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Gustav Metzger – Niemand kann behaupten, es nicht gewusst zu haben

Eine kleine, feine Ausstellung des Künstlers, Kurators und Gustav Metzger-Experten Mathieu Copeland wirft zurzeit in den zwei Ausstellungsräumen des kollektiv betriebenen Kunstraums Circuit in Lausanne Licht auf die ungebrochene Dringlichkeit der Anliegen des Lebenswerks des letztes Jahr im Alter von 91 Jahren verstorbenen Malers, der sich jedoch seit seiner Entwicklung der sich selbst durch natürliche Prozesse oder eingebaute Techniken wieder zerstörenden Kunst 1959 für gut vier Jahrzehnte jedoch Pinsel und Farbe entsagt hatte. Vergeblich hält man beim Ankommen in der auf ‹Werke auf Papier› konzentrierten Schau denn auch nach handwerklichen Zeichnungen und Collagen des Künstlers Ausschau. Copeland ist gerade nicht auf etwaige Beispiele aus solchen Korpussen eingegangen. Er hat das Genre ‹Werke auf Papier› vielmehr von den Installationen Metzgers ab 1959 aus industriell für den Konsum gefertigten und damit ephemeren Produkten aus Papier in die Küche des Künstlers zurückbuchstabiert: Bestehend aus der Akkumulation eines Archivs und der Fabrikation von Schriften, war diese natürlich auch papiergebunden! 

Der Boden des ersten sich L-förmig um den Empfang herum erstreckende Raums von Circuit ist dicht von hochrechteckig wie Stelen disponierten Fernsehkartons besetzt, durch welche man sich seinen Weg selbst bahnen muss, während seine Wände da und dort tapetenartig durch vergilbte und zerfressene Zeitungen beschlagen sind. Bei der ersten Installation handelt es sich um die nach der Kunsthalle Basel 2006 zweite Wiederherstellung ‹In Memoriam› mit neuen Kartons der 1959 der erstmals im Keller des vom Künstler Brian Robins geführten Kaffees The Farm gezeigten Arbeit ‹Cardboards›, in denen Metzger die schönsten von der Industrie- und Konsumgesellschaft erzeugten Formen erkannte. Die zweite Installation ist mehr nur eine Anspielung mit Zeitungen von 1960 eines Werks, das Metzger für die erste und einzige Fluxus-Ausstellung in London in der Gallery One in diesem Jahr vorgesehen hatte, aber von Robert Filliou, Daniel Spörri und Ben Vautier abgelehnt wurde. So wollten sie nicht jeden Tag, wie es Metzger vorsah, sämtliche Wände mit den neu herausgegebenen Zeitungen bedecken.

Die Obsession Metzgers für die damals erstarkenden Massenmedien sollte sich in den nächsten Jahren noch verstärken, worauf die Installation in der linken Hälfte des zweiten Saales verweisen, die der Künstler zwischen 1972 und 2010 anlässlich immer wieder neuer Aktivierungen entwickelt hat und im Wesentlichen von aktuellen Zeitungen lebt. Einerseits stehen diese in Bündeln auf Paletten wie ein Kenotaph im Raum, andererseits liegen sie zusammen mit Scheren und Reissnägeln frei auf Tischen herum und zwar unter Moltonwänden mit darüber angebrachten Anweisungen, Artikel auf sie zu pinnen, die entweder von der Zerstörung von Lebensarten und Lebensräumen handeln oder von philanthropischen und ökologischen Anstrengungen zeugen. 

Im rechten Teil des zweiten Saales wird hingegen äusserst schmerzhaft die Entwicklung des Denkens und Wirkens von Metzger deutlich, der 1939 mit dem sogenannten Kindertransport von Deutschland nach England kam, während seine Eltern später in den Gaskammern umkamen. In einer bibliotheksartigen Vitrinie ist die von ihm zum Fassen des Unfassbaren obsessiv gesammelte Propaganda der Nazis bis zu Adolf Hitlers ‹Mein Kampf› enthalten. In tischartigen Vitrinen finden sich seine Schriften aus den fünfziger, sechziger Jahren, in denen er die radikale Abkehr von für das Sammeln von Betuchten produzierten Objekten zugunsten einer öffentlichen und zur Teilnahme auffordernden Kunst vollzieht und die ersten diesen neuen Ansprüchen genügenden Werke entwirft. Metzger sah eine schreckliche Kontinuität am Werk vom Holocaust über die Entwicklung und Anwendung immer neuer Massenvernichtungswaffen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs bis zur exponentiellen Vernichtung von immer mehr lebendiger Natur in den letzten vierzig, fünfzig Jahrzehnten. Erzeugen seine sich drastisch wieder auflösenden Werke Analogien dieser destruktiven Vorgänge, bringen seine die Massenmedien einbeziehenden Arbeiten nicht nur schlagende Antithesen gegen das Nichtwissen hervor. Vor allem die letzte Version der Installation ‹Mass Media›, 2010, ist auch als offenes Gefäss für die Aufnahme von gangbaren Wegen aus der Logik der Zerstörung angelegt.

Institutionen

Titel Land Ort Details
Circuit
Schweiz
Lausanne
Schweiz
Lausanne

Künstler:innen

Details Name Portrait
Gustav Metzger

Ausstellungen / Events

Titel Datum Typ Ort Land Details
Gustav Metzger - Ausstellung Lausanne Schweiz
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Ausstellung
Lausanne
Schweiz