Maude Léonard-Contant — Grasklingen

Maude Léonard-Contant · The night rules, 2023 (Detail), Satin, Crêpesatin, Holz, Leder, Stahl, Rosshaar, Seiden­kokons, Schmalblättriger Rohrkolben, Blütenblätter verschiedener Irisarten (Blackout, Dracula’s Kiss, Anvil of Darkness, Tabu, Blackbeard, The Night Rules), Klatsch- und Schlafmohn­knospen. Foto: Marc Latzel

Maude Léonard-Contant · The night rules, 2023 (Detail), Satin, Crêpesatin, Holz, Leder, Stahl, Rosshaar, Seiden­kokons, Schmalblättriger Rohrkolben, Blütenblätter verschiedener Irisarten (Blackout, Dracula’s Kiss, Anvil of Darkness, Tabu, Blackbeard, The Night Rules), Klatsch- und Schlafmohn­knospen. Foto: Marc Latzel

Maude Léonard-Contant. Foto: Karin Salathé

Maude Léonard-Contant. Foto: Karin Salathé

Maude Léonard-Contant · Mes ancolies, 2023, Satin, Tüll, Holz, Leder, Stahl, Magnete, Seidenkokon, Akelei Schneekönigin (ancolie snowqueen), Schwarzviolette Akelei (ancolie noirâtre), Kaktusdornen, Wald-Veilchenblätter, Stachelschweinnadel. Foto: Marc Latzel

Maude Léonard-Contant · Mes ancolies, 2023, Satin, Tüll, Holz, Leder, Stahl, Magnete, Seidenkokon, Akelei Schneekönigin (ancolie snowqueen), Schwarzviolette Akelei (ancolie noirâtre), Kaktusdornen, Wald-Veilchenblätter, Stachelschweinnadel. Foto: Marc Latzel

Maude Léonard-Contant · Herbe aux chantres, 2023 (Detail), Baumwolle, plissierter Organza, Holz, Leder, Stahl, Weg-Rauke (herbe aux chantres), Stachelschweinnadeln. Foto: Marc Latzel

Maude Léonard-Contant · Herbe aux chantres, 2023 (Detail), Baumwolle, plissierter Organza, Holz, Leder, Stahl, Weg-Rauke (herbe aux chantres), Stachelschweinnadeln. Foto: Marc Latzel

Maude Léonard-Contant · Cattails, 2023, Organza, Rohseide, Satin, Seidentaft, Holz, Leder, Stahl, Magnete, Schmalblättriger Rohrkolben, Feigenblätter, Königskerzenblätter, Seifenkraut, Stachel­schweinnadeln. Foto: Marc Latzel

Maude Léonard-Contant · Cattails, 2023, Organza, Rohseide, Satin, Seidentaft, Holz, Leder, Stahl, Magnete, Schmalblättriger Rohrkolben, Feigenblätter, Königskerzenblätter, Seifenkraut, Stachel­schweinnadeln. Foto: Marc Latzel

Maude Léonard-Contant · Racines froides, 2023 (Detail), Baumwolle, plissierte Baumwolle, ­Organza, Holz, Leder, Stahl, verschiedene Süssgräser, Magnete, Magnolien, Scharfer Hahnenfuss, Stachelschwein­nadel, Weissdornblüten. Foto: Moritz Schermbach

Maude Léonard-Contant · Racines froides, 2023 (Detail), Baumwolle, plissierte Baumwolle, ­Organza, Holz, Leder, Stahl, verschiedene Süssgräser, Magnete, Magnolien, Scharfer Hahnenfuss, Stachelschwein­nadel, Weissdornblüten. Foto: Moritz Schermbach

Fokus

Sprache und Skulptur durchdringen sich im Werk von Maude Léonard-Contant. Sie liess die Möglichkeiten des Publikationspreises ‹spot on› der Stadt Luzern nicht ungenutzt, das Buch mit der Ausstellung im Kunstmuseum Luzern zu verbinden. Im stummen Skulpturenreigen ist die Sprache unterdrückt. Doch tritt sie ein über die sprechenden Namen der Pflanzen, welche die Künstlerin in ihrer ursprünglichen Heimat Kanada und der Schweiz gesammelt und den Werken angefügt hat. Eine höchst inspirierende Ausstellung über Verschwinden und Erscheinen, Welt und Sprache.

