Komödie des Daseins — Eine Kunstgeschichte des Humors

Komödie des Daseins, Ausstellungsansicht Raum ‹Sinnspiele›, Kunsthaus Zug, 2018. Foto: oliverbaer

Komödie des Daseins, Ausstellungsansicht Raum ‹Sinnspiele›, Kunsthaus Zug, 2018. Foto: oliverbaer

Meret Oppenheim · Maske mit Bäh-Zunge, ohne Datum © ProLitteris

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Anonym, Pope-Devil, ca. 1600, Museum Catharijneconvent, Utrecht

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Ai Weiwei · Perspektive, 2000, Sammlung Urs Meile

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Made in Catteland, 2018, Porzellanglühbirne, Multiple, Museumsshop Kunsthaus Zug. Foto: oliverbaer

Made in Catteland, 2018, Porzellanglühbirne, Multiple, Museumsshop Kunsthaus Zug. Foto: oliverbaer

Fokus

In der Kunstgeschichte wurde Humor bisher erstaunlich wenig erörtert. Matthias Haldemann, Direktor Kunsthaus Zug, widmet dem Thema eine Sonderausstellung unter dem Titel ‹Komödie des Daseins›. Zu sehen sind über dreihundert Exponate, die -erheitern, aber auch irritieren – gelegentlich bleibt einem das Lachen im Hals stecken. 

Komödie des Daseins — Eine Kunstgeschichte des Humors

Bruggmann: Die Sonderausstellung ‹Komödie des Daseins› ist umfangreich. Vertreten sind so bedeutende Kunstschaffende wie Brueghel d. Ä., Cattelan, Cranach, Goya, Daumier, Duchamp, Picasso, Signer, Ai Weiwei und viele weitere. Die Schau wurde in jahrelanger Forschungsarbeit entwickelt. Wie lassen sich forschungs-intensive Langzeitprojekte mit ökonomisierten Museumsstrukturen vereinen?
Haldemann: Das Museum soll heute nicht primär forschen, sondern Ausstellungen organisieren und Kunst breit vermitteln. Doch das Forschen gehörte einst zu seinen Hauptfunktionen, das sollte auch heute so sein, nicht zuletzt wegen der besonderen Nähe zu den Werken. Oftmals ist das aber nur noch mit sehr viel Einsatz möglich, quasi «zwischen den Zeilen».

Bruggmann: Wie war das bei der ‹Komödie des Daseins›?
Haldemann: Anfangs ahnte ich nicht, dass es sieben Jahre bis zur Ausstellungseröffnung dauern würde! Zum Glück geniessen wir Vertrauen von Seiten des Vorstands. Unser kleines Museum wäre personell und finanziell allerdings nicht in der Lage gewesen, diese Foschungsarbeit allein zu leisten. Es brauchte eine etwas anarchistisch-prozesshafte Struktur. Vieles lief parallel zum normalen Betrieb. Rasch bildete sich eine freie Arbeitsgruppe aus Mitarbeitenden, Studierenden, jungen Wissenschaftler/innen und Fachleuten aus dem In- und Ausland. Die Beteiligten waren aus ganz unterschiedlichen Gründen mit an Bord: aus persönlichem Interesse, aufgrund einer Master- oder Doktorarbeit oder im Rahmen von Volontariaten und Praktika. Alle haben wohl von dieser Arbeitsgruppe profitiert und es hat viel Spass gemacht.

