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Boris Nieslony: Das es geschieht, Werkschau eines Halbruhigen

Ratingen — Boris Nieslony: leidenschaftlicher Performancekünstler und unermüdlichen Organisator, so kennt man ihn. Bis heute ist er als Performer weltweit gefragt und organisierte bisher 17 internationale Performance-Konferenzen auf verschiedenen Erdteilen. Man kennt ihn als Initiator der Gruppe Black Market International, die 1985 gegründet wurde, zu der ursprünglich sieben Künstler gehörten, deren Zahl jedoch mit der Zeit stieg, und die 1987 an der documenta 8 teilnahm. Roman Signer oder der tschechische Performer TomášRuller gehörten dieser Gruppe an. Wenn es um Performance geht, ist Boris Nieslony seit fast schon vierzig Jahren immer dabei. Seine Performances entstehen oftmals in Zusammenarbeit mit anderen Künstlern, denn um Austausch, um zwischenmenschliche Begegnungen geht es ihm, daher spricht er so oft vom „Zueinanderkommen“.

Jetzt hat ihm das Museum Ratingen unter der kuratorischen Leitung von Michael Stockhausen eine Werkschau ausgerichtet, die überrascht. Zwar kann man an einigen wenigen Monitoren dokumentarische Aufnahmen seiner Performances verfolgen, doch das Zentrum dieser Ausstellung bilden Collagen, Objekte, Installationen und sogar gemalte Bilder. Denn Nieslony studierte Malerei, zuerst in Berlin dann in Hamburg u.a. bei Gotthard Graubner. In Ratingen sind kleine blaue monochrome Bilder zu sehen, die in einem Labyrinth aus Säulen ausgestellt sind. Es geht um den Farbauftrag, die Dichte der Striche und um Farbnuancen. Die Bilder sind zwischen 1975 und 1980 entstanden. 1980 hörte Nieslony auf zu malen. Er wandte sich der Performance zu.

Die Ratinger Ausstellung fokussiert zwar die statischen Kunstwerke – doch immer wieder scheint der Performer Nieslony durch. Seit Jahren schneidet er Fotos aus Zeitungen und Zeitschriften aus. Sie ordnet er dann nicht nach Substantiven, sondern eben als Performancekünstler nach Verben. So folgt die im ersten Raum der Ausstellung gezeigte Fotoserie tragen, eine begrifflich/visuelle Untersuchungdem Verb „tragen“. Man steht einer Tafel aus sieben übereinander gereihten Folgen von sieben Fotos gegenüber. Die Serie beginnt mit schwangeren Frauen, die ein Kind austragen, es folgen Mütter und Väter, die Kinder tragen. Man geht der Serie nach und plötzlich, ohne dass man die Veränderung merkt, steht man Männern gegenüber, die Verletzte tragen. Wie ein Film entwickelt sich vor dem Auge des Betrachters ein Geschehen, das immer wieder neue Varianten zum Thema „tragen“ bietet. Es sind in Tradition von Aby Warburg bildspezifische Untersuchungen, die Nieslony, schon Jahre bevor sie die Bildwissenschaften populär machten, durchführte.

Im nächsten Raum dann liegt eine große weiße Plane auf dem Boden. Sie ist mit Sätzen, Worten, Daten und Literaturhinweisen bedruckt, sie alle beziehen sich auf den Kosmos der Performance. Das Ganze sieht aus wie ein wissenschaftliches Diagramm – kein Wunder, denn die Plane entstand zwischen 1999 und 2001 in der Zusammenarbeit mit dem Informatiker Gerhard Dirmoser. Inzwischen wird dieses Diagramm auch von Kunsthistorikern benutzt.

An den Wänden dann eine weitere Bildserie mit dem Titel Das Zueinander zwischen A-Z, die dem auf Jahre angelegtem Projekt Anthropognostisches Tafelgeschirrangehört. Hier werden alphabetisch angeordnete Begriffe von Zitaten und Bildern auf DIN A4 Bögen begleitet. A steht u.a. für Hannah Arendt, P beispielsweise für Plastikbeutel, Z für Zorn. Wichtig ist Nieslony bei S das Staunen, denn für ihn beginnt, wie schon der griechische Philosoph Platon schrieb, im Staunen das Nachdenken.

In den letzten Raum wurden drei blockhafte Holzregale eingebaut, die einige Ordner aus Nieslonys Archiv aufbewahren mit schier endlos weiterem Material. Das Archivarische ist ein wichtiger Teil seiner Praxis – und seines Lebens. Gründete, betreut und entwickelt er doch seit 1981 ein international besuchtes Archiv zur Performance-Kunst,Die Schwarze Ladegenannt, das in Köln-Poll für alle Interessierten geöffnet ist. In einer Ecke sind bearbeitete Fotos zum Thema Tod zu sehen, die der Frage nachgehen, welche Bilder von zerstörten Körpern dem Auge noch zuzutrauen sind?

Die Ausstellung in Ratingen macht süchtig nach Bildern, aber nicht in dem Sinne, dass man sie konsumiert, sondern dass sie die Wahrnehmung schärfen und die Differenzierung anregen. Man kann nur hoffen, dass bald weitere Ausstellungen folgen werden, die den Blick in Nieslonys scheinbar unendliche Wunderkammer des Bildes vertiefen: man kann nur hoffen, „das es geschieht“ – bald!

Anlässlich der Ausstellung entsteht ein Künstlerkatalog im Verlag StrzeleckiBooks: eine Archivbox mit Bildteil, Textband verschiedener Autoren, Film-Download und einer Bildersammlung des Künstlers von über 120 Abbildungen der „DIN A4-Kultur“, 25,90 €.

https://www.artblogcologne.com/boris-nieslony/

Institutionen

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Museum der Stadt Ratingen
Deutschland
Ratingen
Ratingen

Künstler:innen

Details Name Portrait
Boris Nieslony

Autor:innen

Details Name Portrait
Noemi Smolik

Ausstellungen / Events

Titel Datum Typ Ort Land Details
Boris Nieslony: Das es geschieht - Ausstellung Ratingen Deutschland
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Ratingen
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