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Sarah Bovet, Laura McGlinchey, Nina Rodin – Elles disent qu’elles sont peintres

Nyon - Der grosse Raum unter dem Sheddach der ehemaligen Fabrik Stellram in Nyon, die jetzt von der Fondation Esp’asse mit ehrgeizigen Bauplänen gleichzeitig zu einem Kulturzentrum, einer Wohnsiedlung und einem Geschäftsbezirk entwickelt wird, hat im letzten Jahr über dreissig Kunstschaffenden aus der ganzen Welt nach dem Residenzmodell von Nina Rodin (*1972 Kopenhagen; Trélex) als Arbeits- und Lebensort gedient. So stellt die vor der Absolvierung der Slade School in London als Neurowissenschaftlerin promovierte Künstlerin und Kuratorin seit sieben Jahren in dem gewalmten Dachstock des von ihr und ihrer Familie bewohnten Waadtländerhauses in Trélex gratis verschiedenartige Ateliers zur Verfügung, für die man weder ein Dossier noch ein Projekt einsenden muss. Nach dem Prinzip «first come, first serve»  wird eine über das Internet zugängliche Auslastungsliste geführt, in die man sich nach der Vorreservation binnen Tagen durch den Nachweis der Fahrkarten und einer Akzeptanz der Hausregeln definitiv eintragen kann. 

Selbstermächtigung, Individualität und Originalität
Nina Rodin ist in ihrer eigenen künstlerischen Arbeit wie auch bei dieser Förderung nicht zuletzt an dem Moment der Selbstermächtigung interessiert, der einen Menschen in einen Kunstschaffenden verwandelt, obschon alle grundsätzlich zur Kreativität «verdammt» sind. Immer wieder ein Fragen und Staunen zugleich ist es für sie dabei, wie sich der Anspruch auf Individualität und Originalität trotz ähnlichen Anlagen in jedem Menschen wie auch einem doch nur beschränktem Theorie- und Praxisreservoir im Kunstwerk doch irgendwo zwischen seiner Makro- und Mikroebene, gewichtigen Entscheidungen und winzigen Setzungen, immer wieder einzulösen vermag.

Um ähnliche Fragen dreht sich nun auch die der Finissage der Trélex Esp’asse Residency bereits am 29.10. noch spontan nachgeschickte Ausstellung ‹Elles disent qu’elles sont peintres›, die im Laufe dieser Woche ihrerseits bereits wieder sukzessive abgebrochen wird. Ausgangspunkt davon war, dass es niemand das erst am letzten Tag der Residenz in situ fertig gewordene Werk der schottischen Malerin Laura McGlinchey (*1990, Liverpool; Glasgow) sogleich wieder abräumen und wegwerfen mochte. Nicht nur imponiert die schiere Grösse (3.4 x 6.4 x  4.3 m), zu der es in der Mitte in dem Raum unter dem Sheddach in gut sechs Wochen angewachsen ist, der den je auf einmal sechs Teilnehmer/-innen an der Trélex Esp’asse Residency dank Schall und Licht abweisenden Schrankbettkästen ebenso als Dormitorium wie Werkstatt diente. Es war schlicht und einfach überwältigend, wie McGlinchey mit Papierschnipseln und Schnurstücken aus dem Abfall plus Mehl, Wasser und Acrylfarbe durch ein beständiges Oszillieren zwischen Verspannungs-, Unterlage und Oberflächen-Arbeit ein Gemälde in einer amöbenhaft auskragenden und eingebuchteten Gestalt hervorgezaubert hatte, deren Haut ähnlich wie eine Lunge oder ein Magen mit all ihren Verästelungen schier unendlich geworden waren.

Prekarität
Kunsthistorisch ist dies vielleicht sogar bemerkenswert. So hat die Malerei trotz der bekannten Ansätze von Minimalisten/-innen und Postminimalisten/-innen in den Vereinigten Staaten, Skulptur und Malerei zu verbinden und in den gesamten Innen- und Aussenraum zu tragen, doch noch bis heute letztlich eher die Tendenz, die verschiedenen klassischen Prozesse auseinander zu dividieren und voneinander zu separieren, statt so fröhlich ineinander fliessen zu lassen. Dabei war es nichts anderes als Prekarität, die Laura McGlinchey auf die Sprünge brachte, dass es auch dialogisch mit jeweils ungewissem Ausgang gehen könnte. Gerade für noch etwas Farbe, aber keine Leinwände und Keilrähmen mehr reichten die Mittel der Malerin tatsächlich nach dem Studium aus. Um ihren Beruf  weiter auszuüben, begann sie deshalb aus möglichst stabilem, organischem Abfall aus Büros und Läden wie eben Papieren, Schnüren und Nahrungsmehlen mit dieser Farbe und Wasser zu erst wuchtigen und dann immer ausufernderen, verzoteten und verporten Gemälden zu verbinden und zu verkleben.

