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Bertrand Lavier — Walt Disney Productions

Luzern — Über die Frage, wann Kunst Kunst ist, ist bereits viel gestritten worden. Als Disney-Zeichner die Comic-Figuren Micky und Minnie Maus 1977 durch ein Museum moderner Kunst schlendern lassen, greifen sie die Debatte mokierend auf. Zwischen Micky und Minnie herrscht offenkundige Uneinigkeit: Umgeben von abstrakt-geometrischer und gestischer Malerei sowie amorphen Skulpturen im Stile Jean Arps seufzt Minnie vollends entzückt «Moi, je l'adooore!», während Micky seine Ablehnung vor dem betreffenden Künstler kaum verbergen kann. Mit seinem Unverständnis gegenüber abstrakter Kunst kann Micky – die wohl berühmteste Maus der Welt – als stellvertretend für viele entrüstete MuseumsbesucherInnen betrachtet werden, welche die Entwicklungen in der Kunst der 1960er und 70er Jahre als grobe Provokation und Angriff auf den guten Geschmack empfanden. 

In ebendieser Zeit aktiv, erkannte der französische Konzeptkünstler Bertrand Lavier (*1949) das kunstimmanent-kritische Potential dieses Comics. Besonders interessierte ihn die fiktive Kunst in dem ebenso fiktiven Museum, welches die Comic-LeserInnen zu sehen bekamen. So begann Lavier ab 1984 einzelne dieser erdachten Kunstwerke in reale Objekte zu übersetzen. Angefangen bei ausgewählten Gemälden, setzte er später auch Skulpturen räumlich um. Mittlerweile besteht ein gesamtes Museums-Setting, das anlässlich des internationalen Comix-Festivals Fumetto derzeit im Kunstmuseum Luzern zu besichtigen – und begehen – ist. Die imitierte Kunst im Disney-Comic, welche die abstrakte Kunst der 1970er karikierte, hat somit selbst Eingang ins Museum gefunden und den Status «hoher Kunst» erlangt.

High wird zu Low? Ganz so einfach steht es um Laviers ‹Walt Disney Productions› jedoch nicht. Vielmehr bleiben die beiden Sphären höchst vielseitig aufeinander bezogen. Schliesslich eignete sich bereits der Disney-Comic die Welt der Kunst auf angriffig-unterhaltsame Weise an. Dabei galt schon das Medium Comic an sich bis weit ins 20. Jahrhundert hinein als Angriff auf die bürgerliche Hochkultur. Der deutsch-amerikanische Psychiater Fredric Wertham beurteilte Comics 1954 gar als jugendgefährdend. Ab den 1960er Jahren bediente sich aber ausgerechnet die Bildende Kunst immer öfter am Bilderfundus des Comics. Und gerade die 1928 von Walt Disney in Leben gerufene Figur Micky Maus wurde zu einem äussert beliebten Bezugspunkt: Roy Lichtenstein schuf 1961 mit ‹Look Mickey› sein erstes Werk im Comicstil, Andy Warhol verewigte die stets gutgelaunte Maus 1960/61 und Claes Oldenburg begann 1965 mit dem Bau seines ‹Mouse Museum›, für dessen Grundriss der Micky-Maus-Kopf Pate stand. Trotz und aufgrund dieser Entwicklungen wurde die Diskussion um High und Low in den 1960er und 70er Jahren besonders hitzig geführt. Der Bildenden Kunst ging es entscheidend um eine Erweiterung des Kunstbegriffs, welcher eine Verbindung von Kunst und Leben vorsah. Vor diesem Hintergrund konzipierte auch Lavier seine Kunst im Rückgriff auf die Pop- und Konsumkultur. Seine Werke sind spielerische Aneignungen, Umwandlungen und Neuinszenierungen von vorgefundenen Alltagsobjekten und Kunstformen. 

Im Falle seiner ‹Walt Disney Productions› lohnt es sich jedoch einmal mehr, eine Schicht tiefer zu graben. So ist mittlerweile gut bekannt, dass der Namensgeber von Laviers Werkgruppe – Walt Disney – umgekehrt Erzeugnisse der bürgerlichen Hochkultur als geistigen Steinbruch für seine Produktionen genutzt hat. Schon Mitte der 1930er Jahre sammelte er alle ihm zugänglichen Informationen über europäische Künstler, deren Stile er verwerten konnte. Während einer Europareise, die ihn 1935 nach Frankreich, Italien, England, die Niederlande und die Schweiz führte, kaufte er rund 350 Bücher über Kunst (Caspar David Friedrich, Gustave Moreau, Pieter Brueghel d. J.) und Illustration (Gustav Doré, Honoré Daumier, Grandville). Darüber hinaus liess er sich von europäischen Märchen (Gebrüder Grimm) sowie dem Deutschen Stumm-Film (Fritz Lang, Paul Wegener, F.W. Murnau) inspirieren. So kam es, dass nahezu alle seiner Trickfilme massiv mit europäischer Kunst angereichert wurden – sie haben ihre verdeckten Wurzeln in der bürgerlichen Hochkultur.

Es wird deutlich: Laviers Werkgruppe ‹Walt Disney Productions› birgt eine grosse Komplexität und Vielfalt an wechselseitigen Bezügen. Die von Jana Jakoubek kuratierte Ausstellung bietet daher nicht nur das einmalige Erlebnis in eine kuriose und knatschbunte Comic-Welt einzutauchen. Machte das Museum of Modern Art, New York, ‹High and Low› schon 1990 zum Thema einer Ausstellung, ermöglicht das Kunstmuseum Luzern derzeit sowohl mit Bertrand Lavier als auch mit Claudia Comte einen bereichernden Einblick in den Dialog zwischen High und Low: j'adooore!   

Institutionen

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Kunstmuseum Luzern
Schweiz
Luzern
Luzern

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Bertrand Lavier

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Ausstellungen / Events

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Bertrand Lavier - Ausstellung Luzern Schweiz
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Luzern
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