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07 Schreibwerkstatt— Witikoner Wunderkammer

Routinen können hilfreich sein, aber auch den Entdeckergeist verkümmern lassen. Denn wenn man zu häufig auf ausgetretenen Pfaden unterwegs ist, wo bleibt dann Raum für die überraschenden, unvorhersehbaren und spannenden Momente?

Kulturschüür Eierbrecht Zürich Witikon – Es ist dunkel, regnerisch, kalt. Eigentlich kein Wetter, um noch mal das Haus zu verlassen, aber das Trambillet ist bereits gelöst und deswegen gibt es keine Ausreden mehr. Die Anreise ist eine routinebrechende Erfahrung. Als Wahlstadtzürcher seit über drei Jahren meint man, mittlerweile eine gute Übersicht über die Stadt, ihre verschiedenen Quartiere und Orte zu haben, doch weit gefehlt. Der Kartendienst von Google muss zu Rate gezogen werden, um die passende Verbindung zum Buurenweg 28b in Witikon rauszusuchen. Und plötzlich ist es gar nicht mehr so schlimm, dass es dunkel, regnerisch und kalt ist, denn man fährt langsam über die hell erleuchtete Bahnhofstrasse, die sich schon im besten Weihnachtskleid präsentiert. Menschen hasten unter Regenschirme geduckt von Geschäft zu Geschäft und man rutscht noch ein bisschen tiefer in seinen Sitz im Trockenen, lässt den Blick und die Gedanken schweifen. Die Forchbahn lässt das Bellevue, Bahnhof Stadelhofen und den Kreuzplatz hinter sich. An der Haltestelle Balgrist angekommen, muss man die schützende Wärme dann leider doch verlassen und es geht zu Fuss einen kleinen Weg hinauf. Zürcher Peripherie mit Seeblick. In der Dunkelheit schimmern die Lichter der Häuser von Kilchberg und Wollishofen über den See. Der einzige andere Mensch, dem man begegnet, ist eine Spaziergängerin mit ihrem Hund. Und dann, nach etwa zehn Minuten Aufstieg, sieht man sie, die Kulturschüür, in direkter Nachbarschaft zu modernen Glasvillen, Wiesen, Flüssen und Wäldern. Durch die grob gezimmerten Wände der Holzscheune dringt der Ton einer der gezeigten Arbeiten hinaus in den Zürcher Stadtrandabend. Man umrundet die Scheune, tritt ein - und steht noch immer in der Kälte. Der eigene Atem bleibt gut sichtbar während dem Ausstellungsparcours. Und, auch das ändert sich während dieses Besuchs nicht: Man ist immer noch allein. Begrüsst wird man von der Arbeit ‹Fabriraland› von Adrian Germann, die sich mit einem fiktiven Ort auseinandersetzt, der Witikon und der Kulturschüür gar nicht mal so unähnlich zu sein scheint. Es geht um Tagesbesucher, sanften Tourismus und die Ruhe vom hektischen Alltag der Stadt. Das passt. Der Versuch, die weiteren Arbeiten an dieser Stelle zu beschreiben, würde den Rahmen sprengen (und wäre, so die Vermutung, auch nicht im Sinne des Ausstellungskonzepts), denn die Kulturschüür gleicht dieser Tage einer Wunderkammer. Installationen, Skulpturen, Videoarbeiten, im Rahmenprogramm auch Karaoke und Performances; und das alles im Kontext eines Ortes, der selbst bereits irgendwie ein Kunstwerk ist. Weder medial noch thematisch gibt es einen roten Faden, und das ist unbedingt positiv gemeint - und möglicherweise dann doch wieder so etwas, wie ein roter Faden.

Mathis Neuhaus (*1991) lebt in Zürich und ist freier Journalist in den Bereichen Kunst, Musik und Popkultur. hello@mathisneuhaus.de

Schreibwerkstatt ist ein Projekt von Kunst: Szene Zürich 2018 und Kunstbulletin.

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Kulturschüür Eierbrecht
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Kunst: Szene Zürich 2018 - Ausstellung Zürich Schweiz
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