«Be your own media!»

Die Stellvertreter von George W. Bush, Micheline Calmy-Rey und Jacques Chirac vereint am «Premier Sommet de l’art interventionniste – SoIA. SoIA – Summit of Interventionist Art» anlässlich des G8-Gipfels von Evian in der Dokumentationsausstellung im Kunstraum Forde, Genf, Juni 2003

Die Stellvertreter von George W. Bush, Micheline Calmy-Rey und Jacques Chirac vereint am «Premier Sommet de l’art interventionniste – SoIA. SoIA – Summit of Interventionist Art» anlässlich des G8-Gipfels von Evian in der Dokumentationsausstellung im Kunstraum Forde, Genf, Juni 2003

San Keller, «San Keller schläft an Ihrem Arbeitsort», Sendung 10 vor 10, SFDRS, 2001. Die Vorführung des kompensatorischen Miteinanders von Kunst und Information

San Keller, «San Keller schläft an Ihrem Arbeitsort», Sendung 10 vor 10, SFDRS, 2001. Die Vorführung des kompensatorischen Miteinanders von Kunst und Information

Fokus

Im Jahr des zweiten Irak-Kriegs und des G8-Gipfels von Evian aktiviert sich eine interessante Strömung der Gegenwartskunst. Sie dokumentiert, informiert und hinterfragt fast in realtime die laufenden gesellschaftlichen Prozesse auf lokaler oder internationaler Ebene.

«Be your own media!»

Künstler sind heute wieder vermehrt Citoyens, die soziale Geschehnisse darstellen, sich dazu verhalten und wo immer nötig, sich gegen die Irrelevanz des l’art pour l’art zur Wehr setzen. Selbst die diesjährige Biennale von Venedig trägt dem Geist einer Kunst der Ideologiekritik in den Titeln ihrer thematischen Ausstellungen wie «Clandestino», «Zone of Urgency», «The Structure of Survival» Rechnung, wenngleich die soziale Mobilisierung der Künstlerinnen und Kuratoren die Biennale eher durchweht, denn umtreibt. Vieles in Venedig wirkt soft oder verspielt, an der Realität dran und doch eher verträumt als provozierend. Die Sonderausstellung «Hardcore. Vers un nouvel activisme» im Pariser Palais de Tokyo vom Frühjahr 2003 zeigte da schon etwas aufschlussreicher die fruchtbaren Taktiken, über welche sich die Gegenwartskunst mit der Öffentlichkeit, der Information, dem Widerstand, der Radikalisierung und dem Terrorismus auseinander setzt. Eine der wohl eindrücklichsten Arbeiten aus diesem Sektor ist Christoph Büchels Pseudorekonstruktion der klandestinen Containerbehausung eines Al-Kaida-«Schläfers» samt gebasteltem Tonmodell des World Trade Centers und Flugsimulator in der Ausstellung «Bewitched, Bothered and Bewildered» des Migros Museums.

Seit dem historischen Stichtag Nine-Eleven gab es verschiedenste Versuche, die Zäsur, welche die einstürzenden New Yorker Zwillingstürme geschnitten haben, in Ausstellungen zu fassen. Paul Virilio hat Ende 2002 für die Fondation Cartier eine Schau mit dem Titel «Ce qui arrive» kuratiert, die den Blick der Kunst (u.a. Cai Guo-Qiang, Tony Oursler, Artavazd Pelechian, Bruce Connor, Andrej Ujica) auf die tragischen Twin Towers und andere mediatisierte Katastrophen des 20. Jahrhunderts wie Seveso, Tschernobyl oder Lockerbie zeigte. Zum ersten Mal seit jener langen TV-Nacht vom September 2001 konnte man in einer präzis orchestrierten Zusammenstellung Bilder sehen, die mehr vermochten, als nur die Repetition des ungläubigen Staunens hervorzurufen. Endlich schien man als Betrachter etwas darüber zu begreifen, dass wir es mit einem Kaleidoskop an Zu- und Unfällen, Katastrophen und Kataklysmen zu tun haben, die ex-abrupto immer öfter, aber vor allem immer schneller auf uns einstürzen. Und von dieser Beschleunigung beeinflusst ist die Kunst ebenso wie die Politik, die Wirtschaft oder die Medien.

