Raumfaltung» mit Musik der Komponisten Ramón González-Arroyo und Gerhard Eckel sowie gesprochenen Texten von Oswald Egger.
Grotesk! Grotesk? Ein Begriff, dessen Bedeutung reizvoll oszilliert. Mit dem man im Alltag die Absurditäten desselben kommentiert. Bei dem kulturhistorisch Bewanderte an die Ornamentik des Manierismus und des Barock denken mögen, in der sich florales Rankenmuster als von allerlei Chimären und maskenhaftem Minenspiel belebt erweist. Den der geschulte Typograph hingegen mit jenen Schriftfonts assoziiert, deren Enden serifenfrei sind – also gerade keine Haken schlagen. Der «Deutsche Wortschatz» wiederum bietet für das, was im Titel der Schau wie ein Markenlogo figuriert, die folgenden Bedeutungsfelder an: regellos, verzerrt, absurd, komisch, entstellt – und lächerlich. Das klingt erst einmal nicht nach einer Eintrittskarte in den Musentempel: Kunst, die sich aus freien Stücken zum Grotesken bekennt, macht die Verzerrung zum Programm und zelebriert einen Mut zur Lächerlichkeit, der mit dem dort beheimateten Prinzipat des
«Wahren, Schönen, Guten» bricht.
Diesen Sommer ist Italien Gast im Genfer Musée d’art moderne et contemporain. Unter dem Titel «fragments d’un discours italien» werden in fünf monografischen und drei Kollektivausstellungen verschiedene Aspekte der italienischen Kunst von den sechziger Jahren bis heute aufgezeigt. Das Künstlerpaar Gianfranco Botto (*1963) und Roberta Bruno (*1966) aus Turin fällt dabei durch eine besonders eigenwillige und originelle Rauminstallation auf.
Teilweise rettet der 1959 in Edinburgh geborene Schotte ganze Gruppenausstellungen zur zeitgenössischen Malerei, denn seine Gemälde verkörpern und kondensieren seit über einem Jahrzehnt ein Lebensgefühl der Generation X, ihre Spannung und ihre Sehnsucht.
Die zwischen den in Zehn-Jahres-Intervallen stattfindenden Skulptur Projekten in Münster konzipierte Biennale des Münsterlandes wurde beim dritten von insgesamt vier Durchgängen von Saskia Bos aus Amsterdam kuratiert. Sie lud 15 KünstlerInnen in
die idyllische, parkähnliche Landschaft ein, die sich in reflexiver Manier der Bedeutung von Kunst bewusst sein sollen.
«Topografie» ist laut Nicolas Bourriaud ein Schlüsselbegriff der Gegenwartskunst. Mit seiner ersten grossen Ausstellung im Palais de Tokyo will dessen Co-Direktor
eine «Topocritique» positionieren. Die gelungene Schau gibt zwischen Dokumentarismus und inspiriertem Karten-Spiel individuelle Navigationshilfen zur Erfahrbarkeit der Welt.
Seit einigen Jahren schon besticht Tamara Grcic durch Material- und Videoinstallationen, die den Betrachter stets auf besondere Weise involvieren – räumlich und imaginär, physisch und psychisch. Im Ulmer Museum zeigt die Frankfurter Künstlerin
nun ihre jüngste Installation.
Anfang des Jahres zeigte die Neue Galerie in Graz «M–ARS. Kunst und Krieg». Jetzt führt die Kunsthalle Wien das Thema mit «Attack! Kunst und Krieg im Medienzeitalter» weiter. Während in Graz mit den Beiträgen von professionellen Kriegsreportern bis zu künstlerischen Bildern ´Krieg´ unter dem Sammelbegriff ´Gewalt´ präsentiert wurde, will die Wiener Ausstellung zeigen, «wie zeitgenössische Künstler mit dem Krieg, seinen medialen Spiegelbildern und seiner Ikonographie umgehen».
All Tomorrow ’s Parties – Mary Heilmann ist zwar als Künstlerin keine Unbekannte mehr, eine retrospektive Zusammenstellung ihrer Malereien, wie sie jetzt in der Wiener Secession zu sehen ist, bietet aber erstmals die Möglichkeit, die Entwicklung ihres Werks über einen grösseren Zeitraum hinweg zu verfolgen und dadurch nachzuvollziehen, wie sehr Heilmanns Arbeit einer inneren Konsistenz verpflichtet ist. Darüber hinaus ist es wohltuend zu beobachten, wie sehr sich dieses Werk durch das eindeutige
Verweigern jeder Macho-Attitüde von so vielen zeitgenössischen Malereipositionen abhebt.
73 KünstlerInnen aus elf Ländern sind an der Ausstellung «Blut & Honig. Zukunft ist am Balkan» beteiligt. «Balkan» dient bei dieser Menge weniger zur Klärung eines politischen Begriffs, als zur Etablierung eines vereinheitlichenden Logos. Die Ausstellung ist daher auch ein individuelles Bild des Inszenators und Kurators Harald Szeemann geworden, der getreu seiner Suche nach den letzten «Intensitäten» in der Kunst, die Region trendscoutmässig durchforscht hat.
Global denken, lokal einkaufen: mit der Ausstellung ihrer «Trésors publics» feiern die FRAC (Fonds régionaux d’art contemporain) ihr zwanzigjähriges Bestehen. Das grösste Ereignis in Frankreichs Ausstellungsgeschichte lässt regionale Besonderheiten und seltene Schmuckstücke entdecken. 15 Ausstellungen in Arles, Avignon, Nantes und Strasbourg bieten einen historischen Überblick über die wichtigsten Positionen der zeitgenössischen Kunst seit 1960.