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Cohabitation — Ein Manifest für Solidarität von Tieren und Menschen im Stadtraum

Berlin — Stadt einmal nicht (nur) aus Sicht der Spezies Mensch denken. Die im letzten Jahr verstorbene Kuratorin Marion von Osten gab den Anstoss für die jetzt von ARCH+ im ehemaligen Krematorium Wedding realisierte Ausstellung, die das Zusammenleben menschlicher und nicht-menschlicher Lebewesen neu betrachtet.

Als die in San Francisco ansässige Architekten- und Künstlergruppe Ant Farm 1973 ihr spielerisch-subversives ‹Dolphin Embassy› entwarfen, um auf «diplomatischem Weg» eine Verständigung zwischen Menschen und Delphinen in die Wege zu leiten, war dieses speziesverbindende Projekt ganz vom Geist der counter culture getragen. Und strahlte vor einer zukunftsoptimistischen Leichtigkeit. Doch die auf Hygiene pochende Moderne war auf Trennungen versessen, und so blieb das Projekt eine Utopie. Denn, wie Marion von Osten mit Bezug auf den Philosophen Fahim Amir polemisiert: Schon «in der athenischen Polis … ein Ort, zu dem weder Tiere, Pflanzen, Sklaven noch Frauen Zugang haben, sondern nur freie Anthroposse schlaumeiernd herumlungern», war die «Exklusion miteingeschrieben». Und so sind wir den «entscheidende[n] Schritt, den urbanen Raum auch als Habitat anderer Spezies zu begreifen», wie es auf der Website zur Ausstellung heisst, in den 1970er-Jahren nicht gegangen, haben das Co- nicht im Planungsrecht verankert. Wenn wir jetzt Inklusion nachholend vorantreiben, da sich der Mensch nur in der wechselseitigen Beziehung zu anderen Spezies entwickeln konnte und kann (Donna Haraway, Anna Lowenhaupt Tsing) – und diese Abhängigkeit auch anerkennen wollen –, dürfen wir die letzten Freiräume in der Stadt nicht spekulativen Interessen überlassen. Sondern müssen schützen, was von nicht-menschlichen Akteuren bereits gestaltet worden ist, und habitatgerechte Entfaltungsmöglichkeiten in der Stadtnatur mit einplanen (Animal-Aided Design).

«Cohabitation … heisst ‹Leben mit›, was nicht immer angenehm, unschuldig, schön oder frei von Gefahr ist, ‹Leben mit› befördert die Entwicklung von Nachbarschaften.» Mit wem man es zu tun hat, offenbart sich meistens erst mit der Zeit. Und so lassen wir uns zwar von der Schönheit der hellgrünen Papageienschar berauschen, die Cyprien Gaillard in der Innenstadt von Düsseldorf in Zeitlupe eingefangen hat, sollten uns aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Neozoen aus Gefangenschaft geflüchtet sind, mit einer Tendenz, sich über ein verträgliches Mass hinaus auszubreiten. Der sog. Mäusebunker, ein für die ‹Zentralen Tierlaboratorien der Freien Universität Berlin› errichteter brutalistischer Bau, ist Gegenstand vieler Kontroversen, die auch im Begleitprogramm wieder aufgegriffen werden. Nicht nur geht es um die Anerkennung als architektonisches Denkmal und die Weiternutzung als Kulturort, sondern auch um die Aufarbeitung seiner Geschichte als Ort der Verwertung tierischen Lebens. Etwas, das, wie die an den Rand der Städte verlegten Schlachthöfe – aus dem Auge, aus dem Sinn – zu gern verdrängt wird. Wie Solidarität mit streunenden oder wild lebenden Tieren aussehen kann, hat das Moskauer Urban Fauna Lab gleich dutzendfach skizziert: provisorische Unterschlupfe, die Menschen ihnen hingestellt haben, ein Akt der Fürsorge ähnlich den Gabenzäunen, wie sie in der Pandemie für Obdachlose eingerichtet worden sind. Dass Naturschutz aber auch ausschliessend sein kann, zeigt der «Dschungel von Calais»: Das provisorische, eigenen Gesetzen gehorchende Flüchtlingslager wurde nach seiner Räumung zum Naturschutzgebiet erklärt – und ist nun kein Ort für die menschliche Spezies mehr. 

 

Mit u. a. Alicia Agustín; Moritz Ahlert & Alsino Skowronnek; Fahim Amir; Animalesque; Animali Domestici; Ant Farm; Sammy Baloji; Babi thinkers; Arno Brandlhuber; Marcel Broodthaers; Carson Chan; Club Real; Theo Deutinger / Shelia Jap / Charlotte Kaulen / Pia Prantl / Nikolas Susanto; Ines Doujak; Finn Rabbitt Dove; Marc Frohn / Professur R+ / KIT; Cyprien Gaillard; Thomas E. Hauck; Candida Höfer; Ina Hsu; Kolbeinn Hugi; Krõõt Juurak & Alex Bailey; Faiza Ahmad Khan & Hanna Rullmann; Daniela Kinateder; Ann Sophie Lindström; Maissa Maatouk; Marcus Maeder; Zoë Mc Pherson; László Moholy-Nagy; OLA – Office for Living Architecture mit GTLA/TU München; Daniel Poller; Yan Wang Preston; Cord Riechelmann; Ben Rivers; station+ / D-ARCH, ETH Zürich; Sunaura Taylor; Urban Fauna Lab; WORKac.

 

Silent Green, bis 4.7.mit umfangreichem Begleitprogramm bis Herbst 2021

www.cohabitation.de

Die begleitende Themenausgabe von ARCH+ erscheint im Frühjahr 2022.

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Miriam Wiesel

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