Florian Germann — raised by dogs

Florian Germann · Untitled, 2020, Farbstiftzeichnung, A3, Courtesy Galerie Gregor Staiger, Zürich

Florian Germann · Untitled, 2020, Farbstiftzeichnung, A3, Courtesy Galerie Gregor Staiger, Zürich

Besprechung

Was geben die klassischen Kunstgattungen in den 2020er-­Jahren noch her? Wo verlaufen etwa die Grenzen der Skulptur zwischen Installation und Performance? Eine Antwort liefert Florian Germann. Die Galerie Gregor Staiger gibt einen spannenden Einblick mit ihrer dritten Solo-Show des Künstlers.

Florian Germann — raised by dogs

Zürich — Stellen Sie sich vor, Sie wären ein Hund. Sie laufen mit seinen Augen durch die Welt. Was sehen Sie? Der Zürcher Künstler Florian Germann hält sich, weil es sonst im Atelier vielleicht doch zu einsam wird, einen solchen vierbeinigen Freund. Mit diesem hat Germann sicher eines gemeinsam: eine Spürnase und zudem ein experimentelles Verhältnis zu Welt, das ein «Was-wäre-wenn» zum Arbeitsprinzip erklärt.
Schlüssel zu Germanns Ausstellung ‹raised by dogs› ist die fünfteilige Serie ‹Untitled›, 2020: DIN-A3-grosse monochrom-gelbe Farbstiftzeichnungen – ein Käuzchen, eine Katze, Hummer, Krabbe, ein Haufen Würmer –, die aus der Hundeperspektive gezeichnet sind, wie Germann augenzwinkernd erklärt. Der kreischenden Katze ist es sofort anzusehen. Die Tiere sitzen nicht ausgewogen im Blatt, der Farbstrich wirkt ungelenk. Auf die gelungene figurative Form im landläufigen Sinn kommt es dem Künstler auch gar nicht an. Das Bestiarium aus dem Hundeblick steht vielmehr für Germanns Konzept, neue Perspektiven auf Vorgänge und Materialien zu gewinnen. Mit den Tieren im Auge erscheinen den Betrachtenden auch die weiteren Arbeiten im Saal, die zwei Werkgruppen ‹Untitled›, 2020, aus transparentem hartem Bio-Harz, auf einen Schlag wie zoomorphe Figuren, Mollusken oder Seetang-Schoten aus der Tiefsee. Dabei sind diese zunächst konkrete Arbeiten an der Wand oder an diese gelehnt, ohne jede Abbildfunktion. Will uns eine halbierte Bowlingkugel an der Wand (‹Untitled, Bowling Ball›, 2020) an diese Ebene seiner Arbeit erinnern, gleichsam als Antidot zu den Tierreich-Assoziationen? Wohl ja, denn sie ist nicht bloss Objet trouvé, sondern offenbart als Werkstück unter ihrer Gummischale die feine Maserung eines Kalksteins.
Damit ist ein Kerngeschäft Germanns angesprochen: Materialaneignung und Gestaltänderung, die er mit alchemistischer Akribie in seinen skulpturalen Wand­arbeiten in verwirrender Schönheit vorführt. Zwei Reliefplatten biegen und bauschen sich ungestüm in den Raum, Benzinpigmente färben in zartes Rot und Violett das durchsichtige Harz, in das Germann im Härtungsprozess Magnete eingeführt hat, um die Färbung zu manipulieren. Er stösst einen Prozess an und sieht zu, was passiert. Germanns Skulpturen entstehen durch kalkulierten Zufall. Die noch nicht ganz ausgehärteten Harzplatten legt er auf Metallskelette und Maschinenteile, sodass auch die Schwerkraft einen Teil der Arbeit übernimmt und den Werken die finale, nicht vorhersehbare Form verleiht. Die Dinge führen ihr Eigenleben. – Womit wir wieder bei der Hundeperspektive wären.

Until 
23.01.2021

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