Performance im Blickfeld - Agatha Valkyrie Ice: Perma-permadeath
Seit April 2015 ist der Projektraum Oslo 10 in Basel das Labor von Dorota Gaweda & Eglé Kulbokaité. Ihre virtuelle posthumane Entität ‹Agatha Valkyrie Ice›, die vor allem in den Social Media ihr Unwesen treibt, hat sich an der Liste Basel in persona gezeigt, kahl geschoren, gross und schlank.
Performance im Blickfeld - Agatha Valkyrie Ice: Perma-permadeath
Im Solitude-Park verkörpert der Performer Lukas Von Der Gracht diese Figur. Ein sandfarbenes Lenden- und Brusttuch triggern das kollektive Bildgedächtnis: das Lendentuch Christi und die Venus von Botticelli. Die Accessoires wiederum verursachen Bildstörungen: ein an die Hüfte appliziertes Tablet, orangenes Klebeband, das die Bekleidung zusammenhält, sowie weisse Socken und Turnschuhe. Der Performer könnte eines der letzthin im ‹20 Minuten Friday› abgebildeten Model-Mädels sein, eine hybrid-elfenhafte Wesenheit, eine Post-Gender-Christus-Venus. Das Gefühl beschleicht mich, dass hier nicht nur Körpergrenzen, sondern auch Dichotomien unseres gravitätischen Seins mitsamt ihrer anthropozentrischen Massstäbe kollabieren.
Ist Agatha-Lukas in einer (Kunst-)Mission unterwegs? Ist sie Botin, Gefährtin und Avatar, die uns nachdenken lässt, wie sie gendermässig beschaffen sein könnte und wie sie mit Mensch, Tier und Pflanze interagiert? Der Performer trägt keine Maske, er ist körperhaft real, wenn er seitlich ausgestreckt auf dem Waldboden liegt, mit Zeichen versehene Steine aufhebt, sie auf den Boden legt oder einer Zuschauerin wie eine Opfergabe überreicht. Der Performer ausgelegt im Efeu, Steine auf Baumstämme schlagend, immer wieder Stillstand. Sanfte Bewegung der Arme, gleich einem soeben geschlüpften Schmetterling, der in seine noch zerknitterten Flügel Luft und Blut pumpen muss. Andere Komponenten der Performance erzeugen einen osmotischen Druck und schreiben an der Ent-Fremdung von Agatha-Lukas mit: Jacke und Kapuze in Orange; auf Panels aufgenähte Botschaften und Zeichen, ebenfalls in Leuchtfarbe; und auf dem transparenten Bildgrund Aufnahmen von Steinen und Vegetation, die auch von weither, von Satelliten oder Mars-Sonden stammen könnten, und hier zu Sonnensegeln im All werden. Und was wäre diese Performance ohne den Sound von Brooklyn Bridge? Während vierzig Minuten wird die Baumlichtung kräftig getüncht: mit Wellen elektronischer Verwebungen, aufgeschaukelt bis zur Symphonie, die übergeht in Glockengeläut, dann Orgelmusik, eine Solostimme, die zu einem Ave Maria anhebt, und Pop-Songs. Eine Ode an das Soundkapital unserer Zeit, mal liquide sphärisch, mal gravitätisch eindringlich. In den zwischen den Ästen aufgefächerten gleissenden Lichtstrahlen fliegen Insekten - wie Agatha-Lukas eine unruhig schwebende (An-)Wesenheit, die zwar berührt, körperlich aber keinen direkten Kontakt herstellt.
Dorothea Rust, Künstlerin / Tänzerin, kontakt@dorothearust.ch
Romy Rüegger empfiehlt: 17.9., 20-22 Uhr, Pandora's Box, live auf Radio LoRa 97.5 MHz
Dorothea Rust |