Editorial — Menschliches, allzu Menschliches
Editorial — Menschliches, allzu Menschliches
Es lässt sich nicht mehr schönreden: Wissenschaftler:innen haben jüngst den Beginn des Anthropozäns datiert. Eine Sedimentprobe vom Grund eines kleinen Sees in Kanada soll die Demarkationslinie zwischen natürlich «gewachsener» und menschlich geformter Umwelt beim Jahr 1950 ausweisen. Daran muss ich denken, während ich die Werke von Alice Channer betrachte – metallisierte Krebspanzer, von einer massiven Industrievorrichtung gehalten, in Aluminium nachgebildete Ammoniten, Straussenfedern, welche kreisförmig aufgefächert Stahlketten umrunden. Dabei bricht Channer das Verhältnis Mensch / Natur keinesfalls auf einfache Formeln herunter. Die Britin, die jetzt umfangreich in Appenzell zu sehen ist, macht keine Kunst mit dem Zeigefinger – höchstens, um ihn hundertfach abgegossen und rot getüncht Komplexitäten im Weltgefüge anzeigen zu lassen: die Prozesse hinter den makellos glatten Oberflächen unserer technologisierten Welt etwa, oder Formen und Materialien, geprägt von geologischen Vorgängen, die im Grunde ja Basis sind für so vieles Menschgemachtes.
An diesen Zusammenhang erinnert auch Heiko Schmid, wenn er von unserem Bildschirmkonsum spricht: «Da wird Kohlestrom verbraucht, das ist hochphysikalisches Material.» Der Vorsitzende von Zürichs Fachgruppe Kunst im öffentlichen Raum erläutert im Interview das neue Leitbild der KiöR, das auf die postdigitale Realität fokussiert. Ganz analog an die Hand nehmen uns wiederum Cardiff & Miller im Museum Tinguely in Basel und Maude Léonard-Contant im Kunstmuseum Luzern. Getarnt von Alltäglichem bei Ersteren, eingefaltet in wunderliche Skulpturen bei Letzterer, erhält hier das Poetische eine Bühne, das zwischen den Zeilen stets den Menschen im Spannungsfeld der Jetztzeit mitführt.
Alice Channer |
Deborah Keller |