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Werkschau Kanton Zürich 2022 — Nadia Hauri

Das Atelier der jungen Künstlerin wirkt aufgeräumt und strukturiert. Helles Tageslicht fällt durch grosse Glasfenster, während die von der Strasse wahrnehmbare Geräuschkulisse vom dynamischen Treiben des Zürcher Hardquartiers zeugt. 

Die Liegenschaft, erklärt Nadia Hauri, gehört zum «Projekt Interim» – ein Unternehmen, das durch die Zwischennutzung leerstehender Immobilien schweizweit bezahlbaren Arbeitsraum schafft. Hier teilt sie sich in einer Ateliergemeinschaft die Räumlichkeiten des Erdgeschosses. Um ihre Projekte und das Leben finanzieren zu können, arbeitet die Künstlerin neben ihrem Masterstudium einen Teil der Woche in einem Büro. Wann immer möglich, widmet sie ihre Zeit jedoch ihren teils monumentalen Skulpturen. 

Im Zentrum von Hauris Kunst steht die Faszination für die physikalische Beschaffenheit und die spezifische Oberflächenstruktur des bearbeiteten Materials sowie dessen emotionale und assoziative Aufladung. Die medizinischen Grundkenntnisse ihrer Erstausbildung als Pharma-Assistentin sensibilisierten Hauri für die Funktion des menschlichen Körpers. Über das Medium der Fotografie fand sie schliesslich Zugang zu einer Materialsprache, die ihre heutigen Skulpturen auszeichnet. Durch sichtbare Spuren des Schaffensprozesses und die Transformation von Materialoberflächen lässt Hauri massiven Beton lieblich und poetisch erscheinen, während die dünnen Profile die Fragilität des sonst als hart wahrgenommenen Stahls betonen. Werkdimensionen und dramaturgische Kompositionen ihrer Arbeiten fordern zu einer körperlichen und emotionalen Auseinandersetzung mit dem Material auf, welche die Künstlerin unter dem Begriff der «Materialpsychologie» zusammenfasst. «Material ist eine sehr emotionale Sache», so Hauri. «Dies sieht man häufig bereits in kleinsten alltäglichen Dingen […]. Jeder von uns hatte schon einmal ein Erlebnis mit einer Materialität, die uns lange begleitete und Erinnerungen respektive damit verbundene Emotionen hervorrief.» Aber auch auf metaphorischer Ebene lassen sich in ihrer Arbeit psychologische Analogien ziehen. «Beispielsweise ist Zinn – ein Material, das ich gerade neu für mich entdeckt habe – ein sehr weiches Metall», führt Nadia Hauri aus. «In seiner reinen Form entsteht beim Biegen ein Geräusch – der sogenannte Zinnschrei. Das Geräusch, die Ausreizung der materiellen Flexibilität bis hin zum Punkt, an dem er bricht, finde ich sehr interessant. Auf die menschliche Psyche übertragen stellt sich hier beispielsweise die Frage, ab wann etwas zu viel ist.» Nadia Hauri weiss, wovon sie spricht, denn der «körperlich und psychisch anstrengende» Schaffensprozess ihrer Objekte lässt die Künstlerin oft selbst an ihre Grenzen stossen.

Die für die Werkschau entwickelte Arbeit kennzeichnet gleich mehrere Premieren in Nadia Hauris Œuvre. So tritt anstelle der Industriematerialien ein Stab aus mit Kunstharz gemischtem Lavendelquarz. Dieser löst in seinem kräftigen Kolorit die bislang Hauris Kunst bestimmende neutrale, oft dunkle Farbigkeit ab. Auch die Tatsache, dass sie für Verarbeitung des Quarzes mit der Kunstgiesserei St. Gallen zusammenarbeitet, ist neu für die Künstlerin. «Diese Realisation ist ein spannender Moment für mich», verrät sie. «Obwohl ich elementar in den Prozess involviert bin, frage ich mich oft, ob und wie diese Zusammenarbeit die Beziehung zu meiner Skulptur beeinflussen wird. Vielleicht berührt es mich auch gar nicht und ist schlussendlich ja sogar eine Erleichterung, – wer weiss.» 

Rani Magnani studierte Ur-und Frühgeschichte, Kunstgeschichte sowie Museumswesen in Münster, Paris, Bern, Berlin und schloss mit MA Kunstgeschichte ab. Sie ist als freischaffende Kunsthistorikerin und Autorin tätig.

Künstler:innen

Details Name Portrait
Nadia Hauri

Autor:innen

Details Name Portrait
Rani Magnani