Obsession
Um das nun in Nyon entstandene Meisterwerk ‹The Nature of the Beast› von Laura McGlinchey geben in dem sonst inzwischen von Bettkästenschränken wie auch Stellwänden und Tischplatten befreiten Raum geben nun jedoch auch noch Sarah Bovet (*1990 Nyon; Nyon) und Nina Rodin einen Einblick in ein Werk in ihre Arbeit, die sich ebenso durch einen obsessiven  Ansatz auszeichnet, eine mehr oder weniger klar als malerisch definierte Geste neben oder über die andere zu setzen und so ein Gemälde eher von innen als von Aussen her entstehen zu lassen. Wie selbstverständlich wird auch bei ihnen so Malerei in alle Richtungen überformt oder unterlaufen. Der Titel der Ausstellung ‹Elles disent qu’elles sont peintres› ist jedoch gewiss auch als Allusion auf die Tatsache zu verstehen, dass es nach wie vor eine gewisse Kühnheit verlangt, sich als Frau mit den gleichen Ambitionen wie ein Mann in dieses Feld zu begeben, zumal das spätere 20. und frühere 21. Jahrhundert mit seiner Freud und Lacan vulgarisierenden Gleichsetzung von Pinsel und Penis etwa nicht weniger absurde Argumente erfunden hatte, Frauen in dieser Tätigkeit auf dem Kunstmarkt und in der Ausstellungsarena der Gegenwart keine Chance zu geben, wie es in früheren Jahrhunderten in anderen, wenn auch glücklicherweise nie allen Kontexten geschehen war und diesbezüglich nach wir vor viel zu entdecken ist.

Von Bäumen und Menschen
Von Nina Rodin sind Videos, Fotos und Requisiten eines Werks zu sehen, das sie aus der Wahrnehmung eines inmitten des Amazonas verwendeten Plastikstreifen wie als Pinselstrich entwickelt hat. Sie fand heraus, dass dieses Material von einer kalifornischen Firma in über neunzig grellen Farben und Mustern hergestellt wird und rund um die Welt bei der Bewirtschaftung von Wäldern zur Bezeichnung von Bäumen eingesetzt wird, auf denen zu einem bestimmten Zeitpunkt Früchte oder Samen geerntet oder die kurz und gut gefällt werden sollten. Durch ihre Verwandlung in auf den ersten Blick wie Festschmuck wirkenden Bänder für Stämme und Äste für die Bäume wie auch in Vorhänge und Kleidungen gelingen ihr Bilder, welche die Problematik der nach wie vor grundsätzlich positiv bewerteten Steigerung der Produktion und Konsumation eindringlich vor Augen führen. Trotz seines Knallens und Hallens wirkt dieser ganze Putz aufgrund der petrochemischen Künstlichkeit von Farbe wie Material, die man riechend und tastend unweigerlich erfährt, plötzlich nur noch wie ein Trauerflor. Man kann die Interpretation dieser Bezeichnungen der Bäume zu ihrer Bewirtschaftung und Beseitigung vor dem Hintergrund der immer existentielleren Bedrohung durch die Transformation und Elimination von Wäldern vielleicht sogar bis zu einer Parallele mit den in Konzentrationslagern zur Bezeichnung der dort wie Vieh eingesperrten Menschengruppen mit Wimpeln und Sternen erweitern.

Lebendige Topografien
Von Sarah Bovet, die als Grafikerin und Illustratorin eine sehr saubere und kühle Sprache pflegt, sind dagegen drei klassische Leinwände auf Keilrahmen ausgestellt, auf denen aber gerade jede richtige Farbe fehlt. Das Bildgeschehen reduziert sich hier vielmehr ganz und gar auf das in der Malerei indes seit der Urzeit im Zentrum stehende Auftragen und Ausbreiten von kohlrabenschwarzen oder ockeren Flüssigkeiten auf einen Grund, auf dem diese Platz nehmen und trocknen können, so dass sich Betrachtern/-innen unter Umständen noch Jahrhunderte später etwas von der Sensibilität und der Mentalität des/-er Urhebers/-in eröffnet. Die Gesten von Sarah Bovet wirkend dabei ebenso blind, spontan und emotional, einem persönlichen und momentanen Rhythmus genügend, wie fein auf die Dimension der Unterlage eingependelt und abgestimmt. Zusammen formen sie optisch vorwölbende und zurückspringende Topografien, die an die Muster von Pflastersteinen auf den für den Abfluss des Wassers nie topfeben gebauten Strassen und Plätzen erinnern.

Institutionen

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FONDATION ESP'ASSE
Schweiz
Nyon
Nyon

Ausstellungen / Events

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Elles disent qu’elles sont peintres - Ausstellung Nyon Schweiz
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Ausstellung
Nyon
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