Dass die Kunst mit der Zeit mitstürzt, als Bilderlieferantin par excellence immer schneller wird, versteht sich. Auch beginnt sie sich vermehrt als alternatives Informationsmittel gegenüber jenen etablierten Massenmedien zu profilieren, die sich allein an Audimat-Kriterien orientieren. So wurde beispielsweise in Genf unmittelbar nach Abschluss des G8-Gipfels von Evian im Espace d’art contemporain Forde die dokumentarische Interventions-Kunst des G8 ausgestellt. Forde befindet sich in der Usine, just an jenem Ort der Überschneidungen, wohin sich der Schwarze Block zurückgezogen und mit der städtischen Alternativszene durchmischt hat. Hier haben die Polizisten mit schweren Schultern und in behelfsmässiger Demonstrantenverkleidung Türen eingedrückt und im Handgemenge auch Mitglieder der Freien Presse in die Mangel genommen. An diesem eigentlichen Ort des Geschehens konnte man sich bereits am Abreisetag der offiziellen G8-Delegationen jene Videos anschauen, welche die Altermondialisten nur kurz zuvor bei ihren Demonstrationen und Aktionen in Genf und Lausanne gedreht haben.

Aktion, Information und Gegen-Information  trafen sich so in der Usine am gleichen Ort, in einer Art Mediosphäre diverser Inszenierungen von Macht, Manipulation, Imagination und Illusion. Anders gesagt: Die mediatisierte Welt, wie sie Forde fokalisiert hat, ist ein permanentes Zerfliessen von Wahrnehmungs- und Vorstellungsbildern. Die Kunst erhält in diesem instabilen Feld heterogener und heteronomer Praktiken den Reiz, gleichzeitig Akteur, geschichtliche Kritik und unmittelbare Präsenz, Diskurs und Werk zu sein. Angesichts des Impulses dieser ultimativen Gegenwart der Kunst kann keine Rede mehr davon sein, methodisch objektiv auszusondern, was ästhetisch von beständiger oder auch nur für den Moment von repräsentativer Relevanz ist. Dies ist eine Krux der Gegenwartskunst, aber ein Axiom der Kommunikation des Hic et nunc in den Massenmedien.

Die einmal von Hans Belting getroffene Unterscheidung zwischen der Aufgabe der Kunst als Darstellung und derjenigen der Massenmedien und technischen Medien als Kommunikation verwischt sich an den Orten der Gegenwartskunst von Venedigs Gärten und Arsenalen, dem Pariser Palais de Tokyo und Genfs Usine. Es gibt in den dortigen Inszenierungen von Kunst keinen ontologischen Gegensatz zwischen Kunst und technischen Medien mehr. Es gibt unterschiedliche Interessen, die auf unterschiedliche Weise dargestellt werden. Venedigs «Stazione Utopia» von Hans-Ulrich Obrist, Molly Nesbit und Rirkrit Tirawanija funktioniert wie das Grossraumbüro einer Redaktion und zeigt nicht weniger als 215 Künstlerinnen und Künstler in einem dichten Architekturraum aus rohen Holzplatten mit Kompartimenten, einem Umgang und diversen runden Tischen samt Computerkonsolen. Einzelne Positionen sind an den diversen «Workingstations» nur noch schwer auszumachen. Auf Namenstafeln wurde ganz verzichtet. Das Gewirr hat System im Melting pot der Durchmischung und gegenseitigen Bedingtheit des Netzwerks. Was aber auch diese mehr oder minder unsinnliche Kunstpräsentation des «French chic» gegen eine herkömmliche Redaktion auszeichnet, ist die Koppelung von Visualisierung und Kommunikation, Beobachtung und Selbstbeobachtung.

Dass die Kunst im System zwischen Darstellung und Kommunikation komplexer funktioniert als die Massenmedien, ist ihr Vorteil. Und die totale Freiheit der Thematisierung ist ihr eigentliches Potential gegenüber einer ökonomisierten Information. Hans Ulrich Reck geht in seiner Untersuchung «Kunst als Medientheorie», 2003, soweit, dass er «Ästhetik als Medium der Thematisierung» und «Kultur als Programmentwicklung und -durchsetzung» darstellt. Damit steht die Agenda der Informationsmedien in ihrem Kampf um die Publikumsgunst und ihrem vermeintlichen Zwang nach Vereinfachung, Personalisierung, Aktualität der offenen Agenda der Kunst gegenüber. Die Kunst kann sich den Luxus der Komplexität leisten, einem nicht zu sagen was, sondern woran man denken soll. Damit arbeitet die Kunst unabhängig von der Presse an der Kartografie der Aktualität und benennt ihrerseits – medienkritisch – die aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen.