Nietzsche als «Schlüssel»
Bruggmann: Lachen ist etwas Alltägliches. Es ist jedoch nicht so leicht, Humor theoretisch zu fassen. Die Ausstellung bezieht sich explizit auf den Philosophen Friedrich Nietzsche, so im Ausstellungstitel ‹Komödie des Daseins›. Warum Nietzsche?
Haldemann: Dazu muss ich etwas ausholen: Die gemeinsamen Sitzungen in der Arbeitsgruppe förderten nicht nur immer wieder Neues und Überraschendes zutage, im Lauf der Jahre wurden auch viele Ansichten revidiert. Ein entscheidender Einschnitt war der Anschlag auf die Redaktion des Pariser Satiremagazins Charlie Hebdo 2015. Menschen wurden getötet und die Menschenrechte – insbesondere die Meinungsfreiheit – angegriffen. Wir machten eine Pause und sahen uns zur Standortbestimmung genötigt. So rückte neben der heiteren die zutiefst existenzielle Dimension des Humors in den Fokus. Und Nietzsche wurde zum Schlüssel. Nach dem Tod -Gottes, nach dem Ende der Moral und einer objektiven Wahrheit in den Wissenschaften bleibt nach Nietzsche nur das sogenannte «heilige Lachen», um ein positives und freies Verhältnis zur Welt zu wahren – wohlgemerkt im Bewusstsein, dass man auch über sich selbst lachen kann und soll. Nietzsche stilisierte sich zum «Welt-Erlöser» und behauptete zugleich, er habe «Privat-Hanswurst-Einfälle», man solle sich kritisch zu ihm stellen.

Bruggmann: Praktiken der (Selbst-)Relativierung und Perspektivierung sind in der Ausstellung ausgeprägt. Das scheint mir in Bezug auf Nietzsche auch deshalb interessant, weil er selbst in einer Zeit gewaltiger Umbrüche lebte. Nicht umsonst vollzieht sich laut Historiker/innen im 19. Jahrhundert eine «Verwandlung der Welt» (Jürgen Osterhammel). Kann man sagen, dass Humor, Ironie und Komik, -Satire und (Selbst-)Parodie gerade in gesellschaftlichen Umbruchphasen und Krisenzeiten wichtig werden?
Haldemann: So ist es. Ob Satire oder Parodie, historisch betrachtet waren Spott und das Groteske seit der Antike immer ein Ventil gegen starre Ordnungsmuster und hierarchische Wertesysteme. Das zeigte sich im Reformationskampf. Der Papst wurde auf einem Schwein reitend mit einem Haufen Exkremente in der Hand dargestellt oder als janusköpfiger ‹Papst-Teufel›. Aber auch bei Katastrophen: Als Reaktion auf die Pest kam der Totentanz – man musste quasi mit dem Tod tanzen, ihm etwas -Positives abgewinnen, da er unübersehbar Teil des Lebens war. Kriegssituationen sind ebenfalls relevant bei Goya oder Daumier. Als Reaktion auf den Ersten Weltkrieg formierte sich die Dada-Bewegung. Der Zweite Weltkrieg forderte bitterernsten, satirischen Widerstand heraus. Und in den Emanzipationsbewegungen der Sechzigerjahre wurden Selbstparodien zu einem wichtigen künstlerischen Ausdrucksmittel.

Kunstgeschichte des Humors
Bruggmann: Humor theoretisch zu fassen, ist das eine. Die andere Schwierigkeit stellt sich, wenn es darum geht, das umfangreiche Material zeit-räumlich zu strukturieren. In den insgesamt neun Ausstellungsräumen werden nun unterschiedlichste Aspekte des Themas dargestellt. Die Kapitel heissen u. a. «Humor als Waffe», «Affe-Mensch», «Karneval» und «Selbstkomödien». Wie bist du beim Ordnen und Erzählen einer Kunstgeschichte des Humors vorgegangen?
Haldemann: Das war ein längerer Prozess. Die Ausstellung ist nun sowohl chronologisch wie thematisch strukturiert. Unter den jeweiligen Kapiteln werden zwar Exponate aus unterschiedlichen Zeiten subsumiert. Über die gesamte Ausstellungsfläche ist aber eine chronologische Abfolge sichtbar. So sind in den ersten Ausstellungräumen tendenziell mehr ältere Objekte ausgestellt – zum Beispiel aus der Antike, dem Mittelalter oder der Renaissance – als in den letzten, in denen Werke aus der Moderne und der Gegenwart überwiegen.

