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Lyonel Feininger – Leben und Werk im Spiegel der Druckgrafik

Vevey/VD –Feininger (1871–1956) erblickte das Licht der Welt in New York und verstarb in New York. Dazwischen hat er mehr als fünfzig Jahre in Europa gelebt, woher seine Eltern, beide Musiker, stammten. Sie hatten ihn 1887 zur Aufnahme eines Musikstudiums auf eine Konzertreise nach Deutschland mitgenommen. Hamburg und Berlin sollten aus der Mehrfachbegabung jedoch erst einmal einen berühmten Illustrator und Karikaturisten machen, während ihn Paris nach und nach zu einem Leben als Künstler beflügelte. Bereits bei seinem ersten Aufenthalt an der Seine 1892 zeichnete er ausgiebig nach der Natur – beziehungsweise die schiefen, morschen Altstadthäuser  und ihre schwindelerregenden Aufbauten in den Quartieren, die nicht dem Urbanismus von Haussmann zum Opfer gefallen waren. Daneben aber auch dessen so stolzes wie kaltes Paris. Bei seinem zweiten Aufenthalt 1906–1908 verarbeitete er solche Eindrücke erstmals zu persönlichen Visionen in Öl auf Leinwand sowie zu Lithografien und Radierungen. Erst die persönliche Übergabe von sechs Gemälden an den „Salon des Indépendants“ 1911 sollte ihn jedoch durch die Begegnung mit dem Kubismus und Orphismus zu seiner reifen Formsprache führen. 

Von ihm selbst als „Prismismus“ bezeichnet, setzte sein Stil auf eine subtile Auffächerung des Motivs wie auch des atmosphärischen Hintergrunds und sicherte ihm fortan in Deutschland einen Platz in der Avantgarde. 1913 konnte er am „Ersten Deutschen Herbstsalon“ in Herwarth Waldens Galerie Der Sturm erstmals ein Bild verkaufen, und er stellte auch fortan im Umfeld von Künstlergruppen wie Die Brücke und Der Blaue Reiter aus. 1918 war er selbst ein Gründungsmitglied der Künstlergruppe November,  die nach der in Deutschland die Monarchie beendenden Revolution benannt war. Vor allem aber berief ihn 1919 Walter Gropius als ersten „Formmeister“ ans Bauhaus und verwendete seinen Holzschnitt „Die Kathedrale der Zukunft“ als Frontispiz des Manifests der Atelierschule. Als reine Allegorie ist dieser Druck jedoch eine rare Ausnahme im Werk des Künstlers geblieben, das im Wesentlichen noch romantisch die Realität überhöht und verklärt und nicht rein abstrakt oder analytisch ist.

Heraus aus dem Schatten von Jahrhundertfiguren

Deshalb blieb Feininger wohl auch im Schatten der Jahrhundertmaler wie Kandinsky und Klee oder selbst einem Alexei Jawlenski, obschon er mit diesem Trio in Weimar und später in Dessau fast täglich zu tun hatte und im Übrigen ab 1924 unter der Bezeichnung „Die blaue Vier“ von der Malerin, Kunsthändlerin und Pädagogin Galka Scheyer bis in die Vereinigten Staaten ausgestellt wurde. In der Schweiz allerdings, die Feininger nur einmal auf der Durchreise querte, war sein Werk bisher monografisch noch kaum zu sehen.

Immerhin war es im Bauhaus-Jubiläumsjahr 2019 dem Kunsthändler Achim Möller, der auch für das Werkverzeichnis von Feininger verantwortlich zeichnet, gelungen, mit einer den Seestücken des Künstlers gewidmeten Schau „E velo spiegate“ (Auf grosser Fahrt) im Museo Castello San Materno in Ascona dem Künstler auch in der Schweiz Anerkennung zu verschaffen. Jetzt aber, zum 150. Geburtstag von Feininger, hat Möller mit dem waadtländischen Cabinet cantonal des estampes im Musée Jenisch Vevey anhand einer jüngeren Schweizer Privatsammlung eine weitere Ausstellung erarbeitet. Sie bietet einen Streifzug durch die Druckgrafik, in der – betitelt mit „La ville et la mer“ (Die Stadt und das Meer) – auch zwei andere grosse Themen des Künstlers aufblitzen, die menschliche Figur und noch und noch Architektur. 

Destillat auf Japanpapier

Die Schau bietet damit ein wunderbares Destillat von Feiningers Leben und Werk auf Japanpapier und zwar mit dem Pavillon de l’Estampe in einem einzigem Saal, was auch ein fröhliches Vor- und Zurückspringen auf der Zeitlinie erlaubt. Bemerkenswert ist darüber hinaus, dass die Blätter von ausgewählten Beispielen der anderen von Feininger genutzten Medien begleitet sind. Ausgespart blieb nur die spektakulären Fotografien von New Yorker Hochhäusern und Strassenfluchten, mit denen Feininger in hohem Alter nochmals an seine Innovationskraft in der Illustration und Karikatur und dann in der Malerei, Zeichnung und Druckgraphik anknüpfen konnte. 