Maude Léonard-Contant — Grasklingen

Sprache und Skulptur durchdringen sich im Werk von Maude Léonard-Contant. Sie liess die Möglichkeiten des Publikationspreises ‹spot on› der Stadt Luzern nicht ungenutzt, das Buch mit der Ausstellung im Kunstmuseum Luzern zu verbinden. Im stummen Skulpturenreigen ist die Sprache unterdrückt. Doch tritt sie ein über die sprechenden Namen der Pflanzen, welche die Künstlerin in ihrer ursprünglichen Heimat Kanada und der Schweiz gesammelt und den Werken angefügt hat. Eine höchst inspirierende Ausstellung über Verschwinden und Erscheinen, Welt und Sprache.Doch die Werke sind da, still und schweigend. Die Ausstellung sollte ein Gegenstück zum redseligen Buch sein, sagt die Künstlerin. Der Ausdruck «en voie d’extinction», vom Aussterben bedroht, war ihre Skizze. Er bezieht sich auf den Stimmverlust («extinction de voix»), den Léonard-Contant als Kind öfters erlebte, aber auch auf gefährdetes Handwerk wie das Plissieren oder auf bedrohte Pflanzen.
Die Atmosphäre im Ausstellungsraum ist denn auch kühl. Die auf Graustufen reduzierte Farbigkeit harmoniert mit der harten Architektur, deren Deckenlichter brutal den Raum durchschneiden. Es herrscht eine Glätte, wie sie nur der Traum kennt, klar, aber voller unterdrückter Gefühle und Spannungen. Die Werke bilden mit einem Repertoire aus Formen und Materialien immer wieder andere rätselhafte Konfigurationen. Eine graue Lederskulptur dreht sich in wechselnden Positionen und Konstellationen durch den Raum, zeigt sich stets verschlossen, mal als Faust, als Muschel oder Graburne. Auch der rauchende Kopf einer Figur von Philip Guston wurde schon gesichtet – selbst der Humor hat bei Léonard-Contant etwas Melancholisches.
«Mise sous presse», Drucklegung, ist ein zweites Leitwort, unter dem die Künstlerin für ‹spot on› das Buch mit der Ausstellung verschränkt. Druck ist in den Skulpturen präsent in der Art, wie Formen und Materialien erzeugt wurden. Er findet sich im gespannten Leder, in den Stoffen, die der Maître Plisseur Karen Grigorian in Paris mit hohen Temperaturen und Wasserdampf in Falten legte, oder in der Spinnmasse, welche die Seidenraupe aus sich herausgepresst hat.
Die schönste Korrespondenz zwischen Buch und Ausstellung bilden die zahlreichen (Blüten-)Blätter, die Léonard-Contant mit höchster Sorgfalt zwischen die Stofffalten gelegt oder mit Pferdehaar angenäht hat und die sie bis in den Spätsommer ergänzen und verändern wird. Sie sammelt sie selbst und presst sie in Büchern, früher waren es Wörterbücher, heute meist Romane, die eine literarische Verbindung zur jeweiligen Pflanze aufweisen. «Diese Bezüge sind für mich wie kleine Witze, die ich mir erzähle, oder Lesesouvenirs, die ich reaktiviere», sagt sie.