Bruggmann: Es sind Zeichnungen, Flugblätter, Karikaturen, Gemälde, Keramiken, Assemblagen, Skulpturen, Fotografien und Videos zu sehen. Die Ausstellung ist jedoch nicht nur vielfältig hinsichtlich der Medien und Genres. Sie ist auch interdisziplinär ausgerichtet und greift entschieden über den Bereich der Kunst hinaus. Hast du von Anfang an einen interdisziplinären Ansatz verfolgt?
Haldemann: Gemeinhin ist das Museum nicht der Ort, wo gelacht wird, das ist weitgehend tabu. Kunst soll bewundert, ja geradezu verehrt werden! Ich wollte von Anfang an, dass im Museum auch einmal gelacht wird. Während der Recherche stellte sich dann schnell heraus, dass das Lustige oder Komische in der bildenden Kunst lange eher am Rand figurierte und stark von der Literatur und Philosophie beeinflusst wurde. Wenn man also versucht, die Geschichte des Humors in der bildenden Kunst darzustellen, stösst man notgedrungen auf Wechselwirkungen und Verbindungen zu Nachbarkünsten sowie der Populärkultur – schliesslich hat Humor in Theater, Varieté und Kino einen festen Platz. Meine These lautet, dass erst mit der Frühaufklärung und Moderne eine strukturelle Beziehung zwischen Humor als Lebenshaltung und avancierter bildender Kunst entsteht. Jedenfalls sind die beschriebenen Querverbindungen der Grund, warum wir das Thema interdisziplinär angegangen sind und auch Expertisen aus Literaturwissenschaften, Philosophie und Musik eingeholt haben.

Brechen des Pathos
Bruggmann: Die vielen Bezüge zwischen den Disziplinen und Zeiten, die man hier feststellen kann, sind in der Tat verblüffend. Gewisse Themen scheinen immer wieder aufzukommen, wenn auch in veränderter Form.
Haldemann: Ja, zentral ist der menschliche Körper. Sexualität, Ausscheidungen, körperliche Unvollkommenheiten, scheiternde Bewegungsabläufe sowie die Endlichkeit des Körpers sind wiederkehrende Themen in der Kunstgeschichte des Humors seit der Antike. Es gibt ungelöste Fragen, die jede Generation in unterschiedlichen geistigen Zusammenhängen von Neuem beschäftigen – und man kommt nie weiter damit!

Bruggmann: Dennoch: Wo stehen wir heute? Ist der von Nietzsche vorangetriebene Prozess der Perspektivierung bereits zu einem Ende gekommen?
Haldemann: Bissig-komische Kunst wendet sich gerade heute erneut gegen Macht-potentaten. Ein allgemeines Bedürfnis nach Humor ist in den westlichen Gesellschaften genauso feststellbar wie in den weltweiten Krisengebieten. Was nun aber Prozesse der Perspektivierung betrifft: Das Wissenschaftsbild, das immer noch glaubt, es gebe eine absolute Wahrheit, sitzt einer Illusion auf. Erkenntnisse aus unterschiedlichen Perspektiven erlauben es, darüber zu diskutieren, was plausibel ist und was nicht. Dieses Aushandeln ist ein endloser Prozess. Das war für Nietzsche jedoch nichts Negatives, kein Zusammenbruch, sondern bedeutete im Gegenteil eine Entlastung, die den Einzelnen erst frei mache – er spricht darum von einer «fröhlichen Wissenschaft». Auch vor diesem Hintergrund ist den Werken dieser Ausstellung eines gemeinsam: das bewusste Brechen des künstlerischen Pathos mit Komik.
 

Matthias Haldemann ist Direktor des Kunsthauses Zug, das Gespräch fand vor Ort am 4.10. statt.

Jana Bruggmann ist freie Autorin und Doktorandin an der Freien Universität Berlin. bruggmann@artlog.net

Until 
06.01.2019

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