Die Ausstellung endet eindrücklich mit Erinnerungsbildern an die deutsche Wahlheimat, deren Verlust er noch Jahre nach seiner Emigration 1937 nach New York zutiefst beklagte und betrauerte. Wie dies in der jüngsten Biografie von Andreas Platthaus erstmals breiter dargestellt worden ist, hatte Feininger in den Zwanziger- und frühen Dreissigerjahre Deutschland noch chauvinistisch gefeiert und wollte die braune Gefahr erst sehen, als die Nationalsozialisten den Alltag für seine zweite jüdische Ehefrau, die Malerin Julia Berg, und die drei Söhne immer schwieriger machten und ihn als entarteten Künstler zu verfemen begannen. Feiningers erste Frau, die Pianistin Clara Fürst, die mit einer der beiden Töchter in Deutschland geblieben war, kam 1944 als „Geltungsjüdin“ in Auschwitz um das Leben.

Der fliessende Übergang vom Kunsthandwerker zum Künstler

Die Ausstellung in Vevey zeigt mit der Vielzahl der Medien eindrücklich, wie die Arbeit von Feininger als Karikaturist und Illustrator in seinem frühesten Kunstschaffen unvermittelt wieder auftaucht. So erreichte Feininger schon in seinen Beiträgen für die Presse und für Bücher durch ein kühnes Spiel mit den Perspektiven und den Proportionen eine Heroisierung der Menschen und ihrer architektonischen und technischen Leistungen. Doch prangerte er in diesen Medien auch den Hochmut und die Habgier der Epoche an, während er sich im künstlerischen Schaffen solch kritischer Töne zu Wirtschaft und Gesellschaft enthielt. Gewisse Motive der Illustration und Karikatur erscheinen zwischen 1906 und 1911 auch in Zeichnungen und Gemälden, in Lithografien und Kupferstichen, doch weisen sie neben einer expressiven Kolorierung auch eine klare Tendenz zur Vereinfachung auf.

Von 1915 an findet sich prismistische Druckgrafik. Erst ab 1918 sah Feininger im Holzschnitt jedoch die Technik, die ihm das Experimentieren mit dem Hell-Dunkel-Kontrast am effizientesten erlaubte. Spannend ist, wie konsequent er in den ersten Jahren einerseits mit Strichen und andererseits mit Flächen arbeitete, um dann auf dritten Blättern beide Ansätze zur Synthese zu bringen. Weiter hat sich auch seine kurzzeitige Beschäftigung mit der Kinderzeichnung in den frühen Zwanzigerjahren besonders im Holzschnitt niedergeschlagen. Die Präparation von Holzplatten – auch als Leiter des Druckgrafikateliers bis zum Ende des Bauhauses am Standort in Weimar 1926 – mag ihn auch zum Schnitzen seiner Lieblingsmotive bewogen haben. Ein Höhepunkt der Ausstellung im Musée Jenisch ist zweifellos die Vitrine, in der diese von ihm bis 1955 fortgesetzten Arbeiten zu einer putzigen Stadt mit Hafen arrangiert sind. 

Dampfer und Kähne, Städte und Dörfer

In der Nachkriegszeit kehrte Feininger den Metropolen überraschend den Rücken und zwar zugunsten der noch vom Mittelalter geprägten Dörfern und Kleinstädte in der ländlichen Umgebung von Weimar oder an der Ostsee, wo er regelmässig die Sommerfrische verbrachte. Besonders die Kirche von und das Tor von Gelmeroda wurden zu Modellen, anhand derer er, ähnlich wie Cézanne anhand des Mont-Ventoux, seine Formsprache abermals verfeinerte und vertiefte. Ihm schob jedoch notabene auch vor, das Prinzip der Fugen von Bach mit ihren Variationen zu einem Thema in der bildenden Kunst umzusetzen. Dabei ergänzte oder ersetzte er – wie im Übrigen auch in den Schnitzfiguren – den prismistischen Stil zunehmend durch eine faszinierend von einem Standpunkt zum anderen überfliessende oder kurvige Perspektive. 

Gleichzeitig inspirierten ihn die unendlichen Räume am Meer zu Aquarellen und Lithografien, die in ihren ätherischen Qualitäten, obschon sie nach wie vor auch Realität abbilden, bereits die Farbfeldmalerei ohne klare Umrisse der Vierziger bis Sechziger Jahre vorwegnehmen. Nach dem Zweiten Weltkrieg strebte die Kunst jedoch nach immer grösseren Formaten. Die im Musée Jenisch versammelten Objekte von Feininger bezaubern die Augen noch heute mit ihrer Ausstrahlung, die hier von einigen wenigen Quadratzentimetern Farbe auf Papier, Leinwand oder Holz ausgeht. 

Institutionen

Titel Land Ort Details
Musée Jenisch Vevey
Schweiz
Vevey
Vevey

Künstler:innen

Details Name Portrait
Lyonel Feininger

Ausstellungen / Events

Titel Datum Typ Ort Land Details
Lyonel Feininger — La ville et la mer - Ausstellung Vevey Schweiz
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Ausstellung
Vevey
Schweiz