Welche Inhalte das Fernsehen, die Presse, das Radio, das Internet wie transportieren, das gehört zu den selbstverständlichen Interessensfeldern der Kunst. Mittels In-filtrationsstrategien, Montagen und Zweckentfremdungen denunziert sie die Art und Weise, mit welcher Information und – nicht erst in Zeiten «eingebetteter» Kriegsreporter – Desinformation produziert wird. Die Kunst zielt dabei meist mit dem Selbstverständnis einer Gegeninformationsplattform auf die Demaskierung von Medienlügen, indem sie den potentiellen Plural einer «Information» aufzeigt. Mainstream-Codes werden aufgegriffen und der öffentliche Raum mit ästhetischen Guerillamethoden zurückgefordert, um eine Sphäre zu schaffen, worin über die Macht der Medien diskutiert werden kann. Cai Guo-Qiang beispielsweise filmte parallel zum chinesischen Staatsfernsehen das grosse Feuerwerk anlässlich der Konferenz der asiatischen Pazifikstaaten in Shanghai vom Oktober 2001, zeigt dabei seine Kompetenz in Sachen Pyrotechnik und konterkariert die aseptische Regie des TV-Senders.

Der kritische Geist   solcher «Appropriation-Art», wie man sie ja seit längerem etwa von Barbara Kruger kennt, bedient sich der Repräsentationen der von den Medien besetzten Information. Wie aber steht es mit jenen Produzenten von Information, die sich vom Journalismus her in die medienaktivistische Kunstzone der «Media-Jamers» vorwagen, gewissermassen eine Kritik der Medien durch die Medien lancieren? Die Aktivitäten rund um den G8-Gipfel von Evian haben gezeigt, dass sich die Taktiken der experimentellen «Independent»-Medien mit ihrem Individuations-Slogan «Be your own media!» mit denen der so genannten «Self-Medias» schneiden, wie sie in der Kunst bereits seit den späten sechziger Jahren existieren. Dabei handelt es sich um relativ bescheidene, individuelle Alternativen zu den Massenmedien, die sich so nahe als möglich am Geschehen, der gelebten Realität bewegen, um die Isolation der Kunstwelt aufzuheben. Pascal Beausse beschreibt die «Self-Medias» im Katalog zur Ausstellung «In Media Res. Information, contre-information», die diesen Frühsommer an der Universität von Rennes gezeigt wurde. Bausse erinnert unter anderem daran, dass David Lamelas an der Biennale di Venezia XXXIV von 1968 eine Installation mit dem Titel «Office of Information about the Vietnam War at three levels: the visual image, text and audio» gezeigt hat, die den Ausstellungs-Besucher via Telexgerät mit den neuesten Agenturmeldungen über das Kriegsgeschehen versorgt hat. Solche Kunst-Infiltration in die Sphären der Informationsmedien, wie sie dann ab den neunziger Jahren etwa Pierre Huyghes mit seinen «Mobil TV»-Projekten realisierte, sollte es den Journalisten ihrerseits einfach machen, von der Information her über die unsichtbare Demarkationslinie in die Kunst überzuwechseln. Denn für den Journalisten ist die Kunst wie eine Freizone, ganz im Sinne von Gilles Deleuze, der die künstlerische Aktivität als Akt der Resistenz gegen den Fluss des Kapitalismus verstand. Dabei geht es aber heute nicht mehr darum, im Stil der Künstler der achtziger Jahre das semantische System der Regimes der Repräsentation im globalen Netzwerk zu analysieren. Was die Kunst der Information heute bieten kann, ist ein Refugium ausserhalb der Vereinfachungen und Entertainment – eine Freiheit, die nicht von fehlenden Zuschaueranteilen kastriert und vom Druck des Medienkriegs kontrolliert wird. Und weil Kunst nicht nach Quoten gemessen wird, hält sie einer alternativen Form von Information den Weg offen, sich unter ihrem Schutz zu entwickeln, um von hier aus unabhängige Stimmen, die sonst ungehört blieben, in die flurbereinigte Medienlandschaft zu tragen. Der positive Einfluss dieses Transfers käme selbstverständlich nicht nur den Ideologien der Massenmedien zugute, sondern auch den Erzeugnissen der Independent Medias, denen bisweilen etwas mehr Komplexität ihres eigenen Weltbilds Not täte. Nur scheinen die «Indies» die Chance der Kunstfreiheit nach der Pressefreiheit bereits für sich entdeckt zu haben.

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