Grasklingen und Süssgräser
Die Pflanzen erzählen wiederum zahlreiche Geschichten, die Léonard-Contant aufschreibt und auf der Website des Museums zu lesen geben wird: von den Wald-Veilchen, aus denen die Mutter den Sirup als Medizin gegen ihre Stimmausfälle kochte, oder von den Mohnblumen, die immer vor den langen Ferien blühten und welche die Kinder als rituelles Geschenk zum Jahresende für die Lehrer:innen pflückten. Die dunkelste Erzählung verbirgt sich in der nach der Schwarzen Schwertlilie benannten Skulptur ‹The night rules›, die ihr weisses Satinkleid wie Schwingen auf dem Boden ausbreitet. Die Blume war der Stolz ihrer Mutter, die diese züchtete. Umso grausamer der Akt, als die Tochter in einem alkoholisierten, jugendlichen «act manqué», wie sie sagt, die Blume aus Imponiergehabe und dem Wunsch nach Emanzipation zerstörte.
Die Schwertlilie ist nicht die einzige Pflanze, die eine Waffe im Namen trägt. Auch die «blades of grass», Grashalme, haben scharfe Klingen, die im Deutschen zugleich schneiden und klingen. Léonard-Contant hat sie in Form von Süssgräsern in die Werke integriert. Lange hatte sie in der Schweiz nach dem «Sweetgrass» gesucht, eine von den First Nations in Nordamerika verehrte Pflanze, und sich zugleich gefürchtet, sie zu finden – zu gross ist ihr Respekt, sich diese heilige Pflanze anzueignen. Durch ein Missverständnis in der Übersetzung hat sie schliesslich eine ganze Pflanzenfamilie entdeckt. Denn, nur das Mariengras entspricht dem «Sweetgrass», während Süssgräser im Deutschen zahlreiche Pflanzen umfassen.
In der Ausstellung hat die Künstlerin ein Bündel Süssgräser in die Stoffrollen von ‹Racines froides› gelegt, eine behutsame Geste, die sowohl all den vernachlässigten Gräsern als auch der Autorin Robin Wall Kimmerer Tribut zollt, deren Buch «Braiding Sweetgrass» indigenes Wissen mit wissenschaftlichen Erkenntnissen verwebt. Gefässe wie die Rollen finden sich an so vielen Stellen dieser Skulpturen – seien es Falten oder ein zum Schoss aufgespannter Stoff. Was sie fassen können, bleibt unausgesprochen. Aber plötzlich meint man es in der Stille knistern und knacken zu hören. Und dies ist nicht der Druck, der etwas gewaltsam niederhält, sondern jener, der etwas wachsen und sich entfalten lässt: «Écoute, la croûte se fend.»

Die Zitate stammen aus dem E-Mail-Verkehr mit Maude Léonard-Contant im Juli 2023.

Meret Arnold, freie Autorin und Redaktorin beim Kunstbulletin. arnold@kunstbulletin.ch

→ ‹spot on Maude Léonard-Contant›, Kunstmuseum Luzern, bis 17.9.; Monografie mit Texten von Claire Hoffmann, Maude Léonard-Contant, Jeremy Narby und Camilla Paolino, Zürich: Mousse ­Publishing, 2023 ↗ kunstmuseumluzern.ch

Bis 
17.09.2023

Maude Léonard-Contant (*1979, Joliette, CA) lebt in Basel und im Puschlav
2007 BA, Université du Québec, Tiohtià:ke / Mooniyang / Montreal
2012 MA, Concordia University, Tiohtià:ke / Mooniyang / Montreal, und The Glasgow School of Art
2013 Residency Atelier Mondial, Umzug in die Schweiz

Einzelausstellungen (Auswahl)
2022 ‹Digs›, Kunsthaus Baselland, Basel / Muttenz
2021 ‹Knuckles down›, Mayday, Basel, mit Marta Margnetti
2020 ‹No Edit Can Fail Tint›, Kunstmuseum Luzern; ‹Bahnhofstrasse›, Münchenstein, kuratorisches Projekt des Kollektivs or nothing, mit Ernesto Sartori
2019 ‹Figures›, Terrain, Bern
2018 ‹Ein eigenes Zimmer›, Kunstplattform akku, Emmenbrücke, mit Irma Ineichen
2016 ‹Chatty lot›, Alpineum Produzentengalerie, Luzern

Gruppenausstellungen (Auswahl)
2021 ‹Jahresausstellung der Bündner Künstlerinnen und Künstler›, Bündner Kunstmuseum, Chur
2019 ‹Step out! Aufbruch in den Raum›, Regionale 20, Kunsthaus Baselland, Basel / Muttenz; ‹Splendid Isolation – Not in our Name›, Kunstraum Riehen; ‹The words we live in›, Binz39, Zürich
2016 ‹Beyond the real›, Regionale 17, Kunsthalle Basel; ‹L*›, Darling Foundry, Montreal
2015 ‹Jahresausstellung Zentralschweizer Kunstschaffen›, Kunstmuseum Luzern
 

Ausstellungen/Newsticker Datum Typ Ort Land
Spot on Maude Léonard-Contant 10.06.202317.09.2023 Ausstellung Luzern
Schweiz
CH
Villa Bleuler Gespräche: Léonard-Contant / Szeemann 26.09.2023 Gespräch/Vortrag Zürich
Schweiz
CH
Autor/innen
Meret Arnold
Künstler/innen
Maude Léonard-